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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der israelitische Monotheismus.
drohten Frucht beobachten. Weil wir alle schon in der Jugend
die Wahrheit eingesogen haben, dass das Heilige und Ewige nur
ein untheilbares sein könne, übersehen wir die Schwierigkeiten,
welchen die Ausbreitung dieses Gedankens begegnen musste, als
er neu, schwankend und unklar von Wenigen getheilt, von der
Mehrzahl anderen und älteren Vorstellungen zu lieb zurückgewiesen
wurde. Ein Volk, welches zum Glauben an die göttliche Einheit
gelangen soll, muss überhaupt vorher lange Zeiträume geistiger und
sittlicher Entwickelung zurückgelegt haben, denn wie Tylor richtig
bemerkt 1), ist nie bei einem Stamm sogenannter Wilder der Mono-
theismus angetroffen worden. Kritisches Vertrauen kann jedoch
die biblische Geschichte erst von dem Zeitpunkt an geniessen, wo
das Volk Israel die Kunst der Schrift sich angeeignet hatte, also
seit der Zeit des Auszuges aus Aegypten, aber auch nicht viel
früher 2).

In ihrem höheren Alterthume gebrauchten die Hebräer andere
Namen als Jahve für das höchste Wesen, und einer darunter
(Elohim), trägt bedenklicherweise die Pluralform, auch werden bei
einer feierlichen Eidesleistung sogar drei Götter nach einander an-
gerufen 3). Es wurde auch früher schon erwähnt, dass Hausgötzen
(Seraphim) noch unter David 4) Verehrung genossen. Erst kurz
vor der babylonischen Gefangenschaft liess Josia zwei Altäre mit
heiligen Steinen vor den Thoren Jerusalems vernichten 5). Dass
überhaupt in den ältesten Zeiten die Juden nicht der reinen Gottes-
religion anhingen, bezeugt ausdrücklich die heilige Schrift. Wenn
daher die Aegypter ein höchstes Wesen unter dem Namen ich bin,
der ich bin
, verehrten 6), so ist die Vermuthung zwar nicht ganz
verwerflich, dass erst Mose, eingeweiht in die Geheimnisse des
ägyptischen Gottesdienstes, zur monotheistischen Auffassung sich
aufgeschwungen habe; bei dem Dunkel jedoch, welches über der
Vorgeschichte des Volkes Israel schwebt, lässt sich gegenwärtig

1) Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 333.
2) Die Erwähnung von Siegelringen zu Josephs Zeit (Gen. 38. v. 18. v. 25)
würde noch etwas höher hinauf führen.
3) Vergl. zu Genesis XXXI, 53. Ewald, Israelitische Geschichte.
1. Aufl. Bd. 1. S. 371.
4) Siehe oben S. 258.
5) Ewald, Israelitische Geschichte. 3. Aufl. Bd. 3. S. 757.
6) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 97. S. 528.

Der israelitische Monotheismus.
drohten Frucht beobachten. Weil wir alle schon in der Jugend
die Wahrheit eingesogen haben, dass das Heilige und Ewige nur
ein untheilbares sein könne, übersehen wir die Schwierigkeiten,
welchen die Ausbreitung dieses Gedankens begegnen musste, als
er neu, schwankend und unklar von Wenigen getheilt, von der
Mehrzahl anderen und älteren Vorstellungen zu lieb zurückgewiesen
wurde. Ein Volk, welches zum Glauben an die göttliche Einheit
gelangen soll, muss überhaupt vorher lange Zeiträume geistiger und
sittlicher Entwickelung zurückgelegt haben, denn wie Tylor richtig
bemerkt 1), ist nie bei einem Stamm sogenannter Wilder der Mono-
theismus angetroffen worden. Kritisches Vertrauen kann jedoch
die biblische Geschichte erst von dem Zeitpunkt an geniessen, wo
das Volk Israel die Kunst der Schrift sich angeeignet hatte, also
seit der Zeit des Auszuges aus Aegypten, aber auch nicht viel
früher 2).

