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Allgemeine Zeitung, Nr. 159, 7. Juni 1860.

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den. Diese Wege find, der hügeligen Beschaffenheit des Bodens gemäß, er-
müdend und einförmig, indem meistens Manern jede Ausficht versperren. Nur
zuweilen bietet sich dem Blick eine Kirche oder ein Kloster auf höherem Hügel,
häufig verfallen und verlassen, sonst lauter Vignen, nebst einigen schlecht ange-
bauten Gemüsegärten. Die üppige Vegetation allein verschönert diese Oede.
Unser nordisches Auge kann sich nicht satt sehen an dem mannshohen Cactus,
an der indischen Feige, welche über die Mauern ranken. Selten begegnet man
einem Menschen. Die Römer spazieren auf Monte Pincio, in der Villa Bor-
ghese oder dem Corso, und die Fremden fahren, unter der traurigen Escorte
eines Lohndieners, rasch von einer Merkwürdigkeit zur andern. Indessen liegt
ein eigener Reiz in dem Hernmwandern durch die öden Gassen der Ruinen-
stadt. Das triviale Tagsgetreibe flüchtete sich ins Centrum, hier stört nichts
die großen Schatten, wir befinden uns in ihrem Reich. Fast zur Unsichtbar-
keit herabgeschwunden, verwittert, zerbröckelt, von wuchernden Schlingpflanzen
übersponnen, find in diesen Vignen die Trümmer des alten Roms zerstreut.
Aber der Geist seiner Institutionen, die Dynamis seines Seyns lebt heute
noch wie vor zweitausend Jahren -- da gieng nichts verloren. Das Phänomen
mag schwinden, jedoch des Wesens innerer, wahrer Kern, die Idee, bleibt
ewig.

Gegen Koth und Dorngestrüpp ankämpfend verfolgte ich meinen Weg,
um die Ecke biegend schreckte ich von zerbröckeltem Stein einen französischen Sol-
daten empor der ein halberwachsenes Mädchen im Arm hielt. Ein Buch fiel
zu Boden wie der Mann rasch in die Höhe sprang. Arbuste heißt piccolo
arbore,
hörte ich ihn demonstriren, während ich, ohne den Kopf zu wenden, vor-
wärts schritt. Eine der Form, den Umständen und dem Inhalt nach höchst
eigenthümliche Sprachlection!*)

Nach diesem lebendigen Bilde tönt uns melancholisch Glockengeläute ent-
gegen. Da liegt wieder einmal Kirche und Kloster. San Clemente ist der
Name; es ist tief und unfreundlich in einer Schlucht der Straße angebracht.
Die Via Labiana mündet bald nachher in die Bia Merulana; von da geht es
geradeaus dem Lateranplatz zu, auf dem sich ein strahlenförmiges Straßennetz
vereinigt. Nach kurzem Blick auf die Basilika und den Palast trete ich in das
gegenüberliegende kleine Haus, welches man über die scala santa erbant hat.
Es soll angeblich die nämliche Treppe seyn welche der Sage nach Christus im
Haus des Pontius betreten hat. Zwei Frauen, ihrer Kleidung gemäß der
wohlhabenden Classe angehörend, rutschten sie eben auf den Knieen hinan. Ich
betrachtete den schönen Christus aus weißem Marmor am Fuß der Treppe;
mehr als bei irgendeinem andern befriedigte mich hier die Auffassung. Da
steht er als Meister und Lehrer, freilich nicht so durchleuchtet vom göttlichen
Geist wie ihn der ächte Künstler schaffen möchte der mit Liebe und Verständ-
niß ans herrliche Werk gieng. So ist es doch wenigstens auch nicht die ver-
zerrte Leidensgestalt die uns selbst bei Michel Angelo's Meisterwerk anwidert.

Ich flüchte wieder ins Freie aus dem engen düstern Haus. Im Hinter-
grund erhebt sich ein Mann in schwarzem Talar, mit weißgesticktem, flammen-
dem Herzen auf der Brust; er vertritt den Weg und hält mir eine Geldbüchse
hin. Sein Geschäft schien darin zu bestehen geschriebene Certificate für die-
jenigen auszustellen welche die scala santa hinaufgerutscht.

Wofür soll ich zahlen, Mann? ...

Der Schwarze mit dem flammenden Herzen murmelte etwas von here-
tico,
und schlich zu den gläubigen Weiblein zurück, bei denen er wahrscheinlich
eine bessere Ernte hielt.

Ven der Laterankirche aus führt eine schöne, mit Bäumen bepflanzte
Straße nach Santa Croce. Rechts hat sie die alte Stadtmauer, links in den
Bignen den zerbrochenen Acquäduct des Claudius. An die Ruinen des Aufi-
teatro castrense lehnt sich das Kloster von Santa Croce. Ein Mönch tritt
aus dem Portal, er entblößt sein silberhaariges Hanpt, als er mich gewahrt.
Friede liegt auf den ernsten, ruhigen Zügen. Auf freundlicher, schöner Stelle
ist das Kloster von Santa Croce erbaut, und mag wohl dem Alter eine liebe
Freistätte seyn.

