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Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 25. Rudolstadt, 19. Juni 1848.

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Das Wetter war heute schön und unser Schiff segelt ruhig
Schottlands Nordspitze zu. Heute Morgen gab es zuerst tüchtigen
Lärm, und zwar -- erschreckt nicht -- wegen Läuse. Bei mehren
Familien hatte man nämlich bemerkt, daß diese freundlichen Thier-
chen Quartier genommen und wie Abrahams Same sich ver-
mehrt hatten; nun entstand Lärm und Fluchen; Jene mußten mit
Bett und allen ihren Sachen herauf auf's Deck und sich säubern,
wobei sie fast ganz entkleidet wurden. Nachher wollten ihre Nach-
barn sie nicht wieder aufnehmen, und wo anders fand diese Ko-
lonie ebensowenig Zulaß; endlich, nachdem sich die Gemüther etwas
beruhigt, kamen sie an ihren alten Platz. Aber das Toben
und Lärmen bei all diesen Sachen ist für den Neutralen zum
Todtlachen. Ob ich selbst übrigens, trotz aller Vorsicht, von diesem
"Marschir langsam" befreit bleiben werde, muß ich dahingestellt
sein lassen, zumal ich in meiner Stellung als Arzt mit Allen ver-
kehren muß. Mein Freund und Gönner, der Theolog, ist in Folge
der Seekrankheit leidend und gedrückt, und wandelt in seinem
rothen Schlafrock wie ein schwindsüchtiger Mephisto umher. Einen
zweiten Crawall gab es zu Mittag. Es gab nämlich wieder
Erdäpfel mit Häring, deren erstere so wenig waren, daß 90 Per-
sonen nichts erhielten; diese sollten nun zur Entschädigung Kaffee
bekommen, der aber in Folge der fast ausgebrannten, nicht ge-
mahlenen, sondern nur grob gestoßenen Bohnen, ungenießbar war.
Die auf diese Weise Hungrigen tobten und fluchten, bis sie end-
lich einsahen, daß sie dadurch nichts ändern könnten. Unser Wasser
fängt jetzt schon an, schlecht zu werden, so daß es ohne Zuthat
kaum hinunter will.

   

Schon fürchtete ich, daß mir der Stoff vor der Hand aus-
gehen würde, doch findet sich immer noch etwas, wenn Jhr vor-
lieb nehmt. Gestern Abend hatte ich noch den prächtigen Anblick
der bei ganz heiterem Himmel in die Nordsee untergehenden Sonne;
es war unbeschreiblich schön, aber, weiß Gott, wäre es möglich
gewesen, ich hätte sie weit lieber mit Euch, wie es so oft gesche-
hen, von unsern Fenstern aus untergehen sehen. Eben ist wieder
Revolution auf unserem Schiffe, und die Ursachen sind meist der
tristesten Art. Jeder Mann erhält nämlich Vormittags ein Glas
Kümmel, das, gleich mir, Viele aufbewahren, um später das
Trinkwasser dadurch vielleicht genießbarer zu machen. Letzte Nacht
hatten nun mehrere Matrosen die Vorräthe einiger Passagiere
erhalten, waren betrunken worden und hatten in Folge dessen die
ganze Nacht hindurch Scandal und Unsinn getrieben. Hiergegen
herrscht natürlich das strengste Verbot, und um Wiederholungen
zu vermeiden, war anbefohlen worden, das Glas gleich beim
Empfange auszutrinken. Jm Grunde ein feiner Kniff des Ca-
pitains, da er auf diese Weise die Vorräthe für sich behält.

