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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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Es ist, nach dem wissenschaftlichen Ort oder Quellpunkt
angesehen, eine Frage der philosophischen Moral, was
wir im Folgenden zu behandeln unternehmen. Nun wirft man
freilich der Philosophie besonders in unserer, zur Abwechselung
auch einmal recht wenig philosophisch gestimmten Zeit oft vor,
daß sie ihren volltönenden Namen Welt- oder Lebensweisheit sehr
mit Unrecht und fast nur wie zur ironischen Selbstkritik trage.
Denn in allen möglichen Sphären sich bewegend, über dieß und
das im Himmel und auf Erden verhandelnd wisse sie nirgends
weniger Bescheid oder kenne sich überall besser aus, als in der
wirklichen Welt, im realen Leben; gleich nebligen Wolken ziehen
ja ihre abstrakten Sätze in ferner Höhe dahin und verdunkeln das
Licht der natürlichen Erkenntniß eher, als daß sie es fördern. --
Mag dieser, wiewohl vielfach einseitig übertriebene Tadel einzelne
Gebiete jener Wissenschaft oder noch eher einzelne Formen ihrer
Ausprägung und Vertretung am Ende auch treffen, wir hoffen
ihm mit unserem Problem zu entgehen, das in mediam rem
unsres realistischen Jahrhunderts greift, als Zeit- und Streitfrage
im Vordergrund des Interesses steht und eben die Gegenwart
aufs Lebhafteste bewegt.

Kosmopolitismus und Patriotismus, Weltbürger¬
lichkeit und Vaterlandsliebe -- wohl sind sie nicht selbst und
unmittelbar der Zankapfel unserer kämpfereichen Zeit; ihrer Natur
nach können sie es auch nicht sein. Denn wie schon ihre kunst¬
mäßige Wortform andeutet, haben wir an ihnen überhaupt nichts

III. 36.
1*

Es iſt, nach dem wiſſenſchaftlichen Ort oder Quellpunkt
angeſehen, eine Frage der philoſophiſchen Moral, was
wir im Folgenden zu behandeln unternehmen. Nun wirft man
freilich der Philoſophie beſonders in unſerer, zur Abwechſelung
auch einmal recht wenig philoſophiſch geſtimmten Zeit oft vor,
daß ſie ihren volltönenden Namen Welt- oder Lebensweisheit ſehr
mit Unrecht und faſt nur wie zur ironiſchen Selbſtkritik trage.
Denn in allen möglichen Sphären ſich bewegend, über dieß und
das im Himmel und auf Erden verhandelnd wiſſe ſie nirgends
weniger Beſcheid oder kenne ſich überall beſſer aus, als in der
wirklichen Welt, im realen Leben; gleich nebligen Wolken ziehen
ja ihre abſtrakten Sätze in ferner Höhe dahin und verdunkeln das
Licht der natürlichen Erkenntniß eher, als daß ſie es fördern. —
Mag dieſer, wiewohl vielfach einſeitig übertriebene Tadel einzelne
Gebiete jener Wiſſenſchaft oder noch eher einzelne Formen ihrer
Ausprägung und Vertretung am Ende auch treffen, wir hoffen
ihm mit unſerem Problem zu entgehen, das in mediam rem
unſres realiſtiſchen Jahrhunderts greift, als Zeit- und Streitfrage
im Vordergrund des Intereſſes ſteht und eben die Gegenwart
aufs Lebhafteſte bewegt.

Kosmopolitismus und Patriotismus, Weltbürger¬
lichkeit und Vaterlandsliebe — wohl ſind ſie nicht ſelbſt und
unmittelbar der Zankapfel unſerer kämpfereichen Zeit; ihrer Natur
nach können ſie es auch nicht ſein. Denn wie ſchon ihre kunſt¬
mäßige Wortform andeutet, haben wir an ihnen überhaupt nichts

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[[3]/0013] Es iſt, nach dem wiſſenſchaftlichen Ort oder Quellpunkt angeſehen, eine Frage der philoſophiſchen Moral, was wir im Folgenden zu behandeln unternehmen. Nun wirft man freilich der Philoſophie beſonders in unſerer, zur Abwechſelung auch einmal recht wenig philoſophiſch geſtimmten Zeit oft vor, daß ſie ihren volltönenden Namen Welt- oder Lebensweisheit ſehr mit Unrecht und faſt nur wie zur ironiſchen Selbſtkritik trage. Denn in allen möglichen Sphären ſich bewegend, über dieß und das im Himmel und auf Erden verhandelnd wiſſe ſie nirgends weniger Beſcheid oder kenne ſich überall beſſer aus, als in der wirklichen Welt, im realen Leben; gleich nebligen Wolken ziehen ja ihre abſtrakten Sätze in ferner Höhe dahin und verdunkeln das Licht der natürlichen Erkenntniß eher, als daß ſie es fördern. — Mag dieſer, wiewohl vielfach einſeitig übertriebene Tadel einzelne Gebiete jener Wiſſenſchaft oder noch eher einzelne Formen ihrer Ausprägung und Vertretung am Ende auch treffen, wir hoffen ihm mit unſerem Problem zu entgehen, das in mediam rem unſres realiſtiſchen Jahrhunderts greift, als Zeit- und Streitfrage im Vordergrund des Intereſſes ſteht und eben die Gegenwart aufs Lebhafteſte bewegt. Kosmopolitismus und Patriotismus, Weltbürger¬ lichkeit und Vaterlandsliebe — wohl ſind ſie nicht ſelbſt und unmittelbar der Zankapfel unſerer kämpfereichen Zeit; ihrer Natur nach können ſie es auch nicht ſein. Denn wie ſchon ihre kunſt¬ mäßige Wortform andeutet, haben wir an ihnen überhaupt nichts III. 36. 1*

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/13>, abgerufen am 26.04.2024.