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Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892.

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Antisemitismus, der diesen "rituellen" Mord natürlich erfunden haben soll? Oder soll der Skandal Bleichröder etwa in Cleve und Köln ein würdiges Seitenstück erhalten? Hier handelt es sich um ein Menschenleben, um einen feigen Mord. Die öffentliche Sicherheit und das öffentliche Gewissen gebieten daher, daß etwas geschieht. Ist Buschoff, was wir entschieden bestreiten, nicht der Mörder, so beweist es uns durch den Spruch von zwölf Männern aus dem Volke! Vor dem Verdikt der Jury wird jeder schlimme Verdacht halt machen. Soll die arme Familie Hegemann, welche durch die Juden in unerhörtester, schändlichster Weise verleumdet worden, etwa in dem Glauben verbleiben, Gerechtigkeit gebe es in Preußen nur für die Reichen und Großen? Soll das Blut ihres Söhnchens ungerächt bleiben? Auf die Antwort der beteiligten Behörden dürfen wir um so mehr gespannt sein, da mehrere hiesige Juden die Freilassung Buschoffs von vornherein noch vor Weihnachten vorhersagten! Und am heiligen Christabend - welche zarte Rücksichtnahme auf den gefangenen Schächter! - hat sich diese befremdliche Prophezeiung wirklich bewahrheitet!



"Niemals hat die Kriminalpolizei der öffentlichen Meinung und den vorliegenden schweren Belastungsmomenten in geringerem Maße Rechnung getragen, als in diesem sonderbaren Mordprozeß. Als der Polizeikommissar Wolff seine Ermittelungen abgeschlossen hatte, erschienen hier der Herr Oberstaatsanwalt aus Köln und der erste Staatsanwalt aus Cleve, wahrscheinlich infolge einer amtlichen Aufforderung von seiten des Herrn Wolff, um dessen Beweismaterial an Ort und Stelle endgiltig zu prüfen. Es waren über ein Dutzend Zeugen auf das Amt geladen, darunter die Magd Dora Moll, der Zeuge Mölders, die Knaben Heister und Kernder, von denen die drei letzten [...]am 29. Juni gegen 10 Uhr früh gesehen haben, wie Frau Buschoff mit eigener Hand von der Ladenthür aus den Knaben Joanchen Hegemann in ihr Haus gezogen hatte. Einer der Knaben war vorher durch die Geistlichen, welche ihn unterrichtet haben, ausdrücklich als durchaus wahrheitsliebend und glaubwürdig rekognosziert worden. Der andere Knabe genießt

Antisemitismus, der diesen „rituellen“ Mord natürlich erfunden haben soll? Oder soll der Skandal Bleichröder etwa in Cleve und Köln ein würdiges Seitenstück erhalten? Hier handelt es sich um ein Menschenleben, um einen feigen Mord. Die öffentliche Sicherheit und das öffentliche Gewissen gebieten daher, daß etwas geschieht. Ist Buschoff, was wir entschieden bestreiten, nicht der Mörder, so beweist es uns durch den Spruch von zwölf Männern aus dem Volke! Vor dem Verdikt der Jury wird jeder schlimme Verdacht halt machen. Soll die arme Familie Hegemann, welche durch die Juden in unerhörtester, schändlichster Weise verleumdet worden, etwa in dem Glauben verbleiben, Gerechtigkeit gebe es in Preußen nur für die Reichen und Großen? Soll das Blut ihres Söhnchens ungerächt bleiben? Auf die Antwort der beteiligten Behörden dürfen wir um so mehr gespannt sein, da mehrere hiesige Juden die Freilassung Buschoffs von vornherein noch vor Weihnachten vorhersagten! Und am heiligen Christabend – welche zarte Rücksichtnahme auf den gefangenen Schächter! – hat sich diese befremdliche Prophezeiung wirklich bewahrheitet!



„Niemals hat die Kriminalpolizei der öffentlichen Meinung und den vorliegenden schweren Belastungsmomenten in geringerem Maße Rechnung getragen, als in diesem sonderbaren Mordprozeß. Als der Polizeikommissar Wolff seine Ermittelungen abgeschlossen hatte, erschienen hier der Herr Oberstaatsanwalt aus Köln und der erste Staatsanwalt aus Cleve, wahrscheinlich infolge einer amtlichen Aufforderung von seiten des Herrn Wolff, um dessen Beweismaterial an Ort und Stelle endgiltig zu prüfen. Es waren über ein Dutzend Zeugen auf das Amt geladen, darunter die Magd Dora Moll, der Zeuge Mölders, die Knaben Heister und Kernder, von denen die drei letzten […]am 29. Juni gegen 10 Uhr früh gesehen haben, wie Frau Buschoff mit eigener Hand von der Ladenthür aus den Knaben Joanchen Hegemann in ihr Haus gezogen hatte. Einer der Knaben war vorher durch die Geistlichen, welche ihn unterrichtet haben, ausdrücklich als durchaus wahrheitsliebend und glaubwürdig rekognosziert worden. Der andere Knabe genießt

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[9/0009] Antisemitismus, der diesen „rituellen“ Mord natürlich erfunden haben soll? Oder soll der Skandal Bleichröder etwa in Cleve und Köln ein würdiges Seitenstück erhalten? Hier handelt es sich um ein Menschenleben, um einen feigen Mord. Die öffentliche Sicherheit und das öffentliche Gewissen gebieten daher, daß etwas geschieht. Ist Buschoff, was wir entschieden bestreiten, nicht der Mörder, so beweist es uns durch den Spruch von zwölf Männern aus dem Volke! Vor dem Verdikt der Jury wird jeder schlimme Verdacht halt machen. Soll die arme Familie Hegemann, welche durch die Juden in unerhörtester, schändlichster Weise verleumdet worden, etwa in dem Glauben verbleiben, Gerechtigkeit gebe es in Preußen nur für die Reichen und Großen? Soll das Blut ihres Söhnchens ungerächt bleiben? Auf die Antwort der beteiligten Behörden dürfen wir um so mehr gespannt sein, da mehrere hiesige Juden die Freilassung Buschoffs von vornherein noch vor Weihnachten vorhersagten! Und am heiligen Christabend – welche zarte Rücksichtnahme auf den gefangenen Schächter! – hat sich diese befremdliche Prophezeiung wirklich bewahrheitet! „Niemals hat die Kriminalpolizei der öffentlichen Meinung und den vorliegenden schweren Belastungsmomenten in geringerem Maße Rechnung getragen, als in diesem sonderbaren Mordprozeß. Als der Polizeikommissar Wolff seine Ermittelungen abgeschlossen hatte, erschienen hier der Herr Oberstaatsanwalt aus Köln und der erste Staatsanwalt aus Cleve, wahrscheinlich infolge einer amtlichen Aufforderung von seiten des Herrn Wolff, um dessen Beweismaterial an Ort und Stelle endgiltig zu prüfen. Es waren über ein Dutzend Zeugen auf das Amt geladen, darunter die Magd Dora Moll, der Zeuge Mölders, die Knaben Heister und Kernder, von denen die drei letzten am 29. Juni gegen 10 Uhr früh gesehen haben, wie Frau Buschoff mit eigener Hand von der Ladenthür aus den Knaben Joanchen Hegemann in ihr Haus gezogen hatte. Einer der Knaben war vorher durch die Geistlichen, welche ihn unterrichtet haben, ausdrücklich als durchaus wahrheitsliebend und glaubwürdig rekognosziert worden. Der andere Knabe genießt

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Zitationshilfe: Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oberwinder_buschoff_1892/9>, abgerufen am 26.04.2024.