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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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war selber eine moralische Kirchenmusik, die
Engelstimme in der Orgel; der reine Albano
fühlte neben ihr die Nothwendigkeit und das
Daseyn einer noch zärtern Reinheit; und ihm
schien als könne ein Mann diese Seele, deren
Verstand fast nur ein feineres Fühlen war,
verletzen ohne es selber zu wissen, wie Fenster¬
gläser von reiner Durchsichtigkeit oft zerstoßen
werden, weil sie unsichtbar erscheinen. Er
drehte sich, weil er immer um einen Schritt
voraus war, mechanisch um und nicht nur das
blühende Lilar, sondern auch Lianens volle
Gestalt leuchtete ihm auf einmal und neuge¬
staltet in die Seele. -- -- Nicht sie an sein
Herz zu drücken, war jetzt sein Sehnen, son¬
dern dieses Wesen, das so oft gelitten, aus jeder
Flamme zu reißen, für sie mit dem Schwerdte
auf ihren Feind zu stürzen, sie durch die tiefen
kalten Höllenflüsse des Lebens mächtig zu tra¬
gen, -- -- das hätte sein Leben erleuchtet.

45. Zy¬
verdient von mir mehr untersucht und ausge¬
führt zu werden.

war ſelber eine moraliſche Kirchenmuſik, die
Engelſtimme in der Orgel; der reine Albano
fühlte neben ihr die Nothwendigkeit und das
Daſeyn einer noch zärtern Reinheit; und ihm
ſchien als könne ein Mann dieſe Seele, deren
Verſtand faſt nur ein feineres Fühlen war,
verletzen ohne es ſelber zu wiſſen, wie Fenſter¬
gläſer von reiner Durchſichtigkeit oft zerſtoßen
werden, weil ſie unſichtbar erſcheinen. Er
drehte ſich, weil er immer um einen Schritt
voraus war, mechaniſch um und nicht nur das
blühende Lilar, ſondern auch Lianens volle
Geſtalt leuchtete ihm auf einmal und neuge¬
ſtaltet in die Seele. — — Nicht ſie an ſein
Herz zu drücken, war jetzt ſein Sehnen, ſon¬
dern dieſes Weſen, das ſo oft gelitten, aus jeder
Flamme zu reißen, für ſie mit dem Schwerdte
auf ihren Feind zu ſtürzen, ſie durch die tiefen
kalten Höllenflüſſe des Lebens mächtig zu tra¬
gen, — — das hätte ſein Leben erleuchtet.

45. Zy¬
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[432/0452] war ſelber eine moraliſche Kirchenmuſik, die Engelſtimme in der Orgel; der reine Albano fühlte neben ihr die Nothwendigkeit und das Daſeyn einer noch zärtern Reinheit; und ihm ſchien als könne ein Mann dieſe Seele, deren Verſtand faſt nur ein feineres Fühlen war, verletzen ohne es ſelber zu wiſſen, wie Fenſter¬ gläſer von reiner Durchſichtigkeit oft zerſtoßen werden, weil ſie unſichtbar erſcheinen. Er drehte ſich, weil er immer um einen Schritt voraus war, mechaniſch um und nicht nur das blühende Lilar, ſondern auch Lianens volle Geſtalt leuchtete ihm auf einmal und neuge¬ ſtaltet in die Seele. — — Nicht ſie an ſein Herz zu drücken, war jetzt ſein Sehnen, ſon¬ dern dieſes Weſen, das ſo oft gelitten, aus jeder Flamme zu reißen, für ſie mit dem Schwerdte auf ihren Feind zu ſtürzen, ſie durch die tiefen kalten Höllenflüſſe des Lebens mächtig zu tra¬ gen, — — das hätte ſein Leben erleuchtet. 45. Zy¬ *) *) verdient von mir mehr unterſucht und ausge¬ führt zu werden.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/452>, abgerufen am 26.04.2024.