Gott zum Gruß, guter Mönch, wir find alle Brüder! Der Wege gibt
es viele, aber das Ziel ist nur eins! Im Centrum da treffen die Radien
zusammen!

Sinnend folgt mein Auge dem Silberhaarigen, wie er den Fußpfad ein-
schlägt nach den nahen Häusern. Vielleicht wird er als Bote des Trostes in
eins derselben treten. Der blaue Himmel wölbt sich über die Greisengestalt,
die weiche römische Luft umspielt den Mönch, während er von Alter gebückt
dahinschreitet. Der Süden hat der Scenerie sein warmes Colorit aufgedrückt,
und daher ist das Bild weniger düster als es unter ähnlichen Umständen im
Norden ausfiele.

Zu kurzer Rast trat ich in die Kirche. Der Weg war weit, und man zieht
in Rom nicht leer seine Straße; da gibt es der Goldkörner gar viele die der
Sammler aufhebt und geistig verarbeitet. Ich setze mich in eine stille Ecke
hinter mächtigen Steinpfeilern, unbemerkt von dem Laienbruder der durch die
Hallen der Kirche schlarft und mechanisch die Altäre ordnet. Diese Maschi-
nerie des Gottesdienstes berührt stets unangenehm.

Noch einen Rückblick vor dem Scheiden auf die hübschen Klostergebände.
Da neigt sich ein junger Mönch zum Fenster hinab, sehnsüchtig schien er in
die Ferne zu starren. Als zufällig sein Auge das meinige traf, zog er schen den
Kopf zurück. Ein junger Mönch stimmt mich immer traurig; es gehört viel
Kraft dazu in einem solchen Beruf auszuharren ohne auf irgendwelche Ab-
wege zu gerathen. Auf der andern Seite des Klosters sind einige stark beschä-
digte Bögen, dem ehemaligen Tempel der Venus und des Cupido angehöriz.
Seltsames Rom, voll von Contraften!



Deutschland.

Gestern tagte dahier die erste Wanderver-
sammlung der badischen Gewerbvereine. Von etwa 30 Landesvereinen
hatten 17 ihre Vertreter gesandt -- einen auf je 50 ihrer Mitglieder;
mit den sonstigen Theilnehmern ergab dieß eine Versammlung von etwa
120 Personen. Sonst pflegt man sich, wie der Vorsitzende Professor Knies
bemerkte, von der Arbeit durch den Genuß abzuspannen; dießmal folgte die
Arbeit einem Genuß auf dem Fuße, der während des dreitägigen sang-,
klang- und regenvollen Sängerfestes die Gränzen, wo sich, nach Goethe, die
Freuden von Leiden kaum noch unterscheiden, beinahe überschritten hatte.
Allein die Arbeit schien vielleicht gerade darum nur wie eine Erfrischung zu
wirken; wenigstens sind während der beinahe fünfstündigen Discussion alle
Richtungen in der Gewerbefrage tüchtig aufeinandergeplatzt, und wurde eine
Abspannung höchstens bei dem dann folgenden Festessen bemerkbar. Nach
dem unvermeidlichen Zeitverderb über die Fragestellung gieng man zur all-
gemeinen Erörterung des ersten Gegenstandes der Tagesordnung: Zunft-
wesen, Gewerbe Ordnung oder Gewerbefreiheit. Wie fast überall wieder-
holte sich auch hier die Erfahrung daß der ganze denkende Theil des Gewerb-
standes nicht nur von der Unhaltbarkeit, auch von der Verwerflichkeit der
best henden Zunftmißbräuche überzeugt oder jedenfalls unschwer zu über-
zeugen ist. Von dem Verdammungsurtheil das schließlich über den Lehr-
und Wanderzwang, das Meisterstück und die zünftige Trennung der Ge-
werbszweige ausgesprochen wurde, hat sich auch nicht Ein Vertreter, sey es
im eigenen oder im Namen seiner Committenten, ausgeschlossen. Dagegen
wiederholte sich auch die allgemeine Erfahrung daß sich noch die wenigsten
darüber klar sind wie die Auflösung des Zunftwesens und die Gewähr einer
gesetzlich geficherten Bildungs und Erwerbefreiheit nicht etwa die zerstören-
den, sondern die schaffenden und ordnenden Kräfte der Volkswirthschaft ent-
fesselt. Man ließ sich zwar, wie von einigen Rednern, insbesondere dem
Vorsitzenden, mit überzeugender Klarheit geschah, gern belehren wie durch
die bestehende Zunftverfassung der Gemeinsinn geflissentlich zerrüttet, und
nicht die Arbeit gegen das Capital, sondern im Gegentheil das große, schon
gegenwärtig gewerbefreie Capital gegen die zünftig eingeengte und polizeilich
gemaßregelte vermögenslose Betriebsamkeit geschützt werde. Die bekannten
Redensarten von der unter der Gewerbefreiheit zu erwartenden "weißen Skla-
verei," und der dann unvermeidlichen Alleinherrschaft der Fabricanten und
"Juden," womit ein jugendlicher Loyola aus dem Freiburger katholischen
Gesellenverein mit seltener Unbefangenheit die Versammlung regalirte, muß-
ten sich schließlich mit einer allgemeinen ironischen Beisallsbezeugung genügen
lassen. Allein nicht so leicht war die Besorgniß zum Schweigen ge-
bracht daß die Gewerbefreiheit, wenn sie auch gerade für den kleineren Hand-
werker freie Bahn schaffe, doch aus sich allein die gesicherte Lebensordnung,
wonach dieser vor allem verlangt, nicht zu erzeugen vermöge. Um beides,
die Freiheit und die Sicherheit, zu vereinigen, verlange man, wie sich ein
Mitglied ausdrückte, in seinen Kreisen eine "liberale Gewerbe-Ordnung."
Auch dieses Bedenken fand jedoch wenigstens im Schooße der Versammlung
seine Erledigung. Zwischen der Freiheit, wurde geltend gemacht, und einer
gesetzlich regulirten und auf dem Verwaltungswege gegängelten Gewerbe-
Ordnung bestehe zwar ein unversöhnlicher Zwiespalt; es heiße das nur die
alten Zunftmißbräuche unter neuem Namen wiederum ins Leben rufen. Da-
gegen lehre aber die Geschichte aller lebenskräftigen Genossenschaften, in
neuer und alter Zeit, selbst die der mittelalterlichen Zünfte, wie der Ge-
meinsinn, wenn man ihn nur frei gewähren lasse, aus eigener Kraft eine
Mannichfaltigkeit von Vereinen erzeuge, die für jeden Gemeinzweck und für
alle Wechselfälle des Lebens durch das einträchtige Zusammenwirken der vie-
len schwächeren Kräfte auch jeder einzelnen schwächeren Kraft eine wirksame
Unterstützung gewährten. Nur ließe sich diese segensreiche genossenschaftliche
Entwicklung, eben weil sie in der eigenen Kraft der Gewerbtreibenden und
daher wesentlich noch im Schooße der Zukunft ruhe, nicht mit Einem Schlage
und am wenigsten durch eine papierne Gewerbe-Ordnung hervorzaubern.
Für die Zukunft dieses freithätigen Gemeingeistes spräche dagegen das Bei-
spiel der Schulze-Delitz'schen Genossenschaften und der Gewerbevereine; und

