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Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 15. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 12 Dienstag. den 15. Januar
[Spaltenumbruch]
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN
[Spaltenumbruch]

(16. Fortsetzung)

Morris unterdrückte ein Lächeln, er
wurde sogleich wieder sachlich. Der Assessor
und Steinmann sagten nichts, sie waren
nur darauf aus, mehr zu hören, und der
Ire fuhr auch fort:

"Dann aber kam ein zweiter Punkt in
Betracht, und er war es, der mich auf die
Fährte wies, die ich, so abenteuerlich sie
aussah, für die richtige hielt, und für die ich
heute wesentliche Argumente wohl beibrin-
gen kann. Es fand sich nämlich bei den
Haussuchungen kein oder verschwindend
wenig echtes Papiergeld. Im Falle Gold-
stein trat ein bezeichnendes Moment hinzu:
das falsche Geld fand sich nur im Geld-
schrank der Privatwohnung -- nicht des
Bankgeschäftes. Und derselbe Fall lieferte
einen weiteren Anhaltspunkt. den Sie da-
mals nicht gelten lassen wollten: Goldstein
gab an, daß dreihundert Kronen mehr in
seiner Kasse gewesen seien als bei der
Suchung gefunden wurden. All diese Punkte
wiesen für mich auf eine Richtung hin --
darauf nämlich: Die Fälscher sind zugleich
Einbrecher. Sie räumen Geldschränke und
Schreibtische ihrer Opfer aus und hinter-
legen -- um die Spuren der Tätigkeit gänz-
lich zu verwischen. und Verwirrung zu stif-
ten -- folsches Geld in der Höhe des gestoh-
lenen. Offenbar ist es eine gut organisierte
Gesellschaft. die ihre Früchte an eine Zent-
rale abzuliefern hat, von wo dann die Ver-
teilung vorgenommen wird. In Goldsteins
Fall hat nun eines der Mitglieder -- unter
Uebervorteilung der anderen -- sich einen
kleinen Nebenverdienst gemacht. indem es
die dreihundert Kronen zurückbehielt. Es
könnte sich dabei auch um einen Fehler im
Zählen gehandelt haben. Das ist einerlei.
Jedenfalls werden Sie mir zugeben, daß
all diese Daten gut zu meiner Hypothese
passen: aber ehe ich Sie, lieber Lund, auf
diese Bahn setzen durfte, mußte ich noch Be-
weise für ihre Richtigkeit beschaffen.

[Spaltenumbruch]

Ich kalkuliere nun so: habe ich recht, so
muß ein Mitglied wahrscheinlich das Haupt
der Bande, eine angesehene Persönlichkeit
sein, die zu guten Kreisen Zutritt hat und
imstande ist, den ausführenden Organen die
nötigen Abdrücke von Schlüsseln zu liefern
-- denn gewaltsame Einbrüche mußten
selbstverständlich vermieden werden -- und
einen günstigen Zeitpunkt für die verkappten
Besuche ausbaldowern.

Wer auch immer der Kopf des Ganzen ist
-- er muß über eine besondere Gewandt-
heit verfügen, es kommt ja darauf an, in
allerlei Lagen unbeachtete Augenblicke zu
nutzen, um etwa Wachsabdrücke herzustellen.
Bei solcher Arbeitsmethode, die nur mit
ganz kleinen Zeitmengen rechnen darf, war
es unvermeidlich, daß hie und da etwas
Wachs an einem Schlüssel haftenblieb. Nun
habe ich tatsächlich am Hausschlüssel des
Professors Terschak sowie am Schreibtisch-
schlüssel des Oberleutnants Bruun minimale
Spuren einer braunen, wachsartigen Sub-
stanz gefunden, und während Sie hinunter-
gingen. um Steinmann einzulassen, fand ich
an Blooms Zimmer- und Geldschrank-
schlüssel die gleichen Reste. -- Hier, bitte,
überzeugen Sie sich."

Lund war aufgesprungen. "Was -- Him-
mel --!", rief er aufgeregt.

Rupert blickte schweigend, beinahe zärt-
lich, in des Freundes Gesicht.

Nachdem beide Männer die von Morris
hingereichten Objekte geprüft hatten, sagte
Lund: "Ihre Erklärungen haben viel für
sich. Die Tatsachen decken sich mit ihnen,
keine widerspricht. Das ist wenigstens
etwas Festes. Wird die Angelegenheit nun
in Fluß kommen?"

