Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177.

Bild:
<< vorherige Seite

Empfindung der größten Vollkommenheit, außer dem scharfsinnigen Witz, noch Triebfedern hinzukommen, welche das lebhafte Bild zu der größten Höhe erheben, und nicht mehr Wege möglich sind, auf denen wir zu dem Erhabnen gelangen, nämlich entweder durch die Gedanken, in genau bestimmter Bedeutung genommen, oder durch die Empfindungen; so folgt, daß die größte Empfindung der höchste Grad des Erhabnen ist. Der höchste Grad des Erhabnen ist der größte Affekt. Eine Ode aber, wo der größte Affekt herrscht, ist die vollkommenste; also ist die erhabne Ode die vollkommenste. Also muß in der Ode, mit allen andern Gedichten verglichen, die größte Erhabenheit herrschen. Man wird diese vorzügliche Eigenschaft in vielen Davidischen Psalmen, in den Oden des Pindars, Horaz, und einigen neuen Dichtern antreffen. Besonders aber ist des H. v. Hallers Ode über die Ewigkeit reich an erhabenen Gemälden.

Das Wunderbare.

Die Kunstrichter, welche ihre Begriffe von den Schönheiten eines Gedichtes nur aus dem Homer und Virgil geschöpft haben, geben uns eine so enge Erklärung von dieser Eigenschaft, daß man sich nicht einmal einfallen lassen könnte, wenn man ihnen folgen wollte, in der Ode diese Schönheit zu finden. Weil sie in dem griechischen und römischen Dichter kein ander Wunderbares finden konnten, als das Wunderbare der Maschinen, (ministerium Deorum, Petron.); so glaubten sie berechtigt zu seyn, alles andere davon auszuschliessen. Laßt uns einen bestimmtern Begriff festsetzen. Das Wunderbare gränzt am nächsten an das Erhabne, es wird also etwas mit demselben gemein haben. Das Außerordentliche, welches die uns bekannten Kräfte zu übersteigen scheint, ist das Wunderbare. Es mögen Handlungen, Begebenheiten, oder Vorfälle seyn; wenn sie uns unglaublich vorkommen, so haben sie die Eigenschaften des Wunderbaren an sich. Die Empfindungen, welche durch außerordentliche Wirkungen unbekannter Kräfte verursacht worden, sind wunderbar.

Empfindung der größten Vollkommenheit, außer dem scharfsinnigen Witz, noch Triebfedern hinzukommen, welche das lebhafte Bild zu der größten Höhe erheben, und nicht mehr Wege möglich sind, auf denen wir zu dem Erhabnen gelangen, nämlich entweder durch die Gedanken, in genau bestimmter Bedeutung genommen, oder durch die Empfindungen; so folgt, daß die größte Empfindung der höchste Grad des Erhabnen ist. Der höchste Grad des Erhabnen ist der größte Affekt. Eine Ode aber, wo der größte Affekt herrscht, ist die vollkommenste; also ist die erhabne Ode die vollkommenste. Also muß in der Ode, mit allen andern Gedichten verglichen, die größte Erhabenheit herrschen. Man wird diese vorzügliche Eigenschaft in vielen Davidischen Psalmen, in den Oden des Pindars, Horaz, und einigen neuen Dichtern antreffen. Besonders aber ist des H. v. Hallers Ode über die Ewigkeit reich an erhabenen Gemälden.

Das Wunderbare.