*) Die geschlechtliche Liederlichkeit der Franzosen, mit ihren gleichnamigen Folgen,
ist eine allgemeine Klage in Rom; wie sie es noch überall war wohin diese
"Civilisateurs" gekommen sind.

den. Dieſe Wege find, der hügeligen Beſchaffenheit des Bodens gemäß, er-
müdend und einförmig, indem meiſtens Manern jede Ausficht verſperren. Nur
zuweilen bietet ſich dem Blick eine Kirche oder ein Kloſter auf höherem Hügel,
häufig verfallen und verlaſſen, ſonſt lauter Vignen, nebſt einigen ſchlecht ange-
bauten Gemüſegärten. Die üppige Vegetation allein verſchönert dieſe Oede.
Unſer nordiſches Auge kann ſich nicht ſatt ſehen an dem mannshohen Cactus,
an der indiſchen Feige, welche über die Mauern ranken. Selten begegnet man
einem Menſchen. Die Römer ſpazieren auf Monte Pincio, in der Villa Bor-
gheſe oder dem Corſo, und die Fremden fahren, unter der traurigen Escorte
eines Lohndieners, raſch von einer Merkwürdigkeit zur andern. Indeſſen liegt
ein eigener Reiz in dem Hernmwandern durch die öden Gaſſen der Ruinen-
ſtadt. Das triviale Tagsgetreibe flüchtete ſich ins Centrum, hier ſtört nichts
die großen Schatten, wir befinden uns in ihrem Reich. Faſt zur Unſichtbar-
keit herabgeſchwunden, verwittert, zerbröckelt, von wuchernden Schlingpflanzen
überſponnen, find in dieſen Vignen die Trümmer des alten Roms zerſtreut.
Aber der Geiſt ſeiner Inſtitutionen, die Dynamis ſeines Seyns lebt heute
noch wie vor zweitauſend Jahren — da gieng nichts verloren. Das Phänomen
mag ſchwinden, jedoch des Weſens innerer, wahrer Kern, die Idee, bleibt
ewig.