"Der Kreis der Untersuchung ist immer-
hin enger geworden", meinte Morris. "Und
die Ereignisse heute nacht -- -- ich meine,
Ihr Erlebnis auf dem Ball, Herr Lund, so-
[Spaltenumbruch] wie der Tod Blooms -- werden uns zur
weiteren Präzisierung verhelfen."

"Eine Frage", warf der Assessor ein.
"Nehmen wir an. Sie haben bewiesen, daß
Bloom das Opfer eines Mordes geworden
ist -- der Beweis der Uebereinstimmung
von Fingerabdrücken auf Revolver und fal-
schen Banknoten steht noch aus, und es wird
nicht leicht sein, hier Klärungen zu schaffen,
weil das durchmusternde Material groß ist.
Wir wollen aber einmal annehmen, daß auch
diese Identität feststände. Wie stellen sich
Ihnen dann die Vorgänge dar?"

Morris schüttekte nachdrücklich den Kopf.
"Die Uebereinstimmung muß zuerst heraus-
geschält werden, dann können wir weitere
Schritte tun. Denn die Gefahr bei solchen
Untersuchungen, daß man zwei oder mehr
parallel laufende Reihen von Ereignissen
miteinander verknüpft, die nichts mitein-
ander gemein haben, ist gefährlich nahelie-
gend. Bloom ist durch die Fälscheraffäre
tangiert, das scheint mir sicher. Ob er mit-
schuldig oder Opfer ist, muß erst klargelegt
werden. So viel ich überblicken kann, lie-
gen drei Möglichkeiten vor: entweder, sein
Tod hat nichts mit der eigentlichen Sache
zu tun, oder er hat damit zu tun; in diesem
Falle kann er unbequem gewordener Mit-
schuldiger gewesen sein, oder er war ein
Unschuldiger, der durch Zufall hinter Ge-
heimnisse kam und stummgemacht werden
mußte. Sobald sich gleiche Fingerspuren auf
Revolver und Geld finden, scheidet die erste
Möglichkeit aus, und ein Zusammenhang ist
gegeben. Besteht aber ein solcher. so
glaube ich sicher, daß auf dem heutigen Ball
sich irgendein Borgang abgespielt hat, der
zur schleunigen Ermordung Blooms führte.
Nach Aussage des Dieners war er durch-
aus gut gelaunt, ehe er sein Haus verließ,
und beabsichtigte, in später Stunde erst zu-
rückzukehren. Er hat dann seinen Wagen
telephonisch viel früher herbeigerufen und
war höchst verstimmt. Ich selber habe nun
heute nacht eine Beobachtung gemacht, die
vielleicht ein Licht auf die Sache wirft. Als
der rote Domino -- ich wußte damals noch
nicht, daß es Bloom war -- um elf Uhr
das Fest verließ, hatte er im Vestibül mit
der Herrin des Hauses eine lebhafte Unter-
redung, in deren Verlauf sie ihm die Maske
[Spaltenumbruch] herunterriß. Worum es sich gehandelt hat,
habe ich nicht verstehen können. Die Sache
könnte die Gräfin verdächtigen, ich meine:
in der Richtung, daß -- doch lassen wir es
vorläufig.

Aber zu Ihrem Erlebnis, lieber Lundt
Sie werden von dem rotsamtenen Pagen
angeredet mit den Worten: Alfred, ich hab'
etwas angerichtet -- und Alfred, wir sind
verloren! -- Wir wissen, daß Alfred Blooms
Kostüm so beschaffen war, daß er sowohl
als schwarzer wie als roter Domino auf-
treten konnte. Wäre nun die Anrede von
jener Pompadour ausgegangen, so würde
ich Ihnen ohne weiteres raten, bei unserer
schönen Gastgeberin noch vor Morgengrauen
-- unter notwendiger Beiseiteschaffung jeder
sentimentalen Regung -- Nachforschungen
abhalten zu lassen. Aber die Sache liegt ja
anders ...

Ihr Erlebnis mit dem Pagen, Lund, ist
übrigens weitaus gravierender als meine zu-
fällige Beobachtung. Was ich erspäht habe,
kann schließlich auf einen Streit zwischen
Liebesleuten hinauslaufen, wiewohl mir
einige Imponderabilien gegen diese An-
nahme zu sprechen scheinen. -- Nun, Ru-
pert, trittft du in Aktion. Du hast doch die
gewünschte Liste angefertigt? Wer war
dieser Page? Und gleich noch etwas: wer
auch die Tausendmarkdame war, mit der du
selber getanzt hast?"

