Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber hier ist noch was ganz anders zu lieben
-- Drei Kommunikantinnen horchten zur offnen
Gartenthür herein und verdoppelten von weitem
das Auditorium: mit Einem Worte, Regina war
darunter und ihr Bruder mit droben; die Gallerie
oder Logen mußten endlich -- da das heraufrufen
nichts half -- das weibliche Parterre heraufzerren.
Ich erzähle jetzt feuriger nach; kein Wunder, daß
ers that. Regina setzte sich am weitesten von ihm,
aber ihm gegenüber. Er fieng eine ganz neue Hi¬
storie an, weil das bureau d'esprit stärker gewor¬
den. Ein elendes Mädchen -- Kinder wollen in der
Geschichte bloß Kinder -- malt' er vor, ohne Abend¬
brod, ohne Eltern, ohne Bett, ohne Haube und
ohne Fehler die aber allemal so oft ein Stern sich
putzte, unten einen hübschen Thaler fand u. s. w.
Welche Flamme schlug aus seinen Worten heraus,
aus seinen Augen und Gestus, in seine Zuhörer¬
schaft hinein. Noch dazu stickte der Mond die Lin¬
dennacht auf dem Fußboden mit wankenden Silber-
Punkten -- eine verspätete Biene kreutzte durch den
glühenden Kreis und ein schnurrender Dämmerungs¬
vogel um einen weissen Kopf -- auf dem Doppel-
Grund von Lindengrün und Himmelsblau zitterten

Aber hier iſt noch was ganz anders zu lieben
— Drei Kommunikantinnen horchten zur offnen
Gartenthuͤr herein und verdoppelten von weitem
das Auditorium: mit Einem Worte, Regina war
darunter und ihr Bruder mit droben; die Gallerie
oder Logen mußten endlich — da das heraufrufen
nichts half — das weibliche Parterre heraufzerren.
Ich erzaͤhle jetzt feuriger nach; kein Wunder, daß
ers that. Regina ſetzte ſich am weiteſten von ihm,
aber ihm gegenuͤber. Er fieng eine ganz neue Hi¬
ſtorie an, weil das bureau d'eſprit ſtaͤrker gewor¬
den. Ein elendes Maͤdchen — Kinder wollen in der
Geſchichte bloß Kinder — malt' er vor, ohne Abend¬
brod, ohne Eltern, ohne Bett, ohne Haube und
ohne Fehler die aber allemal ſo oft ein Stern ſich
putzte, unten einen huͤbſchen Thaler fand u. ſ. w.
Welche Flamme ſchlug aus ſeinen Worten heraus,
aus ſeinen Augen und Geſtus, in ſeine Zuhoͤrer¬
ſchaft hinein. Noch dazu ſtickte der Mond die Lin¬
dennacht auf dem Fußboden mit wankenden Silber-
Punkten — eine verſpaͤtete Biene kreutzte durch den
gluͤhenden Kreis und ein ſchnurrender Daͤmmerungs¬
vogel um einen weiſſen Kopf — auf dem Doppel-
Grund von Lindengruͤn und Himmelsblau zitterten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0250" n="214"/>
          <p>Aber hier i&#x017F;t noch was ganz anders zu lieben<lb/>
&#x2014; Drei Kommunikantinnen horchten zur offnen<lb/>
Gartenthu&#x0364;r herein und verdoppelten von weitem<lb/>
das Auditorium: mit Einem Worte, Regina war<lb/>
darunter und ihr Bruder mit droben; die Gallerie<lb/>
oder Logen mußten endlich &#x2014; da das heraufrufen<lb/>
nichts half &#x2014; das weibliche Parterre heraufzerren.<lb/>
Ich erza&#x0364;hle jetzt feuriger nach; kein Wunder, daß<lb/>
ers that. Regina &#x017F;etzte &#x017F;ich am weite&#x017F;ten von ihm,<lb/>
aber ihm gegenu&#x0364;ber. Er fieng eine ganz neue Hi¬<lb/>
&#x017F;torie an, weil das <hi rendition="#aq">bureau d'e&#x017F;prit</hi> &#x017F;ta&#x0364;rker gewor¬<lb/>
den. Ein elendes Ma&#x0364;dchen &#x2014; Kinder wollen in der<lb/>
Ge&#x017F;chichte bloß Kinder &#x2014; malt' er vor, ohne Abend¬<lb/>
brod, ohne Eltern, ohne Bett, ohne Haube und<lb/>
ohne Fehler die aber allemal &#x017F;o oft ein Stern &#x017F;ich<lb/>
putzte, unten einen hu&#x0364;b&#x017F;chen Thaler fand u. &#x017F;. w.<lb/>
Welche Flamme &#x017F;chlug aus &#x017F;einen Worten heraus,<lb/>
aus &#x017F;einen Augen und Ge&#x017F;tus, in &#x017F;eine Zuho&#x0364;rer¬<lb/>
&#x017F;chaft hinein. Noch dazu &#x017F;tickte der Mond die Lin¬<lb/>
dennacht auf dem Fußboden mit wankenden Silber-<lb/>
Punkten &#x2014; eine ver&#x017F;pa&#x0364;tete Biene kreutzte durch den<lb/>
glu&#x0364;henden Kreis und ein &#x017F;chnurrender Da&#x0364;mmerungs¬<lb/>
vogel um einen wei&#x017F;&#x017F;en Kopf &#x2014; auf dem Doppel-<lb/>
Grund von Lindengru&#x0364;n und Himmelsblau zitterten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0250] Aber hier iſt noch was ganz anders zu lieben — Drei Kommunikantinnen horchten zur offnen Gartenthuͤr herein und verdoppelten von weitem das Auditorium: mit Einem Worte, Regina war darunter und ihr Bruder mit droben; die Gallerie oder Logen mußten endlich — da das heraufrufen nichts half — das weibliche Parterre heraufzerren. Ich erzaͤhle jetzt feuriger nach; kein Wunder, daß ers that. Regina ſetzte ſich am weiteſten von ihm, aber ihm gegenuͤber. Er fieng eine ganz neue Hi¬ ſtorie an, weil das bureau d'eſprit ſtaͤrker gewor¬ den. Ein elendes Maͤdchen — Kinder wollen in der Geſchichte bloß Kinder — malt' er vor, ohne Abend¬ brod, ohne Eltern, ohne Bett, ohne Haube und ohne Fehler die aber allemal ſo oft ein Stern ſich putzte, unten einen huͤbſchen Thaler fand u. ſ. w. Welche Flamme ſchlug aus ſeinen Worten heraus, aus ſeinen Augen und Geſtus, in ſeine Zuhoͤrer¬ ſchaft hinein. Noch dazu ſtickte der Mond die Lin¬ dennacht auf dem Fußboden mit wankenden Silber- Punkten — eine verſpaͤtete Biene kreutzte durch den gluͤhenden Kreis und ein ſchnurrender Daͤmmerungs¬ vogel um einen weiſſen Kopf — auf dem Doppel- Grund von Lindengruͤn und Himmelsblau zitterten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/250
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/250>, abgerufen am 26.04.2024.