Gegen Koth und Dorngeſtrüpp ankämpfend verfolgte ich meinen Weg,
um die Ecke biegend ſchreckte ich von zerbröckeltem Stein einen franzöſiſchen Sol-
daten empor der ein halberwachſenes Mädchen im Arm hielt. Ein Buch fiel
zu Boden wie der Mann raſch in die Höhe ſprang. Arbuste heißt piccolo
arbore,
hörte ich ihn demonſtriren, während ich, ohne den Kopf zu wenden, vor-
wärts ſchritt. Eine der Form, den Umſtänden und dem Inhalt nach höchſt
eigenthümliche Sprachlection!*)

Nach dieſem lebendigen Bilde tönt uns melancholiſch Glockengeläute ent-
gegen. Da liegt wieder einmal Kirche und Kloſter. San Clemente iſt der
Name; es iſt tief und unfreundlich in einer Schlucht der Straße angebracht.
Die Via Labiana mündet bald nachher in die Bia Merulana; von da geht es
geradeaus dem Lateranplatz zu, auf dem ſich ein ſtrahlenförmiges Straßennetz
vereinigt. Nach kurzem Blick auf die Baſilika und den Palaſt trete ich in das
gegenüberliegende kleine Haus, welches man über die scala santa erbant hat.
Es ſoll angeblich die nämliche Treppe ſeyn welche der Sage nach Chriſtus im
Haus des Pontius betreten hat. Zwei Frauen, ihrer Kleidung gemäß der
wohlhabenden Claſſe angehörend, rutſchten ſie eben auf den Knieen hinan. Ich
betrachtete den ſchönen Chriſtus aus weißem Marmor am Fuß der Treppe;
mehr als bei irgendeinem andern befriedigte mich hier die Auffaſſung. Da
ſteht er als Meiſter und Lehrer, freilich nicht ſo durchleuchtet vom göttlichen
Geiſt wie ihn der ächte Künſtler ſchaffen möchte der mit Liebe und Verſtänd-
niß ans herrliche Werk gieng. So iſt es doch wenigſtens auch nicht die ver-
zerrte Leidensgeſtalt die uns ſelbſt bei Michel Angelo’s Meiſterwerk anwidert.

Ich flüchte wieder ins Freie aus dem engen düſtern Haus. Im Hinter-
grund erhebt ſich ein Mann in ſchwarzem Talar, mit weißgeſticktem, flammen-
dem Herzen auf der Bruſt; er vertritt den Weg und hält mir eine Geldbüchſe
hin. Sein Geſchäft ſchien darin zu beſtehen geſchriebene Certificate für die-
jenigen auszuſtellen welche die scala santa hinaufgerutſcht.

Wofür ſoll ich zahlen, Mann? ...

Der Schwarze mit dem flammenden Herzen murmelte etwas von here-
tico,
und ſchlich zu den gläubigen Weiblein zurück, bei denen er wahrſcheinlich
eine beſſere Ernte hielt.

Ven der Laterankirche aus führt eine ſchöne, mit Bäumen bepflanzte
Straße nach Santa Croce. Rechts hat ſie die alte Stadtmauer, links in den
Bignen den zerbrochenen Acquäduct des Claudius. An die Ruinen des Aufi-
teatro caſtrenſe lehnt ſich das Kloſter von Santa Croce. Ein Mönch tritt
aus dem Portal, er entblößt ſein ſilberhaariges Hanpt, als er mich gewahrt.
Friede liegt auf den ernſten, ruhigen Zügen. Auf freundlicher, ſchöner Stelle
iſt das Kloſter von Santa Croce erbaut, und mag wohl dem Alter eine liebe
Freiſtätte ſeyn.

Gott zum Gruß, guter Mönch, wir find alle Brüder! Der Wege gibt
es viele, aber das Ziel iſt nur eins! Im Centrum da treffen die Radien
zuſammen!

Sinnend folgt mein Auge dem Silberhaarigen, wie er den Fußpfad ein-
ſchlägt nach den nahen Häuſern. Vielleicht wird er als Bote des Troſtes in
eins derſelben treten. Der blaue Himmel wölbt ſich über die Greiſengeſtalt,
die weiche römiſche Luft umſpielt den Mönch, während er von Alter gebückt
dahinſchreitet. Der Süden hat der Scenerie ſein warmes Colorit aufgedrückt,
und daher iſt das Bild weniger düſter als es unter ähnlichen Umſtänden im
Norden ausfiele.

Zu kurzer Raſt trat ich in die Kirche. Der Weg war weit, und man zieht
in Rom nicht leer ſeine Straße; da gibt es der Goldkörner gar viele die der
Sammler aufhebt und geiſtig verarbeitet. Ich ſetze mich in eine ſtille Ecke
hinter mächtigen Steinpfeilern, unbemerkt von dem Laienbruder der durch die
Hallen der Kirche ſchlarft und mechaniſch die Altäre ordnet. Dieſe Maſchi-
nerie des Gottesdienſtes berührt ſtets unangenehm.

Noch einen Rückblick vor dem Scheiden auf die hübſchen Kloſtergebände.
Da neigt ſich ein junger Mönch zum Fenſter hinab, ſehnſüchtig ſchien er in
die Ferne zu ſtarren. Als zufällig ſein Auge das meinige traf, zog er ſchen den
Kopf zurück. Ein junger Mönch ſtimmt mich immer traurig; es gehört viel
Kraft dazu in einem ſolchen Beruf auszuharren ohne auf irgendwelche Ab-
wege zu gerathen. Auf der andern Seite des Kloſters ſind einige ſtark beſchä-
digte Bögen, dem ehemaligen Tempel der Venus und des Cupido angehöriz.
Seltſames Rom, voll von Contraften!