   

Früh 3 Uhr schon weckte uns der Ruf "Land!" Wir warfen
uns also schnell in unsere Gewänder, und sahen zur Rechten,
etwa 1 / 2 Meile von uns, die nördlichste der Faröerinseln " Fairo "
[Spaltenumbruch] mit ihren steilen, grauen Felsen vor uns liegen, sie wird von
Fischern, 215 Köpfe stark, bewohnt; kaum hatten sie unser Schiff
bemerkt, als sie trotz der stürmischen See mit 2 kleinen Böten zu
uns herankamen und uns Schellfische, Eier und Schleifsteine in
Tauschhandel anboten; sie scheinen auf einer sehr niedrigen Stufe
der Cultur zu stehen, da sie Geld weder kennen noch annehmen;
Kleidungsstücke, Brod, Fleisch, Tabak und Schnaps war Alles,
was sie begehrten. Fische und Eier nahm sogleich der Capitän
für sich in Beschlag. Die Jnsel Sandey blieb wegen des
Morgennebels links liegen. Es war regnigt und trübe, daher
man sich nach diesem Jntermezzo bis 8 Uhr, wo der Ruf "Kaffee"
Leben ins Unterdeck brachte, wieder auf die Matratze begab. Jm
Laufe des heutigen Tages haben wir nun auch die Nordsee ver-
lassen und sind in den atlantischen Ocean eingelaufen. Eine
wirthschaftliche Erfahrung machte ich gleichfalls, daß nämlich unsre
gewöhnliche Seife im Meerwasser nicht zu gebrauchen ist, da sie
nichts ablöst. Da ich nun wie Jeder gezwungen bin, selbst zu-
weilen Wäsche zu halten, würde es mir schlecht ergehen, hätte
mir nicht eine mitleidige Seele ein Stück " Seeseife " zum Ge-
schenk gemacht. Das merkt Euch Alle, die Jhr einmal eine Reise
durch die salzige Meerfluth machen wollt. Solche Wäsche ist
übrigens sehr einfach: man durchstreicht das Zeug mit Seife und
läßt es an einem Strick in die Fluth, die es rein spült, wäh-
rend nachher die Sonne bleicht und trocknet.

   

Der Wind war gestern schwach, das Meer spiegelglatt, so
daß Fische und Seehunde in unserer Nähe vielfach auf die Ober-
fläche kamen. Unsere Fahrt geht jetzt immer nach Südwest, und
die Segel müssen sehr schräg gestellt werden, den Wind aus
N. N. W. zu benutzen; denn unser Capitain lavirt gar nicht, son-
dern fährt immer in der einen Richtung fort, oder liegt ganz still,
wenn der Wind durchaus ungünstig ist. Heute Morgen sahen
wir links die unbewohnte Felseninsel Kona, die 2 hohe Felsen-
kegel zum Himmel streckt, sie liegt links von den Orkneyinseln.
Dieß langsame Fahren ist erschrecklich langweilig und erinnert
mich an unsere Familienfahrten im märkischen Sande; ich und
Viele sehnen uns nachgerade nach Sturm, damit dieses ewige Einer-
lei aufhört. Jnzwischen studire ich tüchtig in meiner Maulwurfs-
höhle, denn auf dem Deck ist es kalt und langweilig. Ein Glück
für mich, daß die ganze Besatzung nur englisch spricht, da mir
dieß die beste Gelegenheit zum Sprechen gibt. Von meinen Schick-
salsgefährten scheinen nur sehr wenige daran zu denken, daß ihnen
unter allen Umständen nichts nöthiger als die Kenntniß der eng-
lischen Sprache ist.

   

Seit vorgestern Nacht haben wir, Dank dem Himmel, tüch-
tigen Wind, so daß unser Segler in der Stunde 3 deutsche M.
macht. Heute früh erblickten wir auch ein Schiff am Horizonte,
das uns jetzt ( 11 Uhr ) zur Seite ist, und Auswanderer nach
Quebek führt. Am Vordertheil des Schiffes brechen sich die
Wellen am gewaltigsten; dort sitze ich auch am liebsten, und wenn

