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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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nen; daher denn offenbar die Quelle des innern
Gifts des Aberglaubens und der Vorurtheile darinn
zu suchen ist, daß beym Unterricht des Volks seine
Aufmerksamkeit nicht fest und stark auf Gegen-
stände gelenkt wird
, die seine Personallage nahe
und wichtig intereßiren, und sein Herz zu reiner
sanfter Menschlichkeit in allen Umständen stim-
men.

Thäte man das mit Ernst und Eifer, wie man
mit Ernst und Eifer Meynungen einprägt, so wür-
de man den Aberglauben an seinen Wurzeln unter-
graben, und ihm alle seine Macht rauben --
Aber ich fühle täglich mehr, wie weit wir in die-
ser Arbeit noch zurück sind.

Junker. Es ist in der Welt alles vergleichungs-
weis wahr oder nicht wahr. Es waren weit rohere
Zeiten, Zeiten, wo man Gespenster glauben oder
ein Ketzer seyn mußte; Zeiten, wo man alte
Frauen auf Verdacht und boshafte Klagen hin an
der Folter fragen mußte, was sie mit dem Teufel
gehabt, oder Gefahr lief, seine Rechte und seinen Ge-
richtstuhl zu verlieren.

Pfarrer. Das ist Gott Lob vorbey; aber es
ist noch viel des alten Sauerteigs übrig.

Junker. Nur Muth gefaßt, Herr Pfarrer!
es fällt ein Stein nach dem andern vom Tempel
des Aberglaubens, wenn man nur auch so eifrig

an
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nen; daher denn offenbar die Quelle des innern
Gifts des Aberglaubens und der Vorurtheile darinn
zu ſuchen iſt, daß beym Unterricht des Volks ſeine
Aufmerkſamkeit nicht feſt und ſtark auf Gegen-
ſtaͤnde gelenkt wird
, die ſeine Perſonallage nahe
und wichtig intereßiren, und ſein Herz zu reiner
ſanfter Menſchlichkeit in allen Umſtaͤnden ſtim-
men.

Thaͤte man das mit Ernſt und Eifer, wie man
mit Ernſt und Eifer Meynungen einpraͤgt, ſo wuͤr-
de man den Aberglauben an ſeinen Wurzeln unter-
graben, und ihm alle ſeine Macht rauben —
Aber ich fuͤhle taͤglich mehr, wie weit wir in die-
ſer Arbeit noch zuruͤck ſind.

Junker. Es iſt in der Welt alles vergleichungs-
weis wahr oder nicht wahr. Es waren weit rohere
Zeiten, Zeiten, wo man Geſpenſter glauben oder
ein Ketzer ſeyn mußte; Zeiten, wo man alte
Frauen auf Verdacht und boshafte Klagen hin an
der Folter fragen mußte, was ſie mit dem Teufel
gehabt, oder Gefahr lief, ſeine Rechte und ſeinen Ge-
richtſtuhl zu verlieren.

Pfarrer. Das iſt Gott Lob vorbey; aber es
iſt noch viel des alten Sauerteigs uͤbrig.

Junker. Nur Muth gefaßt, Herr Pfarrer!
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an
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[341/0366] nen; daher denn offenbar die Quelle des innern Gifts des Aberglaubens und der Vorurtheile darinn zu ſuchen iſt, daß beym Unterricht des Volks ſeine Aufmerkſamkeit nicht feſt und ſtark auf Gegen- ſtaͤnde gelenkt wird, die ſeine Perſonallage nahe und wichtig intereßiren, und ſein Herz zu reiner ſanfter Menſchlichkeit in allen Umſtaͤnden ſtim- men. Thaͤte man das mit Ernſt und Eifer, wie man mit Ernſt und Eifer Meynungen einpraͤgt, ſo wuͤr- de man den Aberglauben an ſeinen Wurzeln unter- graben, und ihm alle ſeine Macht rauben — Aber ich fuͤhle taͤglich mehr, wie weit wir in die- ſer Arbeit noch zuruͤck ſind. Junker. Es iſt in der Welt alles vergleichungs- weis wahr oder nicht wahr. Es waren weit rohere Zeiten, Zeiten, wo man Geſpenſter glauben oder ein Ketzer ſeyn mußte; Zeiten, wo man alte Frauen auf Verdacht und boshafte Klagen hin an der Folter fragen mußte, was ſie mit dem Teufel gehabt, oder Gefahr lief, ſeine Rechte und ſeinen Ge- richtſtuhl zu verlieren. Pfarrer. Das iſt Gott Lob vorbey; aber es iſt noch viel des alten Sauerteigs uͤbrig. Junker. Nur Muth gefaßt, Herr Pfarrer! es faͤllt ein Stein nach dem andern vom Tempel des Aberglaubens, wenn man nur auch ſo eifrig an Y 3

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/366>, abgerufen am 27.04.2024.