Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

befreien, als deren Gesammtinhaber 1. Kurz, es be-
saß die Volksversammlung die höchste politische, legis-
lative, constitutive Gewalt; welche aber durch den Geist
der Verfassung so gezähmt und gebändigt war, daß sie
sich nur auf vorgeschriebenen Wegen thätig beweisen
konnte.

10.

Dies zeigte sich in der Art der Verhandlun-
gen ohne Zweifel ganz besonders. Nur die öffentlichen
Magistrate, besonders Ephoren und Könige, nebst den
Söhnen der letztern 2, redeten das Volk unaufgefordert
an, und ließen es stimmen 3; auch fremde Gesandte
sprachen vorgelassen und geheißen über Krieg und Frie-
den 4: aber daß Bürger auf eigenen Antrieb aus der
Mitte hervorgetreten wären, um in öffentlichen Ange-
legenheiten zu reden, ist weder wahrscheinlich, noch fin-
det sich ein Beispiel davon. Eine solche Befugniß konnte
nach Spartiatischer Ansicht nur ein öffentliches Amt
geben 5. So wie also nur die Magistrate (tele, ar-
khai) die Wortführer und Leiter der Versammlung wa-
ren: so wird öfter, namentlich in auswärtigen Ver-
hältnissen, als ein Beschluß dieser angegeben 6, was
vor der ganzen Gemeine verhandelt, und von derselben
gebilligt und bestätigt (damosikton) 7 worden war.
Die allenfalsigen Reden waren kurz und aus dem Steg-
reif gesprochen, zuerst Lysandros ließ sich durch Kleon

1 Th. 5, 34.
2 Liban. a. O.
3 Thuk. 1, 80.
Xen. Hell. 3, 3, 8. Plut. Ag. 9. Aa.
4 Th. 1, 67. u. sehr
oft.
5 Die Geschichte bei Aeschin. g. Tim. 25, 33. Plut.
praec. reip. 4. p. 144. Gell. N. A. 18, 3. daß, als das Volk
der Meinung eines sittenlosen Menschen beitreten wollte, ein Geron
darauf drang, daß sie erst von einem tadellosen Manne vorgetragen,
dann durchgehen solle, beweist nichts, da sie ganz abgerissen
ist, und wir nicht wissen, mit welchem Fuge jener Erstere gespro-
chen hatte. Lysandros (Plut. 25.) sprach wohl in einer öffentlichen
Funktion.
6 S. 87. N. 3.
7 dedokimasmenon Hesych.

befreien, als deren Geſammtinhaber 1. Kurz, es be-
ſaß die Volksverſammlung die hoͤchſte politiſche, legis-
lative, conſtitutive Gewalt; welche aber durch den Geiſt
der Verfaſſung ſo gezaͤhmt und gebaͤndigt war, daß ſie
ſich nur auf vorgeſchriebenen Wegen thaͤtig beweiſen
konnte.

10.

Dies zeigte ſich in der Art der Verhandlun-
gen ohne Zweifel ganz beſonders. Nur die oͤffentlichen
Magiſtrate, beſonders Ephoren und Koͤnige, nebſt den
Soͤhnen der letztern 2, redeten das Volk unaufgefordert
an, und ließen es ſtimmen 3; auch fremde Geſandte
ſprachen vorgelaſſen und geheißen uͤber Krieg und Frie-
den 4: aber daß Buͤrger auf eigenen Antrieb aus der
Mitte hervorgetreten waͤren, um in oͤffentlichen Ange-
legenheiten zu reden, iſt weder wahrſcheinlich, noch fin-
det ſich ein Beiſpiel davon. Eine ſolche Befugniß konnte
nach Spartiatiſcher Anſicht nur ein oͤffentliches Amt
geben 5. So wie alſo nur die Magiſtrate (τέλη, αϱ-
χαὶ) die Wortfuͤhrer und Leiter der Verſammlung wa-
ren: ſo wird oͤfter, namentlich in auswaͤrtigen Ver-
haͤltniſſen, als ein Beſchluß dieſer angegeben 6, was
vor der ganzen Gemeine verhandelt, und von derſelben
gebilligt und beſtaͤtigt (δαμώσικτον) 7 worden war.
Die allenfalſigen Reden waren kurz und aus dem Steg-
reif geſprochen, zuerſt Lyſandros ließ ſich durch Kleon