Deutſchland.

Geſtern tagte dahier die erſte Wanderver-
ſammlung der badiſchen Gewerbvereine. Von etwa 30 Landesvereinen
hatten 17 ihre Vertreter geſandt — einen auf je 50 ihrer Mitglieder;
mit den ſonſtigen Theilnehmern ergab dieß eine Verſammlung von etwa
120 Perſonen. Sonſt pflegt man ſich, wie der Vorſitzende Profeſſor Knies
bemerkte, von der Arbeit durch den Genuß abzuſpannen; dießmal folgte die
Arbeit einem Genuß auf dem Fuße, der während des dreitägigen ſang-,
klang- und regenvollen Sängerfeſtes die Gränzen, wo ſich, nach Goethe, die
Freuden von Leiden kaum noch unterſcheiden, beinahe überſchritten hatte.
Allein die Arbeit ſchien vielleicht gerade darum nur wie eine Erfriſchung zu
wirken; wenigſtens ſind während der beinahe fünfſtündigen Discuſſion alle
Richtungen in der Gewerbefrage tüchtig aufeinandergeplatzt, und wurde eine
Abſpannung höchſtens bei dem dann folgenden Feſteſſen bemerkbar. Nach
dem unvermeidlichen Zeitverderb über die Frageſtellung gieng man zur all-
gemeinen Erörterung des erſten Gegenſtandes der Tagesordnung: Zunft-
weſen, Gewerbe Ordnung oder Gewerbefreiheit. Wie faſt überall wieder-
holte ſich auch hier die Erfahrung daß der ganze denkende Theil des Gewerb-
ſtandes nicht nur von der Unhaltbarkeit, auch von der Verwerflichkeit der
beſt henden Zunftmißbräuche überzeugt oder jedenfalls unſchwer zu über-
zeugen iſt. Von dem Verdammungsurtheil das ſchließlich über den Lehr-
und Wanderzwang, das Meiſterſtück und die zünftige Trennung der Ge-
werbszweige ausgeſprochen wurde, hat ſich auch nicht Ein Vertreter, ſey es
im eigenen oder im Namen ſeiner Committenten, ausgeſchloſſen. Dagegen
wiederholte ſich auch die allgemeine Erfahrung daß ſich noch die wenigſten
darüber klar ſind wie die Auflöſung des Zunftweſens und die Gewähr einer
geſetzlich geficherten Bildungs und Erwerbefreiheit nicht etwa die zerſtören-
den, ſondern die ſchaffenden und ordnenden Kräfte der Volkswirthſchaft ent-
feſſelt. Man ließ ſich zwar, wie von einigen Rednern, insbeſondere dem
Vorſitzenden, mit überzeugender Klarheit geſchah, gern belehren wie durch
die beſtehende Zunftverfaſſung der Gemeinſinn gefliſſentlich zerrüttet, und
nicht die Arbeit gegen das Capital, ſondern im Gegentheil das große, ſchon
gegenwärtig gewerbefreie Capital gegen die zünftig eingeengte und polizeilich
gemaßregelte vermögensloſe Betriebſamkeit geſchützt werde. Die bekannten
Redensarten von der unter der Gewerbefreiheit zu erwartenden „weißen Skla-
verei,“ und der dann unvermeidlichen Alleinherrſchaft der Fabricanten und
„Juden,“ womit ein jugendlicher Loyola aus dem Freiburger katholiſchen
Geſellenverein mit ſeltener Unbefangenheit die Verſammlung regalirte, muß-
ten ſich ſchließlich mit einer allgemeinen ironiſchen Beiſallsbezeugung genügen
laſſen. Allein nicht ſo leicht war die Beſorgniß zum Schweigen ge-
bracht daß die Gewerbefreiheit, wenn ſie auch gerade für den kleineren Hand-
werker freie Bahn ſchaffe, doch aus ſich allein die geſicherte Lebensordnung,
wonach dieſer vor allem verlangt, nicht zu erzeugen vermöge. Um beides,
die Freiheit und die Sicherheit, zu vereinigen, verlange man, wie ſich ein
Mitglied ausdrückte, in ſeinen Kreiſen eine „liberale Gewerbe-Ordnung.“
Auch dieſes Bedenken fand jedoch wenigſtens im Schooße der Verſammlung
ſeine Erledigung. Zwiſchen der Freiheit, wurde geltend gemacht, und einer
geſetzlich regulirten und auf dem Verwaltungswege gegängelten Gewerbe-
Ordnung beſtehe zwar ein unverſöhnlicher Zwieſpalt; es heiße das nur die
alten Zunftmißbräuche unter neuem Namen wiederum ins Leben rufen. Da-
gegen lehre aber die Geſchichte aller lebenskräftigen Genoſſenſchaften, in
neuer und alter Zeit, ſelbſt die der mittelalterlichen Zünfte, wie der Ge-
meinſinn, wenn man ihn nur frei gewähren laſſe, aus eigener Kraft eine
Mannichfaltigkeit von Vereinen erzeuge, die für jeden Gemeinzweck und für
alle Wechſelfälle des Lebens durch das einträchtige Zuſammenwirken der vie-
len ſchwächeren Kräfte auch jeder einzelnen ſchwächeren Kraft eine wirkſame
Unterſtützung gewährten. Nur ließe ſich dieſe ſegensreiche genoſſenſchaftliche
Entwicklung, eben weil ſie in der eigenen Kraft der Gewerbtreibenden und
daher weſentlich noch im Schooße der Zukunft ruhe, nicht mit Einem Schlage
und am wenigſten durch eine papierne Gewerbe-Ordnung hervorzaubern.
Für die Zukunft dieſes freithätigen Gemeingeiſtes ſpräche dagegen das Bei-
ſpiel der Schulze-Delitz’ſchen Genoſſenſchaften und der Gewerbevereine; und

