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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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ther wider den Mäurer, der mir Brod zeigt und
Verdienst -- und jezt muß ich noch sehn, daß auch
dieser Kleine ein Herz hat, wie ein Engel -- Ich
thue diesen Leuten nichts Böses; der Vogt ist mir
seit gestern ein Gräuel. Ich kann's nicht vergessen,
wie er aussah, da er mir den Kelch gab -- So sagte
der Mann, und blieb den ganzen Abend in ernsten
Betrachtungen über sein Leben bey Hause.

Die Kinder Lienhards waren jezt auch wieder
zurück, erzählten dem Vater und der Mutter, wie's
ihnen gegangen war, und waren sehr munter. Lise
allein war es nicht, zwang sich aber frölich zu schei-
nen, und erzählte mit viel Worten, wie sie das
Betheli so herzlich erfreut habe.

Es ist dir gewiß etwas begegnet, sagte Ger-
trud?

Nein, es ist mir gewiß nichts begegnet, und es
hat ihm gewiß Freude gemacht, antwortete Lise.

Die Mutter fragte jezt nicht weiter, sondern
betete mit ihren Kindern, gab ihnen ihr Nachtessen,
und begleitete sie zur Ruhe.

Gertrud und Lienhard lasen noch eine Stunde
in ihrer Bibel, und redeten mit einander von dem,
was sie lasen; und es war ihnen herzinniglich wohl
am Abend des heiligen Fests.



§. 52.
Q 5

ther wider den Maͤurer, der mir Brod zeigt und
Verdienſt — und jezt muß ich noch ſehn, daß auch
dieſer Kleine ein Herz hat, wie ein Engel — Ich
thue dieſen Leuten nichts Boͤſes; der Vogt iſt mir
ſeit geſtern ein Graͤuel. Ich kann’s nicht vergeſſen,
wie er ausſah, da er mir den Kelch gab — So ſagte
der Mann, und blieb den ganzen Abend in ernſten
Betrachtungen uͤber ſein Leben bey Hauſe.

Die Kinder Lienhards waren jezt auch wieder
zuruͤck, erzaͤhlten dem Vater und der Mutter, wie’s
ihnen gegangen war, und waren ſehr munter. Liſe
allein war es nicht, zwang ſich aber froͤlich zu ſchei-
nen, und erzaͤhlte mit viel Worten, wie ſie das
Betheli ſo herzlich erfreut habe.

Es iſt dir gewiß etwas begegnet, ſagte Ger-
trud?

Nein, es iſt mir gewiß nichts begegnet, und es
hat ihm gewiß Freude gemacht, antwortete Liſe.

Die Mutter fragte jezt nicht weiter, ſondern
betete mit ihren Kindern, gab ihnen ihr Nachteſſen,
und begleitete ſie zur Ruhe.

Gertrud und Lienhard laſen noch eine Stunde
in ihrer Bibel, und redeten mit einander von dem,
was ſie laſen; und es war ihnen herzinniglich wohl
am Abend des heiligen Feſts.



§. 52.
Q 5
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[249/0274] ther wider den Maͤurer, der mir Brod zeigt und Verdienſt — und jezt muß ich noch ſehn, daß auch dieſer Kleine ein Herz hat, wie ein Engel — Ich thue dieſen Leuten nichts Boͤſes; der Vogt iſt mir ſeit geſtern ein Graͤuel. Ich kann’s nicht vergeſſen, wie er ausſah, da er mir den Kelch gab — So ſagte der Mann, und blieb den ganzen Abend in ernſten Betrachtungen uͤber ſein Leben bey Hauſe. Die Kinder Lienhards waren jezt auch wieder zuruͤck, erzaͤhlten dem Vater und der Mutter, wie’s ihnen gegangen war, und waren ſehr munter. Liſe allein war es nicht, zwang ſich aber froͤlich zu ſchei- nen, und erzaͤhlte mit viel Worten, wie ſie das Betheli ſo herzlich erfreut habe. Es iſt dir gewiß etwas begegnet, ſagte Ger- trud? Nein, es iſt mir gewiß nichts begegnet, und es hat ihm gewiß Freude gemacht, antwortete Liſe. Die Mutter fragte jezt nicht weiter, ſondern betete mit ihren Kindern, gab ihnen ihr Nachteſſen, und begleitete ſie zur Ruhe. Gertrud und Lienhard laſen noch eine Stunde in ihrer Bibel, und redeten mit einander von dem, was ſie laſen; und es war ihnen herzinniglich wohl am Abend des heiligen Feſts. §. 52. Q 5

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/274>, abgerufen am 26.04.2024.