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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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5.

Nun wohnte in der Thalebne seit uralten Zeiten
ein Pelasgisches Volk, welches den Göttern für das
Geschenk eines so fruchtbaren Ackerbodens in dem Feste
der Pelorien dankte. Sein Leben war ohne Zweifel der
umgebenden Natur gemäß, welche noch jetzt die Anwoh-
ner des Flusses zu sanften und friedlichen Menschen bil-
det, die ihr Dasein gern an die Scholle knüpfen, wäh-
rend die Gebirgsbewohner bei größerer Kraft größere
Freiheit erstreben 1. Die alte Hauptstadt dieses Volks
war Larissa 2. Aber schon sehr früh war die Urbevöl-
kerung durch nördlichere Volkstämme theils in Unterwür-
figkeit versetzt, theils aus der Ebne hinausgedrängt
worden 3. Eine gewisse Freiheit behielten jederzeit die-
jenigen Ureinwoher, welche sich in das Gebirge hinauf-
gezogen hatten, die Perrhäber. Das Homerische
Völkerverzeichniß kennt Perrhäber auf der Höhe Kyphos
am Olymp und am schönströmenden Titaresios, der am
westlichen Saum des Olymposgebirgs hinfließend sich
durch sein klares und deswegen dunkles Wasser von dem
schlammführenden und darum weißlichen Peneios son-
dert 4. Auch heutzutage zeichnen sich die Bewohner
seiner Ufer durch gesunde Frische aus, während am Pe-
neios die gelbe Farbe der Menschen eine kränkliche Na-
tur bezeichnet 5. Aber die Alten dachten beim Titare-
sios an den Styx und die Unterwelt: deswegen, weil
bei diesen Perrhäbern eben so wie bei den Hellopischen
Pelasgern der Name und Cultus von Dodona sich festge-
setzt hatte 6. Und so war auch hier wie dort ein Psycho-

1 Pouqueville S. 37.
2 Bd. 1. S. 126. Hier wohnt
auch Akrisios von Argos. Daß es dieses Larissa ist, sicht man aus
Schol. 1, 40. Vgl. Hellanikos Fragm. 116. Paus. 2. 16. Tzetz.
Lyk. 836.
3 Str. 9, 439.
4 Nach neuern Reisenden. Schon
die Alten verstanden Homer oft falsch. Später Eurotas, oder Eu-
ropos, wie die Exe. Strab. haben, d. i. der dunkle.
5 Pouqv.
6 S. die Schriftsteller bei Str. 7, 328. Steph. Byz. Dodone.
5.

Nun wohnte in der Thalebne ſeit uralten Zeiten
ein Pelasgiſches Volk, welches den Goͤttern fuͤr das
Geſchenk eines ſo fruchtbaren Ackerbodens in dem Feſte
der Pelorien dankte. Sein Leben war ohne Zweifel der
umgebenden Natur gemaͤß, welche noch jetzt die Anwoh-
ner des Fluſſes zu ſanften und friedlichen Menſchen bil-
det, die ihr Daſein gern an die Scholle knuͤpfen, waͤh-
rend die Gebirgsbewohner bei groͤßerer Kraft groͤßere
Freiheit erſtreben 1. Die alte Hauptſtadt dieſes Volks
war Lariſſa 2. Aber ſchon ſehr fruͤh war die Urbevoͤl-
kerung durch noͤrdlichere Volkſtaͤmme theils in Unterwuͤr-
figkeit verſetzt, theils aus der Ebne hinausgedraͤngt
worden 3. Eine gewiſſe Freiheit behielten jederzeit die-
jenigen Ureinwoher, welche ſich in das Gebirge hinauf-
gezogen hatten, die Perrhaͤber. Das Homeriſche
Voͤlkerverzeichniß kennt Perrhaͤber auf der Hoͤhe Kyphos
am Olymp und am ſchoͤnſtroͤmenden Titareſios, der am
weſtlichen Saum des Olymposgebirgs hinfließend ſich
durch ſein klares und deswegen dunkles Waſſer von dem
ſchlammfuͤhrenden und darum weißlichen Peneios ſon-
dert 4. Auch heutzutage zeichnen ſich die Bewohner
ſeiner Ufer durch geſunde Friſche aus, waͤhrend am Pe-
neios die gelbe Farbe der Menſchen eine kraͤnkliche Na-
tur bezeichnet 5. Aber die Alten dachten beim Titare-
ſios an den Styx und die Unterwelt: deswegen, weil
bei dieſen Perrhaͤbern eben ſo wie bei den Hellopiſchen
Pelasgern der Name und Cultus von Dodona ſich feſtge-
ſetzt hatte 6. Und ſo war auch hier wie dort ein Pſycho-