*) Die geſchlechtliche Liederlichkeit der Franzoſen, mit ihren gleichnamigen Folgen,
iſt eine allgemeine Klage in Rom; wie ſie es noch überall war wohin dieſe
„Civiliſateurs“ gekommen ſind.
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[2663/0019] den. Dieſe Wege find, der hügeligen Beſchaffenheit des Bodens gemäß, er- müdend und einförmig, indem meiſtens Manern jede Ausficht verſperren. Nur zuweilen bietet ſich dem Blick eine Kirche oder ein Kloſter auf höherem Hügel, häufig verfallen und verlaſſen, ſonſt lauter Vignen, nebſt einigen ſchlecht ange- bauten Gemüſegärten. Die üppige Vegetation allein verſchönert dieſe Oede. Unſer nordiſches Auge kann ſich nicht ſatt ſehen an dem mannshohen Cactus, an der indiſchen Feige, welche über die Mauern ranken. Selten begegnet man einem Menſchen. Die Römer ſpazieren auf Monte Pincio, in der Villa Bor- gheſe oder dem Corſo, und die Fremden fahren, unter der traurigen Escorte eines Lohndieners, raſch von einer Merkwürdigkeit zur andern. Indeſſen liegt ein eigener Reiz in dem Hernmwandern durch die öden Gaſſen der Ruinen- ſtadt. Das triviale Tagsgetreibe flüchtete ſich ins Centrum, hier ſtört nichts die großen Schatten, wir befinden uns in ihrem Reich. Faſt zur Unſichtbar- keit herabgeſchwunden, verwittert, zerbröckelt, von wuchernden Schlingpflanzen überſponnen, find in dieſen Vignen die Trümmer des alten Roms zerſtreut. Aber der Geiſt ſeiner Inſtitutionen, die Dynamis ſeines Seyns lebt heute noch wie vor zweitauſend Jahren — da gieng nichts verloren. Das Phänomen mag ſchwinden, jedoch des Weſens innerer, wahrer Kern, die Idee, bleibt ewig. Gegen Koth und Dorngeſtrüpp ankämpfend verfolgte ich meinen Weg, um die Ecke biegend ſchreckte ich von zerbröckeltem Stein einen franzöſiſchen Sol- daten empor der ein halberwachſenes Mädchen im Arm hielt. Ein Buch fiel zu Boden wie der Mann raſch in die Höhe ſprang. Arbuste heißt piccolo arbore, hörte ich ihn demonſtriren, während ich, ohne den Kopf zu wenden, vor- wärts ſchritt. Eine der Form, den Umſtänden und dem Inhalt nach höchſt eigenthümliche Sprachlection! *) Nach dieſem lebendigen Bilde tönt uns melancholiſch Glockengeläute ent- gegen. Da liegt wieder einmal Kirche und Kloſter. San Clemente iſt der Name; es iſt tief und unfreundlich in einer Schlucht der Straße angebracht. Die Via Labiana mündet bald nachher in die Bia Merulana; von da geht es geradeaus dem Lateranplatz zu, auf dem ſich ein ſtrahlenförmiges Straßennetz vereinigt. Nach kurzem Blick auf die Baſilika und den Palaſt trete ich in das gegenüberliegende kleine Haus, welches man über die scala santa erbant hat. Es ſoll angeblich die nämliche Treppe ſeyn welche der Sage nach Chriſtus im Haus des Pontius betreten hat. Zwei Frauen, ihrer Kleidung gemäß der wohlhabenden Claſſe angehörend, rutſchten ſie eben auf den Knieen hinan. Ich betrachtete den ſchönen Chriſtus aus weißem Marmor am Fuß der Treppe; mehr als bei irgendeinem andern befriedigte mich hier die Auffaſſung. Da ſteht er als Meiſter und Lehrer, freilich nicht ſo durchleuchtet vom göttlichen Geiſt wie ihn der ächte Künſtler ſchaffen möchte der mit Liebe und Verſtänd- niß ans herrliche Werk gieng. So iſt es doch wenigſtens auch nicht die ver- zerrte Leidensgeſtalt die uns ſelbſt bei Michel Angelo’s Meiſterwerk anwidert. Ich flüchte wieder ins Freie aus dem engen düſtern Haus. Im Hinter- grund erhebt ſich ein Mann in ſchwarzem Talar, mit weißgeſticktem, flammen- dem Herzen auf der Bruſt; er vertritt den Weg und hält mir eine Geldbüchſe hin. Sein Geſchäft ſchien darin zu beſtehen geſchriebene Certificate für die- jenigen auszuſtellen welche die scala