Rupert zog sein Rotizbuch heraus und
blätterte darin. Dann zog er die Achseln:
"Nach der Demaskierung nicht mehr an-
wesend."

"Das ist bedenklich", grübelte Morris.

"Scheinen Ihnen beide Personen nicht
sauber? Doch wohl nur der Page?" fragte
Lund.

"Der freilich am meisten. Aber auch die
andere Maske. Rupert, weißt du denn gar
nichts über sie? War's nicht deine Her-
zensdame? -- Unsere Gegner fühlen sich
offenbar sehr sicher, und da ist es nicht un-
möglich, daß sie so weit gehen, ihre eigenen
Gaunereien zu parodieren. Auch kann die
Trägerin eines solchen Kostümes leicht er-
fahren, was die Gesellschaft über die Sache
denkt, und kann unter Umständen brauchbare
Informationen an ihre Kreaturen liefern."

(Fortsetzung folgt)



[irrelevantes Material]
„AZ am Abend“ Nr. 12 Dienstag. den 15. Januar
[Spaltenumbruch]
Dreifaches Gaunerspiel
EIN BANKNOTENROMAN
[Spaltenumbruch]

(16. Fortſetzung)

Morris unterdrückte ein Lächeln, er
wurde ſogleich wieder ſachlich. Der Aſſeſſor
und Steinmann ſagten nichts, ſie waren
nur darauf aus, mehr zu hören, und der
Ire fuhr auch fort:

„Dann aber kam ein zweiter Punkt in
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Fährte wies, die ich, ſo abenteuerlich ſie
ausſah, für die richtige hielt, und für die ich
heute weſentliche Argumente wohl beibrin-
gen kann. Es fand ſich nämlich bei den
Hausſuchungen kein oder verſchwindend
wenig echtes Papiergeld. Im Falle Gold-
ſtein trat ein bezeichnendes Moment hinzu:
das falſche Geld fand ſich nur im Geld-
ſchrank der Privatwohnung — nicht des
Bankgeſchäftes. Und derſelbe Fall lieferte
einen weiteren Anhaltspunkt. den Sie da-
mals nicht gelten laſſen wollten: Goldſtein
gab an, daß dreihundert Kronen mehr in
ſeiner Kaſſe geweſen ſeien als bei der
Suchung gefunden wurden. All dieſe Punkte
wieſen für mich auf eine Richtung hin —
darauf nämlich: Die Fälſcher ſind zugleich
Einbrecher. Sie räumen Geldſchränke und
Schreibtiſche ihrer Opfer aus und hinter-
legen — um die Spuren der Tätigkeit gänz-
lich zu verwiſchen. und Verwirrung zu ſtif-
ten — folſches Geld in der Höhe des geſtoh-
lenen. Offenbar iſt es eine gut organiſierte
Geſellſchaft. die ihre Früchte an eine Zent-
rale abzuliefern hat, von wo dann die Ver-
teilung vorgenommen wird. In Goldſteins
Fall hat nun eines der Mitglieder — unter
Uebervorteilung der anderen — ſich einen
kleinen Nebenverdienſt gemacht. indem es
die dreihundert Kronen zurückbehielt. Es
könnte ſich dabei auch um einen Fehler im
Zählen gehandelt haben. Das iſt einerlei.
Jedenfalls werden Sie mir zugeben, daß
all dieſe Daten gut zu meiner Hypotheſe
paſſen: aber ehe ich Sie, lieber Lund, auf
dieſe Bahn ſetzen durfte, mußte ich noch Be-
weiſe für ihre Richtigkeit beſchaffen.

[Spaltenumbruch]

Ich kalkuliere nun ſo: habe ich recht, ſo
muß ein Mitglied wahrſcheinlich das Haupt
der Bande, eine angeſehene Perſönlichkeit
ſein, die zu guten Kreiſen Zutritt hat und
imſtande iſt, den ausführenden Organen die
nötigen Abdrücke von Schlüſſeln zu liefern
— denn gewaltſame Einbrüche mußten
ſelbſtverſtändlich vermieden werden — und
einen günſtigen Zeitpunkt für die verkappten
Beſuche ausbaldowern.

