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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Anekdoten, die ein lebhafteres Bild, und zum Theil
einen tiefern Blick in die ganzen Verhältnisse jener
Zeit zuließen, als es Memoiren vermögen, in denen
man die Wahrheit nie ganz ohne Schminke ent-
falten kann. Es würde zu weitläuftig seyn, Dir
hier viel davon zu erzählen, und obendrein diese
Mittheilung des belebenden Colorits des Worts zu
sehr entbehren müssen, weshalb ich das Meiste für
mündliche Unterhaltung aufbewahre. Nur einige
Züge zur Probe.

Es ist nicht zu läugnen, sagte mein Berichterstat-
ter, daß im Innern der Familie Napoleons viele ge-
meine Verhältnisse statt fanden, welche die Roture
verriethen (worunter keineswegs die nicht vornehme
Geburt, sondern eine mangelhafte und würdelose
Erziehung zu verstehen ist). Namentlich herrschte
der größte Haß und die elendesten gegenseitigen In-
triguen zwischen der Familie Napoleons und der
Kaiserin Josephine, welche auch zuletzt das Opfer
davon ward. Napoleon nahm früher stets die Par-
tie seiner Frau, und wurde von seiner Mutter des-
halb oft ins Angesicht, mit den Namen eines Tyran-
nen, Tiber, Nero, und noch weniger classi-
schen
Ausdrücken gescholten. Uebrigens habe Ma-
dame oft gegen ihn geäußert, sagte der General,
daß Napoleon schon als kleines Kind stets habe al-
lein herrschen, immer nur sich und das Seinige
schätzen wollen. Seine Brüder wären von Anfang
an von ihm tyrannisirt worden, nur mit Ausnahme

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Anekdoten, die ein lebhafteres Bild, und zum Theil
einen tiefern Blick in die ganzen Verhältniſſe jener
Zeit zuließen, als es Memoiren vermögen, in denen
man die Wahrheit nie ganz ohne Schminke ent-
falten kann. Es würde zu weitläuftig ſeyn, Dir
hier viel davon zu erzählen, und obendrein dieſe
Mittheilung des belebenden Colorits des Worts zu
ſehr entbehren müſſen, weshalb ich das Meiſte für
mündliche Unterhaltung aufbewahre. Nur einige
Züge zur Probe.

Es iſt nicht zu läugnen, ſagte mein Berichterſtat-
ter, daß im Innern der Familie Napoleons viele ge-
meine Verhältniſſe ſtatt fanden, welche die Roture
verriethen (worunter keineswegs die nicht vornehme
Geburt, ſondern eine mangelhafte und würdeloſe
Erziehung zu verſtehen iſt). Namentlich herrſchte
der größte Haß und die elendeſten gegenſeitigen In-
triguen zwiſchen der Familie Napoleons und der
Kaiſerin Joſephine, welche auch zuletzt das Opfer
davon ward. Napoleon nahm früher ſtets die Par-
tie ſeiner Frau, und wurde von ſeiner Mutter des-
halb oft ins Angeſicht, mit den Namen eines Tyran-
nen, Tiber, Nero, und noch weniger claſſi-
ſchen
Ausdrücken geſcholten. Uebrigens habe Ma-
dame oft gegen ihn geäußert, ſagte der General,
daß Napoleon ſchon als kleines Kind ſtets habe al-
lein herrſchen, immer nur ſich und das Seinige
ſchätzen wollen. Seine Brüder wären von Anfang
an von ihm tyranniſirt worden, nur mit Ausnahme

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[253[353]/0375] Anekdoten, die ein lebhafteres Bild, und zum Theil einen tiefern Blick in die ganzen Verhältniſſe jener Zeit zuließen, als es Memoiren vermögen, in denen man die Wahrheit nie ganz ohne Schminke ent- falten kann. Es würde zu weitläuftig ſeyn, Dir hier viel davon zu erzählen, und obendrein dieſe Mittheilung des belebenden Colorits des