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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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enthauptete Frösche, sowie auch andere Amphibien, auf die
Haut gebrachte corrodirende Säure abputzen. Man hat diese
Bewegung in der Art erklärt, dass man sie als einen combinir¬
ten Reflex bezeichnete. Indem man von der Beobachtung aus¬
ging, dass Thiere, deren Kindheit sehr kurz ist, so eben aus
dem Uterus geboren oder dem Ei entschlüpft, ihre Gliedmassen
mit nah derselben Zweckmässigkeit bewegen, wie die Alten,
musste die Idee sehr plausibel erscheinen, dass diese zweck¬
mässigen Bewegungen nicht vom Bewusstsein also combinirt
seien, sondern dass dieses nur einen bereits zweckmässig prä¬
disponirten Mechanismus zu seinen Bedürfnissen vorfinde, den
es anrege. Es erscheint mithin als eine Consequenz aus der
Idee, dass der zweckmässig zum Gebrauche des Bewusstseins
prädisponirte Mechanismus auch nach dem Wegfallen des Be¬
wusstseins, wenn er von anderer Seite angeregt werde, gerade
so wie früher seinen Process selbst beim Enthaupteten ablaufen
könne, um den Schein der Willkür zu erzeugen. Unter diese
Kategorie hat man nun alle zweckmässigen Bewegungen Ent¬
haupteter gebracht, sodass, wie Lotze sagt, "der Rumpf sich
ohne Ueberlegung und durch seine mechanischen Mittel erhält.
Der geköpfte Frosch, den man kneift, bewegt seine Pfote ab¬
wehrend und zurückstossend nach der Stelle des Reizes, wo
das vollständige Thier sein Heil in der Flucht gesucht hätte,
wohl wissend, dass jene Bewegungen zwar an sich zweckmäs¬
sig, aber den Verwickelungen der Umstände nicht gewachsen
waren". (Wenn der Frosch aber, wie der decapitirte, dem
die Mittel zum Entfliehen genommen sind, nun nicht mehr
wegspringen kann, weil man ihn festhält, so macht er es gerade
so, wie der decapitirte, wie man sich durch das Experiment
überzeugen kann! -- -- --) "Der Gebrauch der Glieder also",
so fährt Lotze fort, "in sofern er überhaupt in einer localen
Direction derselben besteht, ist keine, unabhängig Alles selbst
vollziehende That der Willkür, sondern nur eine Benutzung des
vorhandenen Mechanismus, dessen Ablauf die Seele nur wollen
oder nicht wollen, keineswegs aber selbst erst in seinen Ein¬

enthauptete Frösche, sowie auch andere Amphibien, auf die
Haut gebrachte corrodirende Säure abputzen. Man hat diese
Bewegung in der Art erklärt, dass man sie als einen combinir¬
ten Reflex bezeichnete. Indem man von der Beobachtung aus¬
ging, dass Thiere, deren Kindheit sehr kurz ist, so eben aus
dem Uterus geboren oder dem Ei entschlüpft, ihre Gliedmassen
mit nah derselben Zweckmässigkeit bewegen, wie die Alten,
musste die Idee sehr plausibel erscheinen, dass diese zweck¬
mässigen Bewegungen nicht vom Bewusstsein also combinirt
seien, sondern dass dieses nur einen bereits zweckmässig prä¬
disponirten Mechanismus zu seinen Bedürfnissen vorfinde, den
es anrege. Es erscheint mithin als eine Consequenz aus der
Idee, dass der zweckmässig zum Gebrauche des Bewusstseins
prädisponirte Mechanismus auch nach dem Wegfallen des Be¬
wusstseins, wenn er von anderer Seite angeregt werde, gerade
so wie früher seinen Process selbst beim Enthaupteten ablaufen
könne, um den Schein der Willkür zu erzeugen. Unter diese
Kategorie hat man nun alle zweckmässigen Bewegungen Ent¬
haupteter gebracht, sodass, wie Lotze sagt, „der Rumpf sich
ohne Ueberlegung und durch seine mechanischen Mittel erhält.
Der geköpfte Frosch, den man kneift, bewegt seine Pfote ab¬
wehrend und zurückstossend nach der Stelle des Reizes, wo
das vollständige Thier sein Heil in der Flucht gesucht hätte,
wohl wissend, dass jene Bewegungen zwar an sich zweckmäs¬
sig, aber den Verwickelungen der Umstände nicht gewachsen
waren“. (Wenn der Frosch aber, wie der decapitirte, dem
die Mittel zum Entfliehen genommen sind, nun nicht mehr
wegspringen kann, weil man ihn festhält, so macht er es gerade
so, wie der decapitirte, wie man sich durch das Experiment
überzeugen kann! — — —) „Der Gebrauch der Glieder also“,
so fährt Lotze fort, „in sofern er überhaupt in einer localen
Direction derselben besteht, ist keine, unabhängig Alles selbst
vollziehende That der Willkür, sondern nur eine Benutzung des
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[120/0142] enthauptete Frösche, sowie auch andere Amphibien, auf die Haut gebrachte corrodirende Säure abputzen. Man hat diese Bewegung in der Art erklärt, dass man sie als einen combinir¬ ten Reflex bezeichnete. Indem man von der Beobachtung aus¬ ging, dass Thiere, deren Kindheit sehr kurz ist, so eben aus dem Uterus geboren oder dem Ei entschlüpft, ihre Gliedmassen mit nah derselben Zweckmässigkeit bewegen, wie die Alten, musste die Idee sehr plausibel erscheinen, dass diese zweck¬ mässigen Bewegungen nicht vom Bewusstsein also combinirt seien, sondern dass dieses nur einen bereits zweckmässig prä¬ disponirten Mechanismus zu seinen Bedürfnissen vorfinde, den es anrege. Es erscheint mithin als eine Consequenz aus der Idee, dass der zweckmässig zum Gebrauche des Bewusstseins prädisponirte Mechanismus auch nach dem Wegfallen des Be¬ wusstseins, wenn er von anderer Seite angeregt werde, gerade so wie früher seinen Process selbst beim Enthaupteten ablaufen könne, um den Schein der Willkür zu erzeugen. Unter diese Kategorie hat man nun alle zweckmässigen Bewegungen Ent¬ haupteter gebracht, sodass, wie Lotze sagt, „der Rumpf sich ohne Ueberlegung und durch seine mechanischen Mittel erhält. Der geköpfte Frosch, den man kneift, bewegt seine Pfote ab¬ wehrend und zurückstossend nach der Stelle des Reizes, wo das vollständige Thier sein Heil in der Flucht gesucht hätte, wohl wissend, dass jene Bewegungen zwar an sich zweckmäs¬ sig, aber den Verwickelungen der Umstände nicht gewachsen waren“. (Wenn der Frosch aber, wie der decapitirte, dem die Mittel zum Entfliehen genommen sind, nun nicht mehr wegspringen kann, weil man ihn festhält, so macht er es gerade so, wie der decapitirte, wie man sich durch das Experiment überzeugen kann! — — —) „Der Gebrauch der Glieder also“, so fährt Lotze fort, „in sofern er überhaupt in einer localen Direction derselben besteht, ist keine, unabhängig Alles selbst vollziehende That der Willkür, sondern nur eine Benutzung des vorhandenen Mechanismus, dessen Ablauf die Seele nur wollen oder nicht wollen, keineswegs aber selbst erst in seinen Ein¬

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/142>, abgerufen am 26.04.2024.