Wer auch immer der Kopf des Ganzen iſt
— er muß über eine beſondere Gewandt-
heit verfügen, es kommt ja darauf an, in
allerlei Lagen unbeachtete Augenblicke zu
nutzen, um etwa Wachsabdrücke herzuſtellen.
Bei ſolcher Arbeitsmethode, die nur mit
ganz kleinen Zeitmengen rechnen darf, war
es unvermeidlich, daß hie und da etwas
Wachs an einem Schlüſſel haftenblieb. Nun
habe ich tatſächlich am Hausſchlüſſel des
Profeſſors Terſchak ſowie am Schreibtiſch-
ſchlüſſel des Oberleutnants Bruun minimale
Spuren einer braunen, wachsartigen Sub-
ſtanz gefunden, und während Sie hinunter-
gingen. um Steinmann einzulaſſen, fand ich
an Blooms Zimmer- und Geldſchrank-
ſchlüſſel die gleichen Reſte. — Hier, bitte,
überzeugen Sie ſich.“

Lund war aufgeſprungen. „Was — Him-
mel —!“, rief er aufgeregt.

Rupert blickte ſchweigend, beinahe zärt-
lich, in des Freundes Geſicht.

Nachdem beide Männer die von Morris
hingereichten Objekte geprüft hatten, ſagte
Lund: „Ihre Erklärungen haben viel für
ſich. Die Tatſachen decken ſich mit ihnen,
keine widerſpricht. Das iſt wenigſtens
etwas Feſtes. Wird die Angelegenheit nun
in Fluß kommen?“

„Der Kreis der Unterſuchung iſt immer-
hin enger geworden“, meinte Morris. „Und
die Ereigniſſe heute nacht — — ich meine,
Ihr Erlebnis auf dem Ball, Herr Lund, ſo-
[Spaltenumbruch] wie der Tod Blooms — werden uns zur
weiteren Präziſierung verhelfen.“

„Eine Frage“, warf der Aſſeſſor ein.
„Nehmen wir an. Sie haben bewieſen, daß
Bloom das Opfer eines Mordes geworden
iſt — der Beweis der Uebereinſtimmung
von Fingerabdrücken auf Revolver und fal-
ſchen Banknoten ſteht noch aus, und es wird
nicht leicht ſein, hier Klärungen zu ſchaffen,
weil das durchmuſternde Material groß iſt.
Wir wollen aber einmal annehmen, daß auch
dieſe Identität feſtſtände. Wie ſtellen ſich
Ihnen dann die Vorgänge dar?“

Morris ſchüttekte nachdrücklich den Kopf.
„Die Uebereinſtimmung muß zuerſt heraus-
geſchält werden, dann können wir weitere
Schritte tun. Denn die Gefahr bei ſolchen
Unterſuchungen, daß man zwei oder mehr
parallel laufende Reihen von Ereigniſſen
miteinander verknüpft, die nichts mitein-
ander gemein haben, iſt gefährlich nahelie-
gend. Bloom iſt durch die Fälſcheraffäre
tangiert, das ſcheint mir ſicher. Ob er mit-
ſchuldig oder Opfer iſt, muß erſt klargelegt
werden. So viel ich überblicken kann, lie-
gen drei Möglichkeiten vor: entweder, ſein
Tod hat nichts mit der eigentlichen Sache
zu tun, oder er hat damit zu tun; in dieſem
Falle kann er unbequem gewordener Mit-
ſchuldiger geweſen ſein, oder er war ein
Unſchuldiger, der durch Zufall hinter Ge-
heimniſſe kam und ſtummgemacht werden
mußte. Sobald ſich gleiche Fingerſpuren auf
Revolver und Geld finden, ſcheidet die erſte
Möglichkeit aus, und ein Zuſammenhang iſt
gegeben. Beſteht aber ein ſolcher. ſo
glaube ich ſicher, daß auf dem heutigen Ball
ſich irgendein Borgang abgeſpielt hat, der
zur ſchleunigen Ermordung Blooms führte.
Nach Ausſage des Dieners war er durch-
aus gut gelaunt, ehe er ſein Haus verließ,
und beabſichtigte, in ſpäter Stunde erſt zu-
rückzukehren. Er hat dann ſeinen Wagen
telephoniſch viel früher herbeigerufen und
war höchſt verſtimmt. Ich ſelber habe nun
heute nacht eine Beobachtung gemacht, die
vielleicht ein Licht auf die Sache wirft. Als
der rote Domino — ich wußte damals noch
nicht, daß es Bloom war — um elf Uhr
das Feſt verließ, hatte er im Veſtibül mit
der Herrin des Hauſes eine lebhafte Unter-
redung, in deren Verlauf ſie ihm die Maske
[Spaltenumbruch] herunterriß. Worum es ſich gehandelt hat,
habe ich nicht verſtehen können. Die Sache
könnte die Gräfin verdächtigen, ich meine:
in der Richtung, daß — doch laſſen wir es
vorläufig.