In ihrem höheren Alterthume gebrauchten die Hebräer andere
Namen als Jahve für das höchste Wesen, und einer darunter
(Elohim), trägt bedenklicherweise die Pluralform, auch werden bei
einer feierlichen Eidesleistung sogar drei Götter nach einander an-
gerufen 3). Es wurde auch früher schon erwähnt, dass Hausgötzen
(Seraphim) noch unter David 4) Verehrung genossen. Erst kurz
vor der babylonischen Gefangenschaft liess Josia zwei Altäre mit
heiligen Steinen vor den Thoren Jerusalems vernichten 5). Dass
überhaupt in den ältesten Zeiten die Juden nicht der reinen Gottes-
religion anhingen, bezeugt ausdrücklich die heilige Schrift. Wenn
daher die Aegypter ein höchstes Wesen unter dem Namen ich bin,
der ich bin
, verehrten 6), so ist die Vermuthung zwar nicht ganz
verwerflich, dass erst Mose, eingeweiht in die Geheimnisse des
ägyptischen Gottesdienstes, zur monotheistischen Auffassung sich
aufgeschwungen habe; bei dem Dunkel jedoch, welches über der
Vorgeschichte des Volkes Israel schwebt, lässt sich gegenwärtig

1) Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 333.
2) Die Erwähnung von Siegelringen zu Josephs Zeit (Gen. 38. v. 18. v. 25)
würde noch etwas höher hinauf führen.
3) Vergl. zu Genesis XXXI, 53. Ewald, Israelitische Geschichte.
1. Aufl. Bd. 1. S. 371.
4) Siehe oben S. 258.
5) Ewald, Israelitische Geschichte. 3. Aufl. Bd. 3. S. 757.
6) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 97. S. 528.
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[300/0318] Der israelitische Monotheismus. drohten Frucht beobachten. Weil wir alle schon in der Jugend die Wahrheit eingesogen haben, dass das Heilige und Ewige nur ein untheilbares sein könne, übersehen wir die Schwierigkeiten, welchen die Ausbreitung dieses Gedankens begegnen musste, als er neu, schwankend und unklar von Wenigen getheilt, von der Mehrzahl anderen und älteren Vorstellungen zu lieb zurückgewiesen wurde. Ein Volk, welches zum Glauben an die göttliche Einheit gelangen soll, muss überhaupt vorher lange Zeiträume geistiger und sittlicher Entwickelung zurückgelegt haben, denn wie Tylor richtig bemerkt 1), ist nie bei einem Stamm sogenannter Wilder der Mono- theismus angetroffen worden. Kritisches Vertrauen kann jedoch die biblische Geschichte erst von dem Zeitpunkt an geniessen, wo das Volk Israel die Kunst der Schrift sich angeeignet hatte, also seit der Zeit des Auszuges aus Aegypten, aber auch nicht viel früher 2). In ihrem höheren Alterthume gebrauchten die Hebräer andere Namen als Jahve für das höchste Wesen, und einer darunter (Elohim), trägt bedenklicherweise die Pluralform, auch werden bei einer feierlichen Eidesleistung sogar drei Götter nach einander an- gerufen 3). Es wurde auch früher schon erwähnt, dass Hausgötzen (Seraphim) noch unter David 4) Verehrung genossen. Erst kurz vor der babylonischen Gefangenschaft liess Josia zwei Altäre mit heiligen Steinen vor den Thoren Jerusalems vernichten 5). Dass überhaupt in den ältesten Zeiten die Juden nicht der reinen Gottes- religion anhingen, bezeugt ausdrücklich die heilige Schrift. Wenn daher die Aegypter ein höchstes Wesen unter dem Namen ich bin, der ich bin, verehrten 6), so ist die Vermuthung zwar nicht ganz verwerflich, dass erst Mose, eingeweiht in die Geheimnisse des ägyptischen Gottesdienstes, zur monotheistischen Auffassung sich aufgeschwungen habe; bei dem Dunkel jedoch, welches über der Vorgeschichte des Volkes Israel schwebt, lässt sich gegenwärtig 1) Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 333. 2) Die Erwähnung von Siegelringen zu Josephs Zeit (Gen. 38. v. 18. v. 25) würde noch etwas höher hinauf führen. 3) Vergl. zu Genesis XXXI, 53. Ewald, Israelitische Geschichte. 1. Aufl. Bd. 1. S. 371. 4) Siehe oben S. 258. 5) Ewald, Israelitische Geschichte. 3. Aufl. Bd. 3. S. 757. 6) G. Ebers, Durch Gosen zum Sinai. S. 97. S. 528.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/318>, abgerufen am 26.04.2024.