santa hinaufgerutſcht. Wofür ſoll ich zahlen, Mann? ... Der Schwarze mit dem flammenden Herzen murmelte etwas von here- tico, und ſchlich zu den gläubigen Weiblein zurück, bei denen er wahrſcheinlich eine beſſere Ernte hielt. Ven der Laterankirche aus führt eine ſchöne, mit Bäumen bepflanzte Straße nach Santa Croce. Rechts hat ſie die alte Stadtmauer, links in den Bignen den zerbrochenen Acquäduct des Claudius. An die Ruinen des Aufi- teatro caſtrenſe lehnt ſich das Kloſter von Santa Croce. Ein Mönch tritt aus dem Portal, er entblößt ſein ſilberhaariges Hanpt, als er mich gewahrt. Friede liegt auf den ernſten, ruhigen Zügen. Auf freundlicher, ſchöner Stelle iſt das Kloſter von Santa Croce erbaut, und mag wohl dem Alter eine liebe Freiſtätte ſeyn. Gott zum Gruß, guter Mönch, wir find alle Brüder! Der Wege gibt es viele, aber das Ziel iſt nur eins! Im Centrum da treffen die Radien zuſammen! Sinnend folgt mein Auge dem Silberhaarigen, wie er den Fußpfad ein- ſchlägt nach den nahen Häuſern. Vielleicht wird er als Bote des Troſtes in eins derſelben treten. Der blaue Himmel wölbt ſich über die Greiſengeſtalt, die weiche römiſche Luft umſpielt den Mönch, während er von Alter gebückt dahinſchreitet. Der Süden hat der Scenerie ſein warmes Colorit aufgedrückt, und daher iſt das Bild weniger düſter als es unter ähnlichen Umſtänden im Norden ausfiele. Zu kurzer Raſt trat ich in die Kirche. Der Weg war weit, und man zieht in Rom nicht leer ſeine Straße; da gibt es der Goldkörner gar viele die der Sammler aufhebt und geiſtig verarbeitet. Ich ſetze mich in eine ſtille Ecke hinter mächtigen Steinpfeilern, unbemerkt von dem Laienbruder der durch die Hallen der Kirche ſchlarft und mechaniſch die Altäre ordnet. Dieſe Maſchi- nerie des Gottesdienſtes berührt ſtets unangenehm. Noch einen Rückblick vor dem Scheiden auf die hübſchen Kloſtergebände. Da neigt ſich ein junger Mönch zum Fenſter hinab, ſehnſüchtig ſchien er in die Ferne zu ſtarren. Als zufällig ſein Auge das meinige traf, zog er ſchen den Kopf zurück. Ein junger Mönch ſtimmt mich immer traurig; es gehört viel Kraft dazu in einem ſolchen Beruf auszuharren ohne auf irgendwelche Ab- wege zu gerathen. Auf der andern Seite des Kloſters ſind einige ſtark beſchä- digte Bögen, dem ehemaligen Tempel der Venus und des Cupido angehöriz. Seltſames Rom, voll von Contraften! Deutſchland. Freiburg, 31 Mai. Geſtern tagte dahier die erſte Wanderver- ſammlung der badiſchen Gewerbvereine. Von etwa 30 Landesvereinen hatten 17 ihre Vertreter geſandt — einen auf je 50 ihrer Mitglieder; mit den ſonſtigen Theilnehmern ergab dieß eine Verſammlung von etwa 120 Perſonen. Sonſt pflegt man ſich, wie der Vorſitzende Profeſſor Knies bemerkte, von der Arbeit durch den Genuß abzuſpannen; dießmal folgte die Arbeit einem Genuß auf dem Fuße, der während des dreitägigen ſang-, klang- und regenvollen Sängerfeſtes die Gränzen, wo ſich, nach Goethe, die Freuden von Leiden kaum noch unterſcheiden, beinahe überſchritten hatte. Allein die Arbeit ſchien vielleicht gerade darum nur wie eine Erfriſchung zu wirken; wenigſtens ſind während der beinahe fünfſtündigen Discuſſion alle Richtungen in der Gewerbefrage tüchtig aufeinandergeplatzt, und wurde eine Abſpannung höchſtens bei dem dann folgenden Feſteſſen bemerkbar. Nach dem unvermeidlichen Zeitverderb über die Frageſtellung gieng man zur all- gemeinen Erörterung des erſten Gegenſtandes der Tagesordnung: Zunft- weſen, Gewerbe Ordnung oder Gewerbefreiheit. Wie faſt überall wieder- holte ſich auch hier die Erfahrung daß der ganze denkende Theil des Gewerb- ſtandes nicht nur von der Unhaltbarkeit, auch von