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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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wurden, so sieht man doch klar daß sie noch immer ein
verschlossenes Räthselbuch sind, worin man nur die ein-
zelnen abgesondert verständlichen Stellen beachtet, der-
gleichen sich selbst in cabbalistischen Büchern finden.

Mich haben diese Schriften aus mehreren Ursachen
mit einem eigenthümlichen Reiz angezogen. Den äußert
schon an sich alles Räthselhafte und Schwierige: und
da sie, wo ich sie einigermaßen verstehen lernte, mir lehr-
reich wurden, so erwachte das Gefühl der Dankbarkeit
welches auch für versäumte Schriften eine besonders leb-
hafte Theilnahme erregt. Wir verlieren uns in einem
Bilde von Roms Schicksalen und der Umgestaltung Ita-
liens, wenn wir in diesen sonderbaren Fragmenten ein
Bruchstück der Schrift eines etruskischen Aruspex aus
dem fünften Jahrhundert der Stadt finden, anderswo
einen Ingenieur reden hören welcher Trajan bey der Er-
oberung Daciens diente, und die Höhe der Siebenbürger
Alpen maß, und endlich, in der jüngsten der verschiede-
nen Sammlungen, Auszüge aus einem Buch des wei-
sen, sein Zeitalter unterrichtenden Pabstes Gerbert, vom
Schluß des zehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung,
antreffen. Alle Zeiten des römischen Nahmens stehen
hier neben einander: die alte Aruspicin und Religion,
und das Christenthum: Plebiscite und Titel aus dem theo-
dosianischen Gesetzbuch und den Pandecten: uraltes La-
tein, und das beginnende Italienische des siebenten Jahr-
hunderts. Der Ort wo die Sammlung gemacht ward,
die Zeit in der sie entstand, sind ein Räthsel; und wenn
wir es lösen, so finden wir uns zu Rom in dem Zeitalter

wurden, ſo ſieht man doch klar daß ſie noch immer ein
verſchloſſenes Raͤthſelbuch ſind, worin man nur die ein-
zelnen abgeſondert verſtaͤndlichen Stellen beachtet, der-
gleichen ſich ſelbſt in cabbaliſtiſchen Buͤchern finden.

Mich haben dieſe Schriften aus mehreren Urſachen
mit einem eigenthuͤmlichen Reiz angezogen. Den aͤußert
ſchon an ſich alles Raͤthſelhafte und Schwierige: und
da ſie, wo ich ſie einigermaßen verſtehen lernte, mir lehr-
reich wurden, ſo erwachte das Gefuͤhl der Dankbarkeit
welches auch fuͤr verſaͤumte Schriften eine beſonders leb-
hafte Theilnahme erregt. Wir verlieren uns in einem
Bilde von Roms Schickſalen und der Umgeſtaltung Ita-
liens, wenn wir in dieſen ſonderbaren Fragmenten ein
Bruchſtuͤck der Schrift eines etruſkiſchen Aruſpex aus
dem fuͤnften Jahrhundert der Stadt finden, anderswo
einen Ingenieur reden hoͤren welcher Trajan bey der Er-
oberung Daciens diente, und die Hoͤhe der Siebenbuͤrger
Alpen maß, und endlich, in der juͤngſten der verſchiede-
nen Sammlungen, Auszuͤge aus einem Buch des wei-
ſen, ſein Zeitalter unterrichtenden Pabſtes Gerbert, vom
Schluß des zehnten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung,
antreffen. Alle Zeiten des roͤmiſchen Nahmens ſtehen
hier neben einander: die alte Aruſpicin und Religion,
und das Chriſtenthum: Plebiſcite und Titel aus dem theo-
doſianiſchen Geſetzbuch und den Pandecten: uraltes La-
tein, und das beginnende Italieniſche des ſiebenten Jahr-
hunderts. Der Ort wo die Sammlung gemacht ward,
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[533/0549] wurden, ſo ſieht man doch klar daß ſie noch immer ein verſchloſſenes Raͤthſelbuch ſind, worin man nur die ein- zelnen abgeſondert verſtaͤndlichen Stellen beachtet, der- gleichen ſich ſelbſt in cabbaliſtiſchen Buͤchern finden. Mich haben dieſe Schriften aus mehreren Urſachen mit einem eigenthuͤmlichen Reiz angezogen. Den aͤußert ſchon an ſich alles Raͤthſelhafte und Schwierige: und da ſie, wo ich ſie einigermaßen verſtehen lernte, mir lehr- reich wurden, ſo erwachte das Gefuͤhl der Dankbarkeit welches auch fuͤr verſaͤumte Schriften eine beſonders leb- hafte Theilnahme erregt. Wir verlieren uns in einem Bilde von Roms Schickſalen und der Umgeſtaltung Ita- liens, wenn wir in dieſen ſonderbaren Fragmenten ein Bruchſtuͤck der Schrift eines etruſkiſchen Aruſpex aus dem fuͤnften Jahrhundert der Stadt finden, anderswo einen Ingenieur reden hoͤren welcher Trajan bey der Er- oberung Daciens diente, und die Hoͤhe der Siebenbuͤrger Alpen maß, und endlich, in der juͤngſten der verſchiede- nen Sammlungen, Auszuͤge aus einem Buch des wei- ſen, ſein Zeitalter unterrichtenden Pabſtes Gerbert, vom Schluß des zehnten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung, antreffen. Alle Zeiten des roͤmiſchen Nahmens ſtehen hier neben einander: die alte Aruſpicin und Religion, und das Chriſtenthum: Plebiſcite und Titel aus dem theo- doſianiſchen Geſetzbuch und den Pandecten: uraltes La- tein, und das beginnende Italieniſche des ſiebenten Jahr- hunderts. Der Ort wo die Sammlung gemacht ward, die Zeit in der ſie entſtand, ſind ein Raͤthſel; und wenn wir es loͤſen, ſo finden wir uns zu Rom in dem Zeitalter

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/549>, abgerufen am 26.04.2024.