Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
V.

Die Büttnerbäuerin war gestorben. In den letzten Tagen
hatte sie über unerträglichen Frost geklagt; der Bauer mußte
des Nachts bei ihr liegen, um die Erkaltende zu wärmen.

Eines Mittags, als der Bauer vom Felde zurückkehrte,
fand er sie auf dem Gesichte liegend, mit ausgebreiteten Armen.
Er faßte sie an; sie war kalt. Mehrere Stunden mochte sie
wohl schon so gelegen haben. Keine Spur von Lebenswärme
war mehr an dem steifen Körper zu entdecken. Die eine Ge¬
sichtsseite hatte sich bläulich verfärbt.

Der alte Mann stand wie erstarrt vor der Leiche seiner
Lebensgefährtin. Er warf sich nicht über die Tode, liebkoste
nicht die leblose Hülle. Und doch hatte er sie geliebt, mit echter
starker Liebe. Wie im Leben, hielt sich auch dem Tode gegenüber
sein Gefühl fern von Überschwang. Es hatte Tage gegeben,
wo die Gatten kaum ein Wort mit einander gewechselt. Wochen
und Monde waren vergangen ohne Kuß und Umarmung.
Harte Worte von Seiten des Mannes, Thränen auf Seiten der
Frau waren nichts Seltenes gewesen. Und doch hatte innige
Treue die beiden Menschen verbunden, wie ein unsichtbares
Band. Unter rauhen Formen wurde diese Liebe gewahrt, als
etwas Stilles und Keusches, von dem man nicht viel Auf¬
hebens macht, weil es so selbstverständlich war.

Der Bauer blieb sich treu in seiner schlichten Gesinnung
für die Lebensgefährtin, bis zum letzten. Keine Klage, kein

V.

Die Büttnerbäuerin war geſtorben. In den letzten Tagen
hatte ſie über unerträglichen Froſt geklagt; der Bauer mußte
des Nachts bei ihr liegen, um die Erkaltende zu wärmen.

Eines Mittags, als der Bauer vom Felde zurückkehrte,
fand er ſie auf dem Geſichte liegend, mit ausgebreiteten Armen.
Er faßte ſie an; ſie war kalt. Mehrere Stunden mochte ſie
wohl ſchon ſo gelegen haben. Keine Spur von Lebenswärme
war mehr an dem ſteifen Körper zu entdecken. Die eine Ge¬
ſichtsſeite hatte ſich bläulich verfärbt.

Der alte Mann ſtand wie erſtarrt vor der Leiche ſeiner
Lebensgefährtin. Er warf ſich nicht über die Tode, liebkoſte
nicht die lebloſe Hülle. Und doch hatte er ſie geliebt, mit echter
ſtarker Liebe. Wie im Leben, hielt ſich auch dem Tode gegenüber
ſein Gefühl fern von Überſchwang. Es hatte Tage gegeben,
wo die Gatten kaum ein Wort mit einander gewechſelt. Wochen
und Monde waren vergangen ohne Kuß und Umarmung.
Harte Worte von Seiten des Mannes, Thränen auf Seiten der
Frau waren nichts Seltenes geweſen. Und doch hatte innige
Treue die beiden Menſchen verbunden, wie ein unſichtbares
Band. Unter rauhen Formen wurde dieſe Liebe gewahrt, als
etwas Stilles und Keuſches, von dem man nicht viel Auf¬
hebens macht, weil es ſo ſelbſtverſtändlich war.

