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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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Söhne und Töchter sind nun auch längst verhei-
rathet, und der Alte sieht zwölfjährige Enkel mit
seiner jüngsten vierzehnjährigen Tochter spielen. Ein
großer Theil seiner Familie ist jetzt hier, was den
Aufenthalt ziemlich geräuschvoll macht. Dies wird
noch durch das musikalische Talent der Töchter ver-
mehrt, die sich täglich auf einem schrecklich verstimm-
ten Instrumente hören lassen, ohne daß dieser Um-
stand sie im Geringsten stört. *) Die Männer spre-
chen in der Regel nur von Jagd und Reiten, und
sind etwas unwissend. Ein Landjunker aus der
Nachbarschaft z. B. suchte heute lange unverdrossen,
wiewohl vergeblich, die vereinigten Staaten auf der
Karte von Europa, bis ihm endlich sein Schwager
den glücklichen Gedanken eingab, sein Heil auf der
großen Weltcharte zu probiren. Die amerikanischen
Freistaaten wurden deshalb gesucht, weil der alte
Herr mir zeigen wollte, wo er den Grundstein zu
Hallisar und B . . . . town, welche letztere nach sei-
nem Namen benannt ist, im amerikanischen Kriege
gelegt. Er kommandirte damals 700 Mann, und
erinnert sich gern an diese Zeit seiner Jugend und
Wichtigkeit. Die skrupuleuse und ritterliche Höflich-
keit seines Benehmens, die stets bereitwillige Auf-
opferung seiner Bequemlichkeit für Andere, zeigt

*) Ich habe oft zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß die
Musik-Liebhaberei in ganz England nur Modesache ist.
Es giebt keine Nation in Europa, die Musik besser
bezahlt, und sie weniger versteht und genießt.

Söhne und Töchter ſind nun auch längſt verhei-
rathet, und der Alte ſieht zwölfjährige Enkel mit
ſeiner jüngſten vierzehnjährigen Tochter ſpielen. Ein
großer Theil ſeiner Familie iſt jetzt hier, was den
Aufenthalt ziemlich geräuſchvoll macht. Dies wird
noch durch das muſikaliſche Talent der Töchter ver-
mehrt, die ſich täglich auf einem ſchrecklich verſtimm-
ten Inſtrumente hören laſſen, ohne daß dieſer Um-
ſtand ſie im Geringſten ſtört. *) Die Männer ſpre-
chen in der Regel nur von Jagd und Reiten, und
ſind etwas unwiſſend. Ein Landjunker aus der
Nachbarſchaft z. B. ſuchte heute lange unverdroſſen,
wiewohl vergeblich, die vereinigten Staaten auf der
Karte von Europa, bis ihm endlich ſein Schwager
den glücklichen Gedanken eingab, ſein Heil auf der
großen Weltcharte zu probiren. Die amerikaniſchen
Freiſtaaten wurden deshalb geſucht, weil der alte
Herr mir zeigen wollte, wo er den Grundſtein zu
Halliſar und B . . . . town, welche letztere nach ſei-
nem Namen benannt iſt, im amerikaniſchen Kriege
gelegt. Er kommandirte damals 700 Mann, und
erinnert ſich gern an dieſe Zeit ſeiner Jugend und
Wichtigkeit. Die ſkrupuleuſe und ritterliche Höflich-
keit ſeines Benehmens, die ſtets bereitwillige Auf-
opferung ſeiner Bequemlichkeit für Andere, zeigt

*) Ich habe oft zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß die
Muſik-Liebhaberei in ganz England nur Modeſache iſt.
Es giebt keine Nation in Europa, die Muſik beſſer
bezahlt, und ſie weniger verſteht und genießt.
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[220/0244] Söhne und Töchter ſind nun auch längſt verhei- rathet, und der Alte ſieht zwölfjährige Enkel mit ſeiner jüngſten vierzehnjährigen Tochter ſpielen. Ein großer Theil ſeiner Familie iſt jetzt hier, was den Aufenthalt ziemlich geräuſchvoll macht. Dies wird noch durch das muſikaliſche Talent der Töchter ver- mehrt, die ſich täglich auf einem ſchrecklich verſtimm- ten Inſtrumente hören laſſen, ohne daß dieſer Um- ſtand ſie im Geringſten ſtört. *) Die Männer ſpre- chen in der Regel nur von Jagd und Reiten, und ſind etwas unwiſſend. Ein Landjunker aus der Nachbarſchaft z. B. ſuchte heute lange unverdroſſen, wiewohl vergeblich, die vereinigten Staaten auf der Karte von Europa, bis ihm endlich ſein Schwager den glücklichen Gedanken eingab, ſein Heil auf der großen Weltcharte zu probiren. Die amerikaniſchen Freiſtaaten wurden deshalb geſucht, weil der alte Herr mir zeigen wollte, wo er den Grundſtein zu Halliſar und B . . . . town, welche letztere nach ſei- nem Namen benannt iſt, im amerikaniſchen Kriege gelegt. Er kommandirte damals 700 Mann, und erinnert ſich gern an dieſe Zeit ſeiner Jugend und Wichtigkeit. Die ſkrupuleuſe und ritterliche Höflich- keit ſeines Benehmens, die ſtets bereitwillige Auf- opferung ſeiner Bequemlichkeit für Andere, zeigt *) Ich habe oft zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß die Muſik-Liebhaberei in ganz England nur Modeſache iſt. Es giebt keine Nation in Europa, die Muſik beſſer bezahlt, und ſie weniger verſteht und genießt.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/244>, abgerufen am 26.04.2024.