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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die christlichen Lehren. -- Der Islam.
Dunkelheit der Gleichnisse kann bei besserem Verständniss des
Morgenlandes sich noch in Klarheit verwandeln, wie es mit dem
Bilde vom Kamel und dem Nadelöhr geglückt ist1). Nur auf
Entstellungen beruht es, wenn zur Verdunkelung des Christen-
thums der Buddhismus ihm vorgezogen wird, der angeblich 400
Millionen Bekenner gewonnen haben soll, ohne weder eine Be-
lohnung guter Werke, noch Bestrafung böser Handlungen zu ver-
heissen. Wie es sich in Wirklichkeit verhält, haben wir bereits
dargestellt. Der Buddhismus der 400 Millionen entbehrt weder
eines reich ausgeschmückten Himmelreiches, noch einer Hölle mit
erfinderischen Qualen. Auch in seiner anfänglichen Reinheit diente
ihm schon die Wiedergeburt als Schreckmittel gegen Uebertreter
seiner Gebote, denn Acoka's Sohn erlitt nur deswegen eine grau-
same Blendung, weil er nach buddhistischer Deutung in einem
früheren Dasein Hunderten von Gazellen die Augen ausgestochen
hatte2).

15. Der Islam.

Vor dem Auftreten ihres Propheten lagen die Stämme der
arabischen Halbinsel noch in den Fesseln des Fetischwahnes. Sie
verehrten Steine, Felsen, Bäume und Bilder, aber auch die Sonne,
den Mond und die Gestirne3). Mohammed selbst gesteht, dass er
in seiner Jugend die Götter seiner Väter angebetet habe. Der
Meteorstein in der Ka'aba zu Mekka war schon längst das Ziel
von Wallfahrten gewesen, an die sich gewinnreiche Messen knüpften
und um diese Erwerbsquelle seiner Vaterstadt nicht zu entziehen,
verschmähete der Religionsstifter es nicht, die Steinverehrung in den

1) Die edle leider zu früh verstorbene Lady Duff Gordon schreibt
(Letters from Egypt. London 1865. p. 133) glückseligen Herzens: "Gestern
habe ich ein Kamel durch ein Nadelöhr schlüpfen sehen. So nennt man
nämlich die niedrigen Thore eines Pferches. Das Thier muss dabei auf den
Knieen rutschen und seinen Kopf beugen, um hindurch zu kommen". Auch
in den südalgerischen Oasen heissen Nadelöhre die kleinen Pförtchen neben
den grossen Thoren in den Mauern. F. Desor, Aus Sahara und Atlas.
Wiesbaden 1865. S. 28.
2) Burnouf, Introduction a l'histoire du Buddhisme. Paris 1844. tom. I,
p. 414.
3) L. Krehl, Religion der vorislamischen Araber. Leipzig. 1863. S. 45.

Die christlichen Lehren. — Der Islam.
Dunkelheit der Gleichnisse kann bei besserem Verständniss des
Morgenlandes sich noch in Klarheit verwandeln, wie es mit dem
Bilde vom Kamel und dem Nadelöhr geglückt ist1). Nur auf
Entstellungen beruht es, wenn zur Verdunkelung des Christen-
thums der Buddhismus ihm vorgezogen wird, der angeblich 400
Millionen Bekenner gewonnen haben soll, ohne weder eine Be-
lohnung guter Werke, noch Bestrafung böser Handlungen zu ver-
heissen. Wie es sich in Wirklichkeit verhält, haben wir bereits
dargestellt. Der Buddhismus der 400 Millionen entbehrt weder
eines reich ausgeschmückten Himmelreiches, noch einer Hölle mit
erfinderischen Qualen. Auch in seiner anfänglichen Reinheit diente
ihm schon die Wiedergeburt als Schreckmittel gegen Uebertreter
seiner Gebote, denn Açoka’s Sohn erlitt nur deswegen eine grau-
same Blendung, weil er nach buddhistischer Deutung in einem
früheren Dasein Hunderten von Gazellen die Augen ausgestochen
hatte2).

