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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Und nun, Gott Lob! ich habe jezt eine Weile
nichts mehr von ihnen zu erzählen. Ich kehre zu-
rück zu Lienhard und Gertrud -- Wie das eine
Welt ist! Bald steht neben einem Hundsstall ein
Garten, und auf einer Wiese ist bald stinkender
Unrath, bald herrliches, [m]ilchreiches Futter.

Ja, es ist wunderlich auf der Welt! Selbst
die schönen Wiesen geben ohne den Unrath, den
wir darauf schütten, kein Futter.

Pinsel das Laster mahlt, und kühn ist, und das
Tiefste treffend enthüllet, entweihet das Herz nicht
mit der Gewalt, mit der es der Mund thut,
wenn er mit gleicher Kühnheit das Laster ent-
blößt darstellt.
Das ist keine Lobrede für alle angebeteten Dich-
ter; aber es dünkt mich hingegen, besonders in
einem Jahrhundert, wo es der allgemeine Ton
ist, den Kopf mit Bildern des Müßiggangs, an-
statt mit Berufs- und Geschäftssachen zu füllen,
eine für das Menschengeschlecht höchst wichtige
Wahrheit.


§. 31.
L 2

Und nun, Gott Lob! ich habe jezt eine Weile
nichts mehr von ihnen zu erzaͤhlen. Ich kehre zu-
ruͤck zu Lienhard und Gertrud — Wie das eine
Welt iſt! Bald ſteht neben einem Hundsſtall ein
Garten, und auf einer Wieſe iſt bald ſtinkender
Unrath, bald herrliches, [m]ilchreiches Futter.

Ja, es iſt wunderlich auf der Welt! Selbſt
die ſchoͤnen Wieſen geben ohne den Unrath, den
wir darauf ſchuͤtten, kein Futter.

Pinſel das Laſter mahlt, und kuͤhn iſt, und das
Tiefſte treffend enthuͤllet, entweihet das Herz nicht
mit der Gewalt, mit der es der Mund thut,
wenn er mit gleicher Kuͤhnheit das Laſter ent-
bloͤßt darſtellt.
Das iſt keine Lobrede fuͤr alle angebeteten Dich-
ter; aber es duͤnkt mich hingegen, beſonders in
einem Jahrhundert, wo es der allgemeine Ton
iſt, den Kopf mit Bildern des Muͤßiggangs, an-
ſtatt mit Berufs- und Geſchaͤftsſachen zu fuͤllen,
eine fuͤr das Menſchengeſchlecht hoͤchſt wichtige
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§. 31.
L 2
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[165/0190] Und nun, Gott Lob! ich habe jezt eine Weile nichts mehr von ihnen zu erzaͤhlen. Ich kehre zu- ruͤck zu Lienhard und Gertrud — Wie das eine Welt iſt! Bald ſteht neben einem Hundsſtall ein Garten, und auf einer Wieſe iſt bald ſtinkender Unrath, bald herrliches, milchreiches Futter. Ja, es iſt wunderlich auf der Welt! Selbſt die ſchoͤnen Wieſen geben ohne den Unrath, den wir darauf ſchuͤtten, kein Futter. Pinſel das Laſter mahlt, und kuͤhn iſt, und das Tiefſte treffend enthuͤllet, entweihet das Herz nicht mit der Gewalt, mit der es der Mund thut, wenn er mit gleicher Kuͤhnheit das Laſter ent- bloͤßt darſtellt. Das iſt keine Lobrede fuͤr alle angebeteten Dich- ter; aber es duͤnkt mich hingegen, beſonders in einem Jahrhundert, wo es der allgemeine Ton iſt, den Kopf mit Bildern des Muͤßiggangs, an- ſtatt mit Berufs- und Geſchaͤftsſachen zu fuͤllen, eine fuͤr das Menſchengeſchlecht hoͤchſt wichtige Wahrheit. §. 31. L 2

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/190>, abgerufen am 26.04.2024.