Aber zu Ihrem Erlebnis, lieber Lundt
Sie werden von dem rotſamtenen Pagen
angeredet mit den Worten: Alfred, ich hab’
etwas angerichtet — und Alfred, wir ſind
verloren! — Wir wiſſen, daß Alfred Blooms
Koſtüm ſo beſchaffen war, daß er ſowohl
als ſchwarzer wie als roter Domino auf-
treten konnte. Wäre nun die Anrede von
jener Pompadour ausgegangen, ſo würde
ich Ihnen ohne weiteres raten, bei unſerer
ſchönen Gaſtgeberin noch vor Morgengrauen
— unter notwendiger Beiſeiteſchaffung jeder
ſentimentalen Regung — Nachforſchungen
abhalten zu laſſen. Aber die Sache liegt ja
anders …

Ihr Erlebnis mit dem Pagen, Lund, iſt
übrigens weitaus gravierender als meine zu-
fällige Beobachtung. Was ich erſpäht habe,
kann ſchließlich auf einen Streit zwiſchen
Liebesleuten hinauslaufen, wiewohl mir
einige Imponderabilien gegen dieſe An-
nahme zu ſprechen ſcheinen. — Nun, Ru-
pert, trittft du in Aktion. Du haſt doch die
gewünſchte Liſte angefertigt? Wer war
dieſer Page? Und gleich noch etwas: wer
auch die Tauſendmarkdame war, mit der du
ſelber getanzt haſt?“

Rupert zog ſein Rotizbuch heraus und
blätterte darin. Dann zog er die Achſeln:
„Nach der Demaskierung nicht mehr an-
weſend.“

„Das iſt bedenklich“, grübelte Morris.

„Scheinen Ihnen beide Perſonen nicht
ſauber? Doch wohl nur der Page?“ fragte
Lund.

„Der freilich am meiſten. Aber auch die
andere Maske. Rupert, weißt du denn gar
nichts über ſie? War’s nicht deine Her-
zensdame? — Unſere Gegner fühlen ſich
offenbar ſehr ſicher, und da iſt es nicht un-
möglich, daß ſie ſo weit gehen, ihre eigenen
Gaunereien zu parodieren. Auch kann die
Trägerin eines ſolchen Koſtümes leicht er-
fahren, was die Geſellſchaft über die Sache
denkt, und kann unter Umſtänden brauchbare
Informationen an ihre Kreaturen liefern.“

(Fortſetzung folgt)