15. Der Islâm.

Vor dem Auftreten ihres Propheten lagen die Stämme der
arabischen Halbinsel noch in den Fesseln des Fetischwahnes. Sie
verehrten Steine, Felsen, Bäume und Bilder, aber auch die Sonne,
den Mond und die Gestirne3). Mohammed selbst gesteht, dass er
in seiner Jugend die Götter seiner Väter angebetet habe. Der
Meteorstein in der Ka‘aba zu Mekka war schon längst das Ziel
von Wallfahrten gewesen, an die sich gewinnreiche Messen knüpften
und um diese Erwerbsquelle seiner Vaterstadt nicht zu entziehen,
verschmähete der Religionsstifter es nicht, die Steinverehrung in den

1) Die edle leider zu früh verstorbene Lady Duff Gordon schreibt
(Letters from Egypt. London 1865. p. 133) glückseligen Herzens: „Gestern
habe ich ein Kamel durch ein Nadelöhr schlüpfen sehen. So nennt man
nämlich die niedrigen Thore eines Pferches. Das Thier muss dabei auf den
Knieen rutschen und seinen Kopf beugen, um hindurch zu kommen“. Auch
in den südalgerischen Oasen heissen Nadelöhre die kleinen Pförtchen neben
den grossen Thoren in den Mauern. F. Desor, Aus Sahara und Atlas.
Wiesbaden 1865. S. 28.
2) Burnouf, Introduction à l’histoire du Buddhisme. Paris 1844. tom. I,
p. 414.
3) L. Krehl, Religion der vorislamischen Araber. Leipzig. 1863. S. 45.
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[316/0334] Die christlichen Lehren. — Der Islam. Dunkelheit der Gleichnisse kann bei besserem Verständniss des Morgenlandes sich noch in Klarheit verwandeln, wie es mit dem Bilde vom Kamel und dem Nadelöhr geglückt ist 1). Nur auf Entstellungen beruht es, wenn zur Verdunkelung des Christen- thums der Buddhismus ihm vorgezogen wird, der angeblich 400 Millionen Bekenner gewonnen haben soll, ohne weder eine Be- lohnung guter Werke, noch Bestrafung böser Handlungen zu ver- heissen. Wie es sich in Wirklichkeit verhält, haben wir bereits dargestellt. Der Buddhismus der 400 Millionen entbehrt weder eines reich ausgeschmückten Himmelreiches, noch einer Hölle mit erfinderischen Qualen. Auch in seiner anfänglichen Reinheit diente ihm schon die Wiedergeburt als Schreckmittel gegen Uebertreter seiner Gebote, denn Açoka’s Sohn erlitt nur deswegen eine grau- same Blendung, weil er nach buddhistischer Deutung in einem früheren Dasein Hunderten von Gazellen die Augen ausgestochen hatte 2). 15. Der Islâm. Vor dem Auftreten ihres Propheten lagen die Stämme der arabischen Halbinsel noch in den Fesseln des Fetischwahnes. Sie verehrten Steine, Felsen, Bäume und Bilder, aber auch die Sonne, den Mond und die Gestirne 3). Mohammed selbst gesteht, dass er in seiner Jugend die Götter seiner Väter angebetet habe. Der Meteorstein in der Ka‘aba zu Mekka war schon längst das Ziel von Wallfahrten gewesen, an die sich gewinnreiche Messen knüpften und um diese Erwerbsquelle seiner Vaterstadt nicht zu entziehen, verschmähete der Religionsstifter es nicht, die Steinverehrung in den 1) Die edle leider zu früh verstorbene Lady Duff Gordon schreibt (Letters from Egypt. London 1865. p. 133) glückseligen Herzens: „Gestern habe ich ein Kamel durch ein Nadelöhr schlüpfen sehen. So nennt man nämlich die niedrigen Thore eines Pferches. Das Thier muss dabei auf den Knieen rutschen und seinen Kopf beugen, um hindurch zu kommen“. Auch in den südalgerischen Oasen heissen Nadelöhre die kleinen Pförtchen neben den grossen Thoren in den Mauern. F. Desor, Aus Sahara und Atlas. Wiesbaden 1865. S. 28. 2) Burnouf, Introduction à l’histoire du Buddhisme. Paris 1844. tom. I, p. 414. 3) L. Krehl, Religion der vorislamischen Araber. Leipzig. 1863. S. 45.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/334>, abgerufen am 26.04.2024.