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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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XIII.

Am Sonnabend Abend war der alte Büttner zum Dorf¬
bader gegangen und hatte sich seinen Bart abnehmen lassen.
Sonntags, beim Morgengrauen, nahm er seine Feiertagskleider
aus der Lade, den langschößigen Tuchrock, der zur Hochzeit
neu gewesen war, die Weste mit den Perlmutterknöpfen, den
Cylinder, der ihm nun auch schon an dreißig Jahre Dienste
gethan hatte, und der trotz alles Streichens mit dem Rockärmel
nur immer widerhaariger wurde.

Traugott Büttner ging zum Tisch des Herrn.

In seinem Feiertagsstaat, das Gesangbuch in der Hand,
schritt er die Dorfstraße hinab. Er blickte nicht rechts noch
links, nur auf seinen Weg.

Andere Altarleute, die ihn überholten, blickten ihm erstaunt
in's Gesicht.

Ja, war denn das wirklich der Büttnerbauer! Oder war
es sein Geist? Die bleichen Wangen, nicht mehr vom Bart
versteckt, zeigten jetzt erst ihre ganze hohle Magerkeit.

Er erwiderte keinen der vielen Morgengrüße, die ihm von
allen Seiten geboten wurden. Sein Gang war langsam,
aber fest, die Blicke hielt er starr geradeaus gerichtet.

Man steckte die Köpfe zusammen. "Saht ack! Büttner¬
traugott gieht beichten!" -- Er war eine ungewohnte Er¬
scheinung geworden in der Kirchfahrt.

Beim Hauptgottesdienste, der der Kommunion folgt, nahm

27*
XIII.

Am Sonnabend Abend war der alte Büttner zum Dorf¬
bader gegangen und hatte ſich ſeinen Bart abnehmen laſſen.
Sonntags, beim Morgengrauen, nahm er ſeine Feiertagskleider
aus der Lade, den langſchößigen Tuchrock, der zur Hochzeit
neu geweſen war, die Weſte mit den Perlmutterknöpfen, den
Cylinder, der ihm nun auch ſchon an dreißig Jahre Dienſte
gethan hatte, und der trotz alles Streichens mit dem Rockärmel
nur immer widerhaariger wurde.

Traugott Büttner ging zum Tiſch des Herrn.

In ſeinem Feiertagsſtaat, das Geſangbuch in der Hand,
ſchritt er die Dorfſtraße hinab. Er blickte nicht rechts noch
links, nur auf ſeinen Weg.

Andere Altarleute, die ihn überholten, blickten ihm erſtaunt
in's Geſicht.

Ja, war denn das wirklich der Büttnerbauer! Oder war
es ſein Geiſt? Die bleichen Wangen, nicht mehr vom Bart
verſteckt, zeigten jetzt erſt ihre ganze hohle Magerkeit.

Er erwiderte keinen der vielen Morgengrüße, die ihm von
allen Seiten geboten wurden. Sein Gang war langſam,
aber feſt, die Blicke hielt er ſtarr geradeaus gerichtet.

Man ſteckte die Köpfe zuſammen. „Saht ack! Büttner¬
traugott gieht beichten!“ — Er war eine ungewohnte Er¬
ſcheinung geworden in der Kirchfahrt.

Beim Hauptgottesdienſte, der der Kommunion folgt, nahm

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[[419]/0433] XIII. Am Sonnabend Abend war der alte Büttner zum Dorf¬ bader gegangen und hatte ſich ſeinen Bart abnehmen laſſen. Sonntags, beim Morgengrauen, nahm er ſeine Feiertagskleider aus der Lade, den langſchößigen Tuchrock, der zur Hochzeit neu geweſen war, die Weſte mit den Perlmutterknöpfen, den Cylinder, der ihm nun auch ſchon an dreißig Jahre Dienſte gethan hatte, und der trotz alles Streichens mit dem Rockärmel nur immer widerhaariger wurde. Traugott Büttner ging zum Tiſch des Herrn. In ſeinem Feiertagsſtaat, das Geſangbuch in der Hand, ſchritt er die Dorfſtraße hinab. Er blickte nicht rechts noch links, nur auf ſeinen Weg. Andere Altarleute, die ihn überholten, blickten ihm erſtaunt in's Geſicht. Ja, war denn das wirklich der Büttnerbauer! Oder war es ſein Geiſt? Die bleichen Wangen, nicht mehr vom Bart verſteckt, zeigten jetzt erſt ihre ganze hohle Magerkeit. Er erwiderte keinen der vielen Morgengrüße, die ihm von allen Seiten geboten wurden. Sein Gang war langſam, aber feſt, die Blicke hielt er ſtarr geradeaus gerichtet. Man ſteckte die Köpfe zuſammen. „Saht ack! Büttner¬ traugott gieht beichten!“ — Er war eine ungewohnte Er¬ ſcheinung geworden in der Kirchfahrt. Beim Hauptgottesdienſte, der der Kommunion folgt, nahm 27*

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. [419]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/433>, abgerufen am 26.04.2024.