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[Seite 12[12]/0012] „AZ am Abend“ Nr. 12 Dienstag. den 15. Januar Dreifaches Gaunerspiel EIN BANKNOTENROMAN von A. M. FREY (16. Fortſetzung) Morris unterdrückte ein Lächeln, er wurde ſogleich wieder ſachlich. Der Aſſeſſor und Steinmann ſagten nichts, ſie waren nur darauf aus, mehr zu hören, und der Ire fuhr auch fort: „Dann aber kam ein zweiter Punkt in Betracht, und er war es, der mich auf die Fährte wies, die ich, ſo abenteuerlich ſie ausſah, für die richtige hielt, und für die ich heute weſentliche Argumente wohl beibrin- gen kann. Es fand ſich nämlich bei den Hausſuchungen kein oder verſchwindend wenig echtes Papiergeld. Im Falle Gold- ſtein trat ein bezeichnendes Moment hinzu: das falſche Geld fand ſich nur im Geld- ſchrank der Privatwohnung — nicht des Bankgeſchäftes. Und derſelbe Fall lieferte einen weiteren Anhaltspunkt. den Sie da- mals nicht gelten laſſen wollten: Goldſtein gab an, daß dreihundert Kronen mehr in ſeiner Kaſſe geweſen ſeien als bei der Suchung gefunden wurden. All dieſe Punkte wieſen für mich auf eine Richtung hin — darauf nämlich: Die Fälſcher ſind zugleich Einbrecher. Sie räumen Geldſchränke und Schreibtiſche ihrer Opfer aus und hinter- legen — um die Spuren der Tätigkeit gänz- lich zu verwiſchen. und Verwirrung zu ſtif- ten — folſches Geld in der Höhe des geſtoh- lenen. Offenbar iſt es eine gut organiſierte Geſellſchaft. die ihre Früchte an eine Zent- rale abzuliefern hat, von wo dann die Ver- teilung vorgenommen wird. In Goldſteins Fall hat nun eines der Mitglieder — unter Uebervorteilung der anderen — ſich einen kleinen Nebenverdienſt gemacht. indem es die dreihundert Kronen zurückbehielt. Es könnte ſich dabei auch um einen Fehler im Zählen gehandelt haben. Das iſt einerlei. Jedenfalls werden Sie mir zugeben, daß all dieſe Daten gut zu meiner Hypotheſe paſſen: aber ehe ich Sie, lieber Lund, auf dieſe Bahn ſetzen durfte, mußte ich noch Be- weiſe für ihre Richtigkeit beſchaffen. Ich kalkuliere nun ſo: habe ich recht, ſo muß ein Mitglied wahrſcheinlich das Haupt der Bande, eine angeſehene Perſönlichkeit ſein, die zu guten Kreiſen Zutritt hat und imſtande iſt, den ausführenden Organen die nötigen Abdrücke von Schlüſſeln zu liefern — denn gewaltſame Einbrüche mußten ſelbſtverſtändlich vermieden werden — und einen günſtigen Zeitpunkt für die verkappten Beſuche ausbaldowern. Wer auch immer der Kopf des Ganzen iſt — er muß über eine beſondere Gewandt- heit verfügen, es kommt ja darauf an, in allerlei Lagen unbeachtete Augenblicke zu nutzen, um etwa Wachsabdrücke herzuſtellen. Bei ſolcher Arbeitsmethode, die nur mit ganz kleinen Zeitmengen rechnen darf, war es unvermeidlich, daß hie und da etwas Wachs an einem Schlüſſel haftenblieb. Nun habe ich tatſächlich am Hausſchlüſſel des Profeſſors Terſchak ſowie am Schreibtiſch- ſchlüſſel des Oberleutnants Bruun minimale Spuren einer braunen, wachsartigen Sub- ſtanz gefunden, und während Sie hinunter- gingen. um Steinmann einzulaſſen, fand ich an Blooms Zimmer- und Geldſchrank- ſchlüſſel die gleichen Reſte. — Hier, bitte, überzeugen Sie ſich.“ Lund war aufgeſprungen. „Was — Him- mel —!“, rief er aufgeregt. Rupert blickte ſchweigend, beinahe zärt- lich, in des Freundes Geſicht. Nachdem beide Männer die von Morris hingereichten Objekte geprüft hatten, ſagte Lund: „Ihre Erklärungen haben viel für ſich. Die Tatſachen decken ſich mit ihnen, keine widerſpricht. Das iſt wenigſtens etwas Feſtes. Wird die Angelegenheit nun in Fluß kommen?“ „Der Kreis der Unterſuchung iſt immer- hin enger geworden“, meinte Morris. „Und die Ereigniſſe heute nacht — — ich meine, Ihr Erlebnis auf dem Ball, Herr Lund, ſo- wie der Tod Blooms — werden uns zur weiteren Präziſierung verhelfen.“ „Eine Frage“, warf der Aſſeſſor ein. „Nehmen wir an. Sie haben bewieſen, daß Bloom das Opfer eines Mordes geworden iſt — der Beweis der Uebereinſtimmung von Fingerabdrücken auf Revolver und fal- ſchen Banknoten ſteht noch aus, und es wird nicht leicht ſein, hier Klärungen zu ſchaffen, weil das durchmuſternde Material groß iſt. Wir wollen aber einmal annehmen, daß auch dieſe Identität feſtſtände. Wie ſtellen ſich Ihnen dann die Vorgänge dar?