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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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thanen statt finden. Sosikrates und Dosiadas, glaub-
würdige Schriftsteller über Kreta, nennen drei Classen,
die Staatsknechtschaft, (koine douleia) von den Kretern
Mnoaa genannt, die Knechte der einzelnen Bürger, Apha-
miotas, u. die Periöken, Upekoous. Nun wissen wir im
Einzelnen, daß die Aphamioten ihren Namen von der
Bestellung der Aecker der Privaten (kretisch aphamiai)
hatten, und sonach landbauende Leibeigene waren 1.
Mit ihnen treffen zusammen die von jenen Schriftstel-
lern eben darum nicht speciell erwähnten Klaroten,
denn wenn auch die gewöhnliche Namenserklärung sie
von dem über die Kriegsgefangenen geworfenen Loose
benennen läßt, leitet man den Namen doch gewiß na-
türlicher von den einzelnen Ackerloosen oder Gütern der
Bürger, den klerois, ab. Aber nach jeder dieser
Erklärungen sind sie immer den einzelnen Bürgern an-
gehörige Leibeigene; und Klaroten wie Aphamioten
werden daher ganz richtig mit den Heloten verglichen 2,
und wie von diesen die Lakonischen, so waren von
jenen die Kretischen Periöken grundverschieden: ob-
gleich Aristoteles den von den Kretischen Schriftstellern
genau beobachteten Unterschied vernachlässigt 3. Zwei-
tens wird die Mnoia (mnoa) von denen, welche genauer
reden, eben so von dem Stande der Periöken als der
Eigenknechte unterschieden, und als eine Staatsfrohne
bezeichnet; wornach anzunehmen ist, daß jeder Staat
in Kreta ein Gemeinland besaß, welches die Mnoten
in denselben Verhältnissen bebauten, wie die Aphamio-
ten die abgetheilten Grundstücke. Indessen wird sehr

1 Athen. 6, 263 e. Hesych. Eust. Il. 15, 1024 R. Ruhnken
ad Tim. p. 283.
2 Strabo 15, 701. Etym. M. penestai.
Photios p. 124 und 300. Lex. Seguer. 1. p. 292. emd. von
Meineke Eupher. p. 142.
3 Pol. 2, 7, 3. vgl. 2, 2, 13.
Schneider.

thanen ſtatt finden. Soſikrates und Doſiadas, glaub-
wuͤrdige Schriftſteller uͤber Kreta, nennen drei Claſſen,
die Staatsknechtſchaft, (κοινὴ δουλεία) von den Kretern
Μνοἆα genannt, die Knechte der einzelnen Buͤrger, Ἀφα-
μιώτας, u. die Perioͤken, Ὑπηκόους. Nun wiſſen wir im
Einzelnen, daß die Aphamioten ihren Namen von der
Beſtellung der Aecker der Privaten (kretiſch ἀφαμίαι)
hatten, und ſonach landbauende Leibeigene waren 1.
Mit ihnen treffen zuſammen die von jenen Schriftſtel-
lern eben darum nicht ſpeciell erwaͤhnten Klaroten,
denn wenn auch die gewoͤhnliche Namenserklaͤrung ſie
von dem uͤber die Kriegsgefangenen geworfenen Looſe
benennen laͤßt, leitet man den Namen doch gewiß na-
tuͤrlicher von den einzelnen Ackerlooſen oder Guͤtern der
Buͤrger, den κλήροις, ab. Aber nach jeder dieſer
Erklaͤrungen ſind ſie immer den einzelnen Buͤrgern an-
gehoͤrige Leibeigene; und Klaroten wie Aphamioten
werden daher ganz richtig mit den Heloten verglichen 2,
und wie von dieſen die Lakoniſchen, ſo waren von
jenen die Kretiſchen Perioͤken grundverſchieden: ob-
gleich Ariſtoteles den von den Kretiſchen Schriftſtellern
genau beobachteten Unterſchied vernachlaͤſſigt 3. Zwei-
tens wird die Μνοῖα (μνῷα) von denen, welche genauer
reden, eben ſo von dem Stande der Perioͤken als der
Eigenknechte unterſchieden, und als eine Staatsfrohne
bezeichnet; wornach anzunehmen iſt, daß jeder Staat
in Kreta ein Gemeinland beſaß, welches die Mnoten
in denſelben Verhaͤltniſſen bebauten, wie die Aphamio-
ten die abgetheilten Grundſtuͤcke. Indeſſen wird ſehr

1 Athen. 6, 263 e. Heſych. Euſt. Il. 15, 1024 R. Ruhnken
ad Tim. p. 283.
2 Strabo 15, 701. Etym. M. πενέσται.
Photios p. 124 und 300. Lex. Seguer. 1. p. 292. emd. von
Meineke Eupher. p. 142.
3 Pol. 2, 7, 3. vgl. 2, 2, 13.
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[53/0059] thanen ſtatt finden. Soſikrates und Doſiadas, glaub- wuͤrdige Schriftſteller uͤber Kreta, nennen drei Claſſen, die Staatsknechtſchaft, (κοινὴ δουλεία) von den Kretern Μνοἆα genannt, die Knechte der einzelnen Buͤrger, Ἀφα- μιώτας, u. die Perioͤken, Ὑπηκόους. Nun wiſſen wir im Einzelnen, daß die Aphamioten ihren Namen von der Beſtellung der Aecker der Privaten (kretiſch ἀφαμίαι) hatten, und ſonach landbauende Leibeigene waren 1. Mit ihnen treffen zuſammen die von jenen Schriftſtel- lern eben darum nicht ſpeciell erwaͤhnten Klaroten, denn wenn auch die gewoͤhnliche Namenserklaͤrung ſie von dem uͤber die Kriegsgefangenen geworfenen Looſe benennen laͤßt, leitet man den Namen doch gewiß na- tuͤrlicher von den einzelnen Ackerlooſen oder Guͤtern der Buͤrger, den κλήροις, ab. Aber nach jeder dieſer Erklaͤrungen ſind ſie immer den einzelnen Buͤrgern an- gehoͤrige Leibeigene; und Klaroten wie Aphamioten werden daher ganz richtig mit den Heloten verglichen 2, und wie von dieſen die Lakoniſchen, ſo waren von jenen die Kretiſchen Perioͤken grundverſchieden: ob- gleich Ariſtoteles den von den Kretiſchen Schriftſtellern genau beobachteten Unterſchied vernachlaͤſſigt 3. Zwei- tens wird die Μνοῖα (μνῷα) von denen, welche genauer reden, eben ſo von dem Stande der Perioͤken als der Eigenknechte unterſchieden, und als eine Staatsfrohne bezeichnet; wornach anzunehmen iſt, daß jeder Staat in Kreta ein Gemeinland beſaß, welches die Mnoten in denſelben Verhaͤltniſſen bebauten, wie die Aphamio- ten die abgetheilten Grundſtuͤcke. Indeſſen wird ſehr 1 Athen. 6, 263 e. Heſych. Euſt. Il. 15, 1024 R. Ruhnken ad Tim. p. 283. 2 Strabo 15, 701. Etym. M. πενέσται. Photios p. 124 und 300. Lex. Seguer. 1. p. 292. emd. von Meineke Eupher. p. 142. 3 Pol. 2, 7, 3. vgl. 2, 2, 13. Schneider.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/59>, abgerufen am 26.04.2024.