1 Th. 5, 34.
2 Liban. a. O.
3 Thuk. 1, 80.
Xen. Hell. 3, 3, 8. Plut. Ag. 9. Aa.
4 Th. 1, 67. u. ſehr
oft.
5 Die Geſchichte bei Aeſchin. g. Tim. 25, 33. Plut.
praec. reip. 4. p. 144. Gell. N. A. 18, 3. daß, als das Volk
der Meinung eines ſittenloſen Menſchen beitreten wollte, ein Geron
darauf drang, daß ſie erſt von einem tadelloſen Manne vorgetragen,
dann durchgehen ſolle, beweist nichts, da ſie ganz abgeriſſen
iſt, und wir nicht wiſſen, mit welchem Fuge jener Erſtere geſpro-
chen hatte. Lyſandros (Plut. 25.) ſprach wohl in einer oͤffentlichen
Funktion.
6 S. 87. N. 3.
7 δεδοκιμασμένον Heſych.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0095" n="89"/>
befreien, als deren Ge&#x017F;ammtinhaber <note place="foot" n="1">Th. 5, 34.</note>. Kurz, es be-<lb/>
&#x017F;aß die Volksver&#x017F;ammlung die ho&#x0364;ch&#x017F;te politi&#x017F;che, legis-<lb/>
lative, con&#x017F;titutive Gewalt; welche aber durch den Gei&#x017F;t<lb/>
der Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;o geza&#x0364;hmt und geba&#x0364;ndigt war, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich nur auf vorge&#x017F;chriebenen Wegen tha&#x0364;tig bewei&#x017F;en<lb/>
konnte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>10.</head><lb/>
            <p>Dies zeigte &#x017F;ich in der Art der Verhandlun-<lb/>
gen ohne Zweifel ganz be&#x017F;onders. Nur die o&#x0364;ffentlichen<lb/>
Magi&#x017F;trate, be&#x017F;onders Ephoren und Ko&#x0364;nige, neb&#x017F;t den<lb/>
So&#x0364;hnen der letztern <note place="foot" n="2">Liban. a. O.</note>, redeten das Volk unaufgefordert<lb/>
an, und ließen es &#x017F;timmen <note place="foot" n="3">Thuk. 1, 80.<lb/>
Xen. Hell. 3, 3, 8. Plut. Ag. 9. Aa.</note>; auch fremde Ge&#x017F;andte<lb/>
&#x017F;prachen vorgela&#x017F;&#x017F;en und geheißen u&#x0364;ber Krieg und Frie-<lb/>
den <note place="foot" n="4">Th. 1, 67. u. &#x017F;ehr<lb/>
oft.</note>: aber daß Bu&#x0364;rger auf eigenen Antrieb aus der<lb/>
Mitte hervorgetreten wa&#x0364;ren, um in o&#x0364;ffentlichen Ange-<lb/>
legenheiten zu reden, i&#x017F;t weder wahr&#x017F;cheinlich, noch fin-<lb/>
det &#x017F;ich ein Bei&#x017F;piel davon. Eine &#x017F;olche Befugniß konnte<lb/>
nach Spartiati&#x017F;cher An&#x017F;icht nur ein o&#x0364;ffentliches Amt<lb/>
geben <note place="foot" n="5">Die Ge&#x017F;chichte bei Ae&#x017F;chin. g. Tim. 25, 33. Plut.<lb/><hi rendition="#aq">praec. reip. 4. p.</hi> 144. Gell. <hi rendition="#aq">N. A.</hi> 18, 3. daß, als das Volk<lb/>
der Meinung eines &#x017F;ittenlo&#x017F;en Men&#x017F;chen beitreten wollte, ein Geron<lb/>
darauf drang, daß &#x017F;ie er&#x017F;t von einem tadello&#x017F;en Manne vorgetragen,<lb/>
dann durchgehen &#x017F;olle, beweist nichts, da &#x017F;ie ganz abgeri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t, und wir nicht wi&#x017F;&#x017F;en, mit welchem Fuge jener Er&#x017F;tere ge&#x017F;pro-<lb/>
chen hatte. Ly&#x017F;andros (Plut. 25.) &#x017F;prach wohl in einer o&#x0364;ffentlichen<lb/>
Funktion.</note>. So wie al&#x017F;o nur die Magi&#x017F;trate (&#x03C4;&#x03AD;&#x03BB;&#x03B7;, &#x03B1;&#x03F1;-<lb/>
