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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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rück. Alban sagte zur höchsten Freude der
Baumeisterinn, die nun alles dem schönen
Manne zeigen konnte, er habe noch wenig
von Lilar gesehen. Wie reizend giengen vor
ihm die befreundeten Gestalten nebeneinander!
Chariton, wiewohl eine Frau, doch griechisch-
schlank flatterte als die kleinere Schwester neben
der Lilientaille seiner ein wenig längern Liane
fort, jene schien nach der Eintheilung der
Landschaftsmaler, die Natur in Bewegung zu
seyn, Liane die Natur in Ruhe. Als er wie¬
der neben Liane trat, an deren linken Hand
Helena lief -- zur rechten die Mutter -- so
fand er ihr weich-niedergehendes Profil unbe¬
schreiblich-rührend und um den Mund Züge,
die der Schmerz zeichnet, die Narben wieder¬
kehrender Tage; indeß das schöne Mädchen
in der Sonnenseite des Vollgesichts wie in ih¬
rem leichten Gespräche, eine unbefangene be¬
glückende Heiterkeit entfaltete, die Albano, der
noch an keiner Schulthüre eines weiblichen
Philantropins angeklopft, mühsam mit ihrer
weinenden Dichtkunst ausglich. O wenn die
weibliche Thräne leicht flieht, so entflattert ja

rück. Alban ſagte zur höchſten Freude der
Baumeiſterinn, die nun alles dem ſchönen
Manne zeigen konnte, er habe noch wenig
von Lilar geſehen. Wie reizend giengen vor
ihm die befreundeten Geſtalten nebeneinander!
Chariton, wiewohl eine Frau, doch griechiſch-
ſchlank flatterte als die kleinere Schweſter neben
der Lilientaille ſeiner ein wenig längern Liane
fort, jene ſchien nach der Eintheilung der
Landſchaftsmaler, die Natur in Bewegung zu
ſeyn, Liane die Natur in Ruhe. Als er wie¬
der neben Liane trat, an deren linken Hand
Helena lief — zur rechten die Mutter — ſo
fand er ihr weich-niedergehendes Profil unbe¬
ſchreiblich-rührend und um den Mund Züge,
die der Schmerz zeichnet, die Narben wieder¬
kehrender Tage; indeß das ſchöne Mädchen
in der Sonnenſeite des Vollgeſichts wie in ih¬
rem leichten Geſpräche, eine unbefangene be¬
glückende Heiterkeit entfaltete, die Albano, der
noch an keiner Schulthüre eines weiblichen
Philantropins angeklopft, mühſam mit ihrer
weinenden Dichtkunſt ausglich. O wenn die
weibliche Thräne leicht flieht, ſo entflattert ja

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[426/0446] rück. Alban ſagte zur höchſten Freude der Baumeiſterinn, die nun alles dem ſchönen Manne zeigen konnte, er habe noch wenig von Lilar geſehen. Wie reizend giengen vor ihm die befreundeten Geſtalten nebeneinander! Chariton, wiewohl eine Frau, doch griechiſch- ſchlank flatterte als die kleinere Schweſter neben der Lilientaille ſeiner ein wenig längern Liane fort, jene ſchien nach der Eintheilung der Landſchaftsmaler, die Natur in Bewegung zu ſeyn, Liane die Natur in Ruhe. Als er wie¬ der neben Liane trat, an deren linken Hand Helena lief — zur rechten die Mutter — ſo fand er ihr weich-niedergehendes Profil unbe¬ ſchreiblich-rührend und um den Mund Züge, die der Schmerz zeichnet, die Narben wieder¬ kehrender Tage; indeß das ſchöne Mädchen in der Sonnenſeite des Vollgeſichts wie in ih¬ rem leichten Geſpräche, eine unbefangene be¬ glückende Heiterkeit entfaltete, die Albano, der noch an keiner Schulthüre eines weiblichen Philantropins angeklopft, mühſam mit ihrer weinenden Dichtkunſt ausglich. O wenn die weibliche Thräne leicht flieht, ſo entflattert ja

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/446>, abgerufen am 26.04.2024.