1 Pouqueville S. 37.
2 Bd. 1. S. 126. Hier wohnt
auch Akriſios von Argos. Daß es dieſes Lariſſa iſt, ſicht man aus
Schol. 1, 40. Vgl. Hellanikos Fragm. 116. Pauſ. 2. 16. Tzetz.
Lyk. 836.
3 Str. 9, 439.
4 Nach neuern Reiſenden. Schon
die Alten verſtanden Homer oft falſch. Spaͤter Eurotas, oder Eu-
ropos, wie die Exe. Strab. haben, d. i. der dunkle.
5 Pouqv.
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[25/0055] 5. Nun wohnte in der Thalebne ſeit uralten Zeiten ein Pelasgiſches Volk, welches den Goͤttern fuͤr das Geſchenk eines ſo fruchtbaren Ackerbodens in dem Feſte der Pelorien dankte. Sein Leben war ohne Zweifel der umgebenden Natur gemaͤß, welche noch jetzt die Anwoh- ner des Fluſſes zu ſanften und friedlichen Menſchen bil- det, die ihr Daſein gern an die Scholle knuͤpfen, waͤh- rend die Gebirgsbewohner bei groͤßerer Kraft groͤßere Freiheit erſtreben 1. Die alte Hauptſtadt dieſes Volks war Lariſſa 2. Aber ſchon ſehr fruͤh war die Urbevoͤl- kerung durch noͤrdlichere Volkſtaͤmme theils in Unterwuͤr- figkeit verſetzt, theils aus der Ebne hinausgedraͤngt worden 3. Eine gewiſſe Freiheit behielten jederzeit die- jenigen Ureinwoher, welche ſich in das Gebirge hinauf- gezogen hatten, die Perrhaͤber. Das Homeriſche Voͤlkerverzeichniß kennt Perrhaͤber auf der Hoͤhe Kyphos am Olymp und am ſchoͤnſtroͤmenden Titareſios, der am weſtlichen Saum des Olymposgebirgs hinfließend ſich durch ſein klares und deswegen dunkles Waſſer von dem ſchlammfuͤhrenden und darum weißlichen Peneios ſon- dert 4. Auch heutzutage zeichnen ſich die Bewohner ſeiner Ufer durch geſunde Friſche aus, waͤhrend am Pe- neios die gelbe Farbe der Menſchen eine kraͤnkliche Na- tur bezeichnet 5. Aber die Alten dachten beim Titare- ſios an den Styx und die Unterwelt: deswegen, weil bei dieſen Perrhaͤbern eben ſo wie bei den Hellopiſchen Pelasgern der Name und Cultus von Dodona ſich feſtge- ſetzt hatte 6. Und ſo war auch hier wie dort ein Pſycho- 1 Pouqueville S. 37. 2 Bd. 1. S. 126. Hier wohnt auch Akriſios von Argos. Daß es dieſes Lariſſa iſt, ſicht man aus Schol. 1, 40. Vgl. Hellanikos Fragm. 116. Pauſ. 2. 16. Tzetz. Lyk. 836. 3 Str. 9, 439. 4 Nach neuern Reiſenden. Schon die Alten verſtanden Homer oft falſch. Spaͤter Eurotas, oder Eu- ropos, wie die Exe. Strab. haben, d. i. der dunkle. 5 Pouqv. 6 S. die Schriftſteller bei Str. 7, 328. Steph. Byz. Δωδώνη.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/55>, abgerufen am 26.04.2024.