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Das Wetter war heute schön und unser Schiff segelt ruhig
Schottlands Nordspitze zu. Heute Morgen gab es zuerst tüchtigen
Lärm, und zwar -- erschreckt nicht -- wegen Läuse. Bei mehren
Familien hatte man nämlich bemerkt, daß diese freundlichen Thier-
chen Quartier genommen und wie Abrahams Same sich ver-
mehrt hatten; nun entstand Lärm und Fluchen; Jene mußten mit
Bett und allen ihren Sachen herauf auf's Deck und sich säubern,
wobei sie fast ganz entkleidet wurden. Nachher wollten ihre Nach-
barn sie nicht wieder aufnehmen, und wo anders fand diese Ko-
lonie ebensowenig Zulaß; endlich, nachdem sich die Gemüther etwas
beruhigt, kamen sie an ihren alten Platz. Aber das Toben
und Lärmen bei all diesen Sachen ist für den Neutralen zum
Todtlachen. Ob ich selbst übrigens, trotz aller Vorsicht, von diesem
„Marschir langsam“ befreit bleiben werde, muß ich dahingestellt
sein lassen, zumal ich in meiner Stellung als Arzt mit Allen ver-
kehren muß. Mein Freund und Gönner, der Theolog, ist in Folge
der Seekrankheit leidend und gedrückt, und wandelt in seinem
rothen Schlafrock wie ein schwindsüchtiger Mephisto umher. Einen
zweiten Crawall gab es zu Mittag. Es gab nämlich wieder
Erdäpfel mit Häring, deren erstere so wenig waren, daß 90 Per-
sonen nichts erhielten; diese sollten nun zur Entschädigung Kaffee
bekommen, der aber in Folge der fast ausgebrannten, nicht ge-
mahlenen, sondern nur grob gestoßenen Bohnen, ungenießbar war.
Die auf diese Weise Hungrigen tobten und fluchten, bis sie end-
lich einsahen, daß sie dadurch nichts ändern könnten. Unser Wasser
fängt jetzt schon an, schlecht zu werden, so daß es ohne Zuthat
kaum hinunter will.

   

Schon fürchtete ich, daß mir der Stoff vor der Hand aus-
gehen würde, doch findet sich immer noch etwas, wenn Jhr vor-
lieb nehmt. Gestern Abend hatte ich noch den prächtigen Anblick
der bei ganz heiterem Himmel in die Nordsee untergehenden Sonne;
es war unbeschreiblich schön, aber, weiß Gott, wäre es möglich
gewesen, ich hätte sie weit lieber mit Euch, wie es so oft gesche-
hen, von unsern Fenstern aus untergehen sehen. Eben ist wieder
Revolution auf unserem Schiffe, und die Ursachen sind meist der
tristesten Art. Jeder Mann erhält nämlich Vormittags ein Glas
Kümmel, das, gleich mir, Viele aufbewahren, um später das
Trinkwasser dadurch vielleicht genießbarer zu machen. Letzte Nacht
hatten nun mehrere Matrosen die Vorräthe einiger Passagiere
erhalten, waren betrunken worden und hatten in Folge dessen die
ganze Nacht hindurch Scandal und Unsinn getrieben. Hiergegen
herrscht natürlich das strengste Verbot, und um Wiederholungen
zu vermeiden, war anbefohlen worden, das Glas gleich beim
Empfange auszutrinken. Jm Grunde ein feiner Kniff des Ca-
pitains, da er auf diese Weise die Vorräthe für sich behält.

   

Früh 3 Uhr schon weckte uns der Ruf „Land!“ Wir warfen
uns also schnell in unsere Gewänder, und sahen zur Rechten,
etwa 1 / 2 Meile von uns, die nördlichste der Faröerinseln „ Fairo
[Spaltenumbruch] mit ihren steilen, grauen Felsen vor uns liegen, sie wird von
Fischern, 215 Köpfe stark, bewohnt; kaum hatten sie unser Schiff
bemerkt, als sie trotz der stürmischen See mit 2 kleinen Böten zu
uns herankamen und uns Schellfische, Eier und Schleifsteine in
Tauschhandel anboten; sie scheinen auf einer sehr niedrigen Stufe
der Cultur zu stehen, da sie Geld weder kennen noch annehmen;
Kleidungsstücke, Brod, Fleisch, Tabak und Schnaps war Alles,
was sie begehrten. Fische und Eier nahm sogleich der Capitän
für sich in Beschlag. Die Jnsel Sandey blieb wegen des
Morgennebels links liegen. Es war regnigt und trübe, daher
man sich nach diesem Jntermezzo bis 8 Uhr, wo der Ruf „Kaffee“
Leben ins Unterdeck brachte, wieder auf die Matratze begab. Jm
Laufe des heutigen Tages haben wir nun auch die Nordsee ver-
lassen und sind in den atlantischen Ocean eingelaufen. Eine
wirthschaftliche Erfahrung machte ich gleichfalls, daß nämlich unsre
gewöhnliche Seife im Meerwasser nicht zu gebrauchen ist, da sie
nichts ablöst. Da ich nun wie Jeder gezwungen bin, selbst zu-
weilen Wäsche zu halten, würde es mir schlecht ergehen, hätte
mir nicht eine mitleidige Seele ein Stück „ Seeseife “ zum Ge-
schenk gemacht. Das merkt Euch Alle, die Jhr einmal eine Reise
durch die salzige Meerfluth machen wollt. Solche Wäsche ist
übrigens sehr einfach: man durchstreicht das Zeug mit Seife und
läßt es an einem Strick in die Fluth, die es rein spült, wäh-
rend nachher die Sonne bleicht und trocknet.