Der Bauer blieb ſich treu in ſeiner ſchlichten Geſinnung
für die Lebensgefährtin, bis zum letzten. Keine Klage, kein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0341" n="[327]"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">V</hi>.<lb/></head>
          <p>Die Büttnerbäuerin war ge&#x017F;torben. In den letzten Tagen<lb/>
hatte &#x017F;ie über unerträglichen Fro&#x017F;t geklagt; der Bauer mußte<lb/>
des Nachts bei ihr liegen, um die Erkaltende zu wärmen.</p><lb/>
          <p>Eines Mittags, als der Bauer vom Felde zurückkehrte,<lb/>
fand er &#x017F;ie auf dem Ge&#x017F;ichte liegend, mit ausgebreiteten Armen.<lb/>
Er faßte &#x017F;ie an; &#x017F;ie war kalt. Mehrere Stunden mochte &#x017F;ie<lb/>
wohl &#x017F;chon &#x017F;o gelegen haben. Keine Spur von Lebenswärme<lb/>
war mehr an dem &#x017F;teifen Körper zu entdecken. Die eine Ge¬<lb/>
&#x017F;ichts&#x017F;eite hatte &#x017F;ich bläulich verfärbt.</p><lb/>
          <p>Der alte Mann &#x017F;tand wie er&#x017F;tarrt vor der Leiche &#x017F;einer<lb/>
Lebensgefährtin. Er warf &#x017F;ich nicht über die Tode, liebko&#x017F;te<lb/>
nicht die leblo&#x017F;e Hülle. Und doch hatte er &#x017F;ie geliebt, mit echter<lb/>
&#x017F;tarker Liebe. Wie im Leben, hielt &#x017F;ich auch dem Tode gegenüber<lb/>
&#x017F;ein Gefühl fern von Über&#x017F;chwang. Es hatte Tage gegeben,<lb/>
wo die Gatten kaum ein Wort mit einander gewech&#x017F;elt. Wochen<lb/>
und Monde waren vergangen ohne Kuß und Umarmung.<lb/>
Harte Worte von Seiten des Mannes, Thränen auf Seiten der<lb/>
Frau waren nichts Seltenes gewe&#x017F;en. Und doch hatte innige<lb/>
Treue die beiden Men&#x017F;chen verbunden, wie ein un&#x017F;ichtbares<lb/>
Band. Unter rauhen Formen wurde die&#x017F;e Liebe gewahrt, als<lb/>
etwas Stilles und Keu&#x017F;ches, von dem man nicht viel Auf¬<lb/>
hebens macht, weil es &#x017F;o &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich war.</p><lb/>
          <p>Der Bauer blieb &#x017F;ich treu in &#x017F;einer &#x017F;chlichten Ge&#x017F;innung<lb/>
für die Lebensgefährtin, bis zum letzten. Keine Klage, kein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[327]/0341] V. Die Büttnerbäuerin war geſtorben. In den letzten Tagen hatte ſie über unerträglichen Froſt geklagt; der Bauer mußte des Nachts bei ihr liegen, um die Erkaltende zu wärmen. Eines Mittags, als der Bauer vom Felde zurückkehrte, fand er ſie auf dem Geſichte liegend, mit ausgebreiteten Armen. Er faßte ſie an; ſie war kalt. Mehrere Stunden mochte ſie wohl ſchon ſo gelegen haben. Keine Spur von Lebenswärme war mehr an dem ſteifen Körper zu entdecken. Die eine Ge¬ ſichtsſeite hatte ſich bläulich verfärbt. Der alte Mann ſtand wie erſtarrt vor der Leiche ſeiner Lebensgefährtin. Er warf ſich nicht über die Tode, liebkoſte nicht die lebloſe Hülle. Und doch hatte er ſie geliebt, mit echter ſtarker Liebe. Wie im Leben, hielt ſich auch dem Tode gegenüber ſein Gefühl fern von Überſchwang. Es hatte Tage gegeben, wo die Gatten kaum ein Wort mit einander gewechſelt. Wochen und Monde waren vergangen ohne Kuß und Umarmung. Harte Worte von Seiten des Mannes, Thränen auf Seiten der Frau waren nichts Seltenes geweſen. Und doch hatte innige Treue die beiden Menſchen verbunden, wie ein unſichtbares Band. Unter rauhen Formen wurde dieſe Liebe gewahrt, als etwas Stilles und Keuſches, von dem man nicht viel Auf¬ hebens macht, weil es ſo ſelbſtverſtändlich war. Der Bauer blieb ſich treu in ſeiner ſchlichten Geſinnung für die Lebensgefährtin, bis zum letzten. Keine Klage, kein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/341
Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. [327]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/341>, abgerufen am 26.04.2024.