“ Morris ſchüttekte nachdrücklich den Kopf. „Die Uebereinſtimmung muß zuerſt heraus- geſchält werden, dann können wir weitere Schritte tun. Denn die Gefahr bei ſolchen Unterſuchungen, daß man zwei oder mehr parallel laufende Reihen von Ereigniſſen miteinander verknüpft, die nichts mitein- ander gemein haben, iſt gefährlich nahelie- gend. Bloom iſt durch die Fälſcheraffäre tangiert, das ſcheint mir ſicher. Ob er mit- ſchuldig oder Opfer iſt, muß erſt klargelegt werden. So viel ich überblicken kann, lie- gen drei Möglichkeiten vor: entweder, ſein Tod hat nichts mit der eigentlichen Sache zu tun, oder er hat damit zu tun; in dieſem Falle kann er unbequem gewordener Mit- ſchuldiger geweſen ſein, oder er war ein Unſchuldiger, der durch Zufall hinter Ge- heimniſſe kam und ſtummgemacht werden mußte. Sobald ſich gleiche Fingerſpuren auf Revolver und Geld finden, ſcheidet die erſte Möglichkeit aus, und ein Zuſammenhang iſt gegeben. Beſteht aber ein ſolcher. ſo glaube ich ſicher, daß auf dem heutigen Ball ſich irgendein Borgang abgeſpielt hat, der zur ſchleunigen Ermordung Blooms führte. Nach Ausſage des Dieners war er durch- aus gut gelaunt, ehe er ſein Haus verließ, und beabſichtigte, in ſpäter Stunde erſt zu- rückzukehren. Er hat dann ſeinen Wagen telephoniſch viel früher herbeigerufen und war höchſt verſtimmt. Ich ſelber habe nun heute nacht eine Beobachtung gemacht, die vielleicht ein Licht auf die Sache wirft. Als der rote Domino — ich wußte damals noch nicht, daß es Bloom war — um elf Uhr das Feſt verließ, hatte er im Veſtibül mit der Herrin des Hauſes eine lebhafte Unter- redung, in deren Verlauf ſie ihm die Maske herunterriß. Worum es ſich gehandelt hat, habe ich nicht verſtehen können. Die Sache könnte die Gräfin verdächtigen, ich meine: in der Richtung, daß — doch laſſen wir es vorläufig. Aber zu Ihrem Erlebnis, lieber Lundt Sie werden von dem rotſamtenen Pagen angeredet mit den Worten: Alfred, ich hab’ etwas angerichtet — und Alfred, wir ſind verloren! — Wir wiſſen, daß Alfred Blooms Koſtüm ſo beſchaffen war, daß er ſowohl als ſchwarzer wie als roter Domino auf- treten konnte. Wäre nun die Anrede von jener Pompadour ausgegangen, ſo würde ich Ihnen ohne weiteres raten, bei unſerer ſchönen Gaſtgeberin noch vor Morgengrauen — unter notwendiger Beiſeiteſchaffung jeder ſentimentalen Regung — Nachforſchungen abhalten zu laſſen. Aber die Sache liegt ja anders … Ihr Erlebnis mit dem Pagen, Lund, iſt übrigens weitaus gravierender als meine zu- fällige Beobachtung. Was ich erſpäht habe, kann ſchließlich auf einen Streit zwiſchen Liebesleuten hinauslaufen, wiewohl mir einige Imponderabilien gegen dieſe An- nahme zu ſprechen ſcheinen. — Nun, Ru- pert, trittft du in Aktion. Du haſt doch die gewünſchte Liſte angefertigt? Wer war dieſer Page? Und gleich noch etwas: wer auch die Tauſendmarkdame war, mit der du ſelber getanzt haſt?“ Rupert zog ſein Rotizbuch heraus und blätterte darin. Dann zog er die Achſeln: „Nach der Demaskierung nicht mehr an- weſend.“ „Das iſt bedenklich“, grübelte Morris. „Scheinen Ihnen beide Perſonen nicht ſauber? Doch wohl nur der Page?“ fragte Lund. „Der freilich am meiſten. Aber auch die andere Maske. Rupert, weißt du denn gar nichts über ſie? War’s nicht deine Her- zensdame? — Unſere Gegner fühlen ſich offenbar ſehr ſicher, und da iſt es nicht un- möglich, daß ſie ſo weit gehen, ihre eigenen Gaunereien zu parodieren. Auch kann die Trägerin eines ſolchen Koſtümes leicht er- fahren, was die Geſellſchaft über die Sache denkt, und kann unter Umſtänden brauchbare Informationen an ihre Kreaturen liefern.“ (Fortſetzung folgt) _

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2020-10-02T09:49:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 15. Januar 1929, S. Seite 12[12]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine12_1929/12>, abgerufen am 15.05.2024.