   

Der Wind war gestern schwach, das Meer spiegelglatt, so
daß Fische und Seehunde in unserer Nähe vielfach auf die Ober-
fläche kamen. Unsere Fahrt geht jetzt immer nach Südwest, und
die Segel müssen sehr schräg gestellt werden, den Wind aus
N. N. W. zu benutzen; denn unser Capitain lavirt gar nicht, son-
dern fährt immer in der einen Richtung fort, oder liegt ganz still,
wenn der Wind durchaus ungünstig ist. Heute Morgen sahen
wir links die unbewohnte Felseninsel Kona, die 2 hohe Felsen-
kegel zum Himmel streckt, sie liegt links von den Orkneyinseln.
Dieß langsame Fahren ist erschrecklich langweilig und erinnert
mich an unsere Familienfahrten im märkischen Sande; ich und
Viele sehnen uns nachgerade nach Sturm, damit dieses ewige Einer-
lei aufhört. Jnzwischen studire ich tüchtig in meiner Maulwurfs-
höhle, denn auf dem Deck ist es kalt und langweilig. Ein Glück
für mich, daß die ganze Besatzung nur englisch spricht, da mir
dieß die beste Gelegenheit zum Sprechen gibt. Von meinen Schick-
salsgefährten scheinen nur sehr wenige daran zu denken, daß ihnen
unter allen Umständen nichts nöthiger als die Kenntniß der eng-
lischen Sprache ist.

   

Seit vorgestern Nacht haben wir, Dank dem Himmel, tüch-
tigen Wind, so daß unser Segler in der Stunde 3 deutsche M.
macht. Heute früh erblickten wir auch ein Schiff am Horizonte,
das uns jetzt ( 11 Uhr ) zur Seite ist, und Auswanderer nach
Quebek führt. Am Vordertheil des Schiffes brechen sich die
Wellen am gewaltigsten; dort sitze ich auch am liebsten, und wenn