&#x03C7;&#x03B1;&#x1F76;) die Wortfu&#x0364;hrer und Leiter der Ver&#x017F;ammlung wa-<lb/>
ren: &#x017F;o wird o&#x0364;fter, namentlich in auswa&#x0364;rtigen Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en, als ein Be&#x017F;chluß die&#x017F;er angegeben <note place="foot" n="6">S. 87. N. 3.</note>, was<lb/>
vor der ganzen Gemeine verhandelt, und von der&#x017F;elben<lb/>
gebilligt und be&#x017F;ta&#x0364;tigt (&#x03B4;&#x03B1;&#x03BC;&#x03CE;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BA;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BD;) <note place="foot" n="7">&#x03B4;&#x03B5;&#x03B4;&#x03BF;&#x03BA;&#x03B9;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C3;&#x03BC;&#x03AD;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD; He&#x017F;ych.</note> worden war.<lb/>
Die allenfal&#x017F;igen Reden waren kurz und aus dem Steg-<lb/>
reif ge&#x017F;prochen, zuer&#x017F;t Ly&#x017F;andros ließ &#x017F;ich durch Kleon<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0095] befreien, als deren Geſammtinhaber 1. Kurz, es be- ſaß die Volksverſammlung die hoͤchſte politiſche, legis- lative, conſtitutive Gewalt; welche aber durch den Geiſt der Verfaſſung ſo gezaͤhmt und gebaͤndigt war, daß ſie ſich nur auf vorgeſchriebenen Wegen thaͤtig beweiſen konnte. 10. Dies zeigte ſich in der Art der Verhandlun- gen ohne Zweifel ganz beſonders. Nur die oͤffentlichen Magiſtrate, beſonders Ephoren und Koͤnige, nebſt den Soͤhnen der letztern 2, redeten das Volk unaufgefordert an, und ließen es ſtimmen 3; auch fremde Geſandte ſprachen vorgelaſſen und geheißen uͤber Krieg und Frie- den 4: aber daß Buͤrger auf eigenen Antrieb aus der Mitte hervorgetreten waͤren, um in oͤffentlichen Ange- legenheiten zu reden, iſt weder wahrſcheinlich, noch fin- det ſich ein Beiſpiel davon. Eine ſolche Befugniß konnte nach Spartiatiſcher Anſicht nur ein oͤffentliches Amt geben 5. So wie alſo nur die Magiſtrate (τέλη, αϱ- χαὶ) die Wortfuͤhrer und Leiter der Verſammlung wa- ren: ſo wird oͤfter, namentlich in auswaͤrtigen Ver- haͤltniſſen, als ein Beſchluß dieſer angegeben 6, was vor der ganzen Gemeine verhandelt, und von derſelben gebilligt und beſtaͤtigt (δαμώσικτον) 7 worden war. Die allenfalſigen Reden waren kurz und aus dem Steg- reif geſprochen, zuerſt Lyſandros ließ ſich durch Kleon 1 Th. 5, 34. 2 Liban. a. O. 3 Thuk. 1, 80. Xen. Hell. 3, 3, 8. Plut. Ag. 9. Aa. 4 Th. 1, 67. u. ſehr oft. 5 Die Geſchichte bei Aeſchin. g. Tim. 25, 33. Plut. praec. reip. 4. p. 144. Gell. N. A. 18, 3. daß, als das Volk der Meinung eines ſittenloſen Menſchen beitreten wollte, ein Geron darauf drang, daß ſie erſt von einem tadelloſen Manne vorgetragen, dann durchgehen ſolle, beweist nichts, da ſie ganz abgeriſſen iſt, und wir nicht wiſſen, mit welchem Fuge jener Erſtere geſpro- chen hatte. Lyſandros (Plut. 25.) ſprach wohl in einer oͤffentlichen Funktion. 6 S. 87. N. 3. 7 δεδοκιμασμένον Heſych.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/95
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/95>, abgerufen am 27.04.2024.