der Verwerflichkeit der beſt henden Zunftmißbräuche überzeugt oder jedenfalls unſchwer zu über- zeugen iſt. Von dem Verdammungsurtheil das ſchließlich über den Lehr- und Wanderzwang, das Meiſterſtück und die zünftige Trennung der Ge- werbszweige ausgeſprochen wurde, hat ſich auch nicht Ein Vertreter, ſey es im eigenen oder im Namen ſeiner Committenten, ausgeſchloſſen. Dagegen wiederholte ſich auch die allgemeine Erfahrung daß ſich noch die wenigſten darüber klar ſind wie die Auflöſung des Zunftweſens und die Gewähr einer geſetzlich geficherten Bildungs und Erwerbefreiheit nicht etwa die zerſtören- den, ſondern die ſchaffenden und ordnenden Kräfte der Volkswirthſchaft ent- feſſelt. Man ließ ſich zwar, wie von einigen Rednern, insbeſondere dem Vorſitzenden, mit überzeugender Klarheit geſchah, gern belehren wie durch die beſtehende Zunftverfaſſung der Gemeinſinn gefliſſentlich zerrüttet, und nicht die Arbeit gegen das Capital, ſondern im Gegentheil das große, ſchon gegenwärtig gewerbefreie Capital gegen die zünftig eingeengte und polizeilich gemaßregelte vermögensloſe Betriebſamkeit geſchützt werde. Die bekannten Redensarten von der unter der Gewerbefreiheit zu erwartenden „weißen Skla- verei,“ und der dann unvermeidlichen Alleinherrſchaft der Fabricanten und „Juden,“ womit ein jugendlicher Loyola aus dem Freiburger katholiſchen Geſellenverein mit ſeltener Unbefangenheit die Verſammlung regalirte, muß- ten ſich ſchließlich mit einer allgemeinen ironiſchen Beiſallsbezeugung genügen laſſen. Allein nicht ſo leicht war die Beſorgniß zum Schweigen ge- bracht daß die Gewerbefreiheit, wenn ſie auch gerade für den kleineren Hand- werker freie Bahn ſchaffe, doch aus ſich allein die geſicherte Lebensordnung, wonach dieſer vor allem verlangt, nicht zu erzeugen vermöge. Um beides, die Freiheit und die Sicherheit, zu vereinigen, verlange man, wie ſich ein Mitglied ausdrückte, in ſeinen Kreiſen eine „liberale Gewerbe-Ordnung.“ Auch dieſes Bedenken fand jedoch wenigſtens im Schooße der Verſammlung ſeine Erledigung. Zwiſchen der Freiheit, wurde geltend gemacht, und einer geſetzlich regulirten und auf dem Verwaltungswege gegängelten Gewerbe- Ordnung beſtehe zwar ein unverſöhnlicher Zwieſpalt; es heiße das nur die alten Zunftmißbräuche unter neuem Namen wiederum ins Leben rufen. Da- gegen lehre aber die Geſchichte aller lebenskräftigen Genoſſenſchaften, in neuer und alter Zeit, ſelbſt die der mittelalterlichen Zünfte, wie der Ge- meinſinn, wenn man ihn nur frei gewähren laſſe, aus eigener Kraft eine Mannichfaltigkeit von Vereinen erzeuge, die für jeden Gemeinzweck und für alle Wechſelfälle des Lebens durch das einträchtige Zuſammenwirken der vie- len ſchwächeren Kräfte auch jeder einzelnen ſchwächeren Kraft eine wirkſame Unterſtützung gewährten. Nur ließe ſich dieſe ſegensreiche genoſſenſchaftliche Entwicklung, eben weil ſie in der eigenen Kraft der Gewerbtreibenden und daher weſentlich noch im Schooße der Zukunft ruhe, nicht mit Einem Schlage und am wenigſten durch eine papierne Gewerbe-Ordnung hervorzaubern. Für die Zukunft dieſes freithätigen Gemeingeiſtes ſpräche dagegen das Bei- ſpiel der Schulze-Delitz’ſchen Genoſſenſchaften und der Gewerbevereine; und *) Die geſchlechtliche Liederlichkeit der Franzoſen, mit ihren gleichnamigen Folgen, iſt eine allgemeine Klage in Rom; wie ſie es noch überall war wohin dieſe „Civiliſateurs“ gekommen ſind.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-01-12T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 159, 7. Juni 1860, S. 2663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine159_1860/19>, abgerufen am 15.05.2024.