Die Kunstrichter, welche ihre Begriffe von den Schönheiten eines Gedichtes nur aus dem Homer und Virgil geschöpft haben, geben uns eine so enge Erklärung von dieser Eigenschaft, daß man sich nicht einmal einfallen lassen könnte, wenn man ihnen folgen wollte, in der Ode diese Schönheit zu finden. Weil sie in dem griechischen und römischen Dichter kein ander Wunderbares finden konnten, als das Wunderbare der Maschinen, (ministerium Deorum, Petron.); so glaubten sie berechtigt zu seyn, alles andere davon auszuschliessen. Laßt uns einen bestimmtern Begriff festsetzen. Das Wunderbare gränzt am nächsten an das Erhabne, es wird also etwas mit demselben gemein haben. Das Außerordentliche, welches die uns bekannten Kräfte zu übersteigen scheint, ist das Wunderbare. Es mögen Handlungen, Begebenheiten, oder Vorfälle seyn; wenn sie uns unglaublich vorkommen, so haben sie die Eigenschaften des Wunderbaren an sich. Die Empfindungen, welche durch außerordentliche Wirkungen unbekannter Kräfte verursacht worden, sind wunderbar.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0018" n="168"/>
Empfindung der größten Vollkommenheit, außer dem   scharfsinnigen Witz, noch Triebfedern hinzukommen, welche das lebhafte   Bild zu der größten Höhe erheben, und nicht mehr Wege   möglich sind, auf denen wir zu dem Erhabnen gelangen, nämlich   entweder durch die Gedanken, in genau bestimmter Bedeutung genommen, oder  durch die Empfindungen; so folgt, daß die größte Empfindung  der höchste Grad des Erhabnen ist. Der höchste Grad des Erhabnen   ist der größte Affekt. Eine Ode aber, wo der größte   Affekt herrscht, ist die vollkommenste; also ist die erhabne Ode die vollkommenste.   Also muß in der Ode, mit allen andern Gedichten verglichen, die   größte Erhabenheit herrschen. Man wird diese vorzügliche   Eigenschaft in vielen Davidischen Psalmen, in den Oden des Pindars,   Horaz, und einigen neuen Dichtern antreffen. Besonders aber ist des   H. v. Hallers Ode über die Ewigkeit reich an erhabenen Gemälden.  </p>
        </div>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#c">Das Wunderbare.</hi> </head>
          <p>  Die Kunstrichter, welche ihre Begriffe von den Schönheiten eines   Gedichtes nur aus dem Homer und Virgil geschöpft haben, geben   uns eine so enge Erklärung von dieser Eigenschaft, daß   man sich nicht einmal einfallen lassen könnte, wenn man ihnen   folgen wollte, in der Ode diese Schönheit zu finden. Weil sie   in dem griechischen und römischen Dichter kein ander Wunderbares   finden konnten, als das Wunderbare der Maschinen, (<hi rendition="#aq">ministerium Deorum,   Petron</hi>.); so glaubten sie berechtigt zu seyn, alles andere davon   auszuschliessen. Laßt uns einen bestimmtern Begriff festsetzen.   Das Wunderbare gränzt am nächsten an das Erhabne, es wird also   etwas mit demselben gemein haben. Das Außerordentliche, welches die   uns bekannten Kräfte zu übersteigen scheint, ist das Wunderbare.   Es mögen Handlungen, Begebenheiten, oder Vorfälle seyn; wenn sie   uns unglaublich vorkommen, so haben sie die Eigenschaften des Wunderbaren   an sich. Die Empfindungen, welche durch außerordentliche Wirkungen   unbekannter Kräfte verursacht worden, sind wunderbar.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0018] Empfindung der größten Vollkommenheit, außer dem scharfsinnigen Witz, noch Triebfedern hinzukommen, welche das lebhafte Bild zu der größten Höhe erheben, und nicht mehr Wege möglich sind, auf denen wir zu dem Erhabnen gelangen, nämlich entweder durch die Gedanken, in genau bestimmter Bedeutung genommen, oder durch die Empfindungen; so folgt, daß die größte Empfindung der höchste Grad des Erhabnen ist. Der höchste Grad des Erhabnen ist der größte Affekt. Eine Ode aber, wo der größte Affekt herrscht, ist die vollkommenste; also ist die erhabne Ode die vollkommenste. Also muß in der Ode, mit allen andern Gedichten verglichen, die größte Erhabenheit herrschen. Man wird diese vorzügliche Eigenschaft in vielen Davidischen Psalmen, in den Oden des Pindars, Horaz, und einigen neuen Dichtern antreffen. Besonders aber ist des H. v. Hallers Ode über die Ewigkeit reich an erhabenen Gemälden. Das Wunderbare. Die Kunstrichter, welche ihre Begriffe von den Schönheiten eines Gedichtes nur aus dem Homer und Virgil geschöpft haben, geben uns eine so enge Erklärung von dieser Eigenschaft, daß man sich nicht einmal einfallen lassen könnte, wenn man ihnen folgen wollte, in der Ode diese Schönheit zu finden. Weil sie in dem griechischen und römischen Dichter kein ander Wunderbares finden konnten, als das Wunderbare der Maschinen, (ministerium Deorum, Petron.); so glaubten sie berechtigt zu seyn, alles andere davon auszuschliessen. Laßt uns einen bestimmtern Begriff festsetzen. Das Wunderbare gränzt am nächsten an das Erhabne, es wird also etwas mit demselben gemein haben. Das Außerordentliche, welches die uns bekannten Kräfte zu übersteigen scheint, ist das Wunderbare. Es mögen Handlungen, Begebenheiten, oder Vorfälle seyn; wenn sie uns unglaublich vorkommen, so haben sie die Eigenschaften des Wunderbaren an sich. Die Empfindungen, welche durch außerordentliche Wirkungen unbekannter Kräfte verursacht worden, sind wunderbar.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-07-16T15:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-16T15:00:00Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.uni-due.de/lyriktheorie/beiwerk/projekt.html#edition formulierten Richtlinien.

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/18
Zitationshilfe: [N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177, hier S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_ode_1763/18>, abgerufen am 26.04.2024.