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Mein Freund und Gönner, der Theolog, ist in Folge der Seekrankheit leidend und gedrückt, und wandelt in seinem rothen Schlafrock wie ein schwindsüchtiger Mephisto umher. Einen zweiten Crawall gab es zu Mittag. Es gab nämlich wieder Erdäpfel mit Häring, deren erstere so wenig waren, daß 90 Per- sonen nichts erhielten; diese sollten nun zur Entschädigung Kaffee bekommen, der aber in Folge der fast ausgebrannten, nicht ge- mahlenen, sondern nur grob gestoßenen Bohnen, ungenießbar war. Die auf diese Weise Hungrigen tobten und fluchten, bis sie end- lich einsahen, daß sie dadurch nichts ändern könnten. Unser Wasser fängt jetzt schon an, schlecht zu werden, so daß es ohne Zuthat kaum hinunter will. Den 17. Juni. Schon fürchtete ich, daß mir der Stoff vor der Hand aus- gehen würde, doch findet sich immer noch etwas, wenn Jhr vor- lieb nehmt. Gestern Abend hatte ich noch den prächtigen Anblick der bei ganz heiterem Himmel in die Nordsee untergehenden Sonne; es war unbeschreiblich schön, aber, weiß Gott, wäre es möglich gewesen, ich hätte sie weit lieber mit Euch, wie es so oft gesche- hen, von unsern Fenstern aus untergehen sehen. Eben ist wieder Revolution auf unserem Schiffe, und die Ursachen sind meist der tristesten Art. Jeder Mann erhält nämlich Vormittags ein Glas Kümmel, das, gleich mir, Viele aufbewahren, um später das Trinkwasser dadurch vielleicht genießbarer zu machen. Letzte Nacht hatten nun mehrere Matrosen die Vorräthe einiger Passagiere erhalten, waren betrunken worden und hatten in Folge dessen die ganze Nacht hindurch Scandal und Unsinn getrieben. Hiergegen herrscht natürlich das strengste Verbot, und um Wiederholungen zu vermeiden, war anbefohlen worden, das Glas gleich beim Empfange auszutrinken. Jm Grunde ein feiner Kniff des Ca- pitains, da er auf diese Weise die Vorräthe für sich behält. Den 18. Juni. 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Jm Laufe des heutigen Tages haben wir nun auch die Nordsee ver- lassen und sind in den atlantischen Ocean eingelaufen. Eine wirthschaftliche Erfahrung machte ich gleichfalls, daß nämlich unsre gewöhnliche Seife im Meerwasser nicht zu gebrauchen ist, da sie nichts ablöst. Da ich nun wie Jeder gezwungen bin, selbst zu- weilen Wäsche zu halten, würde es mir schlecht ergehen, hätte mir nicht eine mitleidige Seele ein Stück „ Seeseife “ zum Ge- schenk gemacht. Das merkt Euch Alle, die Jhr einmal eine Reise durch die salzige Meerfluth machen wollt. Solche Wäsche ist übrigens sehr einfach: man durchstreicht das Zeug mit Seife und läßt es an einem Strick in die Fluth, die es rein spült, wäh- rend nachher die Sonne bleicht und trocknet. Den 20. Juni. Der Wind war gestern schwach, das Meer spiegelglatt, so daß Fische und Seehunde in unserer Nähe vielfach auf die Ober- fläche kamen. Unsere Fahrt geht jetzt immer nach Südwest, und die Segel müssen sehr schräg gestellt werden, den Wind aus N. N. W. zu benutzen; denn unser Capitain lavirt gar nicht, son- dern fährt immer in der einen Richtung fort, oder liegt ganz still, wenn der Wind durchaus ungünstig ist. Heute Morgen sahen wir links die unbewohnte Felseninsel Kona, die 2 hohe Felsen- kegel zum Himmel streckt, sie liegt links von den Orkneyinseln. Dieß langsame Fahren ist erschrecklich langweilig und erinnert mich an unsere Familienfahrten im märkischen Sande; ich und Viele sehnen uns nachgerade nach Sturm, damit dieses ewige Einer- lei aufhört. Jnzwischen studire ich tüchtig in meiner Maulwurfs- höhle, denn auf dem Deck ist es kalt und langweilig. Ein Glück für mich, daß die ganze Besatzung nur englisch spricht, da mir dieß die beste Gelegenheit zum Sprechen gibt. Von meinen Schick- salsgefährten scheinen nur sehr wenige daran zu denken, daß ihnen unter allen Umständen nichts nöthiger als die Kenntniß der eng- lischen Sprache ist. Den 22. Juni. Seit vorgestern Nacht haben wir, Dank dem Himmel, tüch- tigen Wind, so daß unser Segler in der Stunde 3 deutsche M. macht. Heute früh erblickten wir auch ein Schiff am Horizonte, das uns jetzt ( 11 Uhr ) zur Seite ist, und Auswanderer nach Quebek führt. Am Vordertheil des Schiffes brechen sich die Wellen am gewaltigsten; dort sitze ich auch am liebsten, und wenn

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Zitationshilfe: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung. Nr. 25. Rudolstadt, 19. Juni 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_auswanderer25_1848/2>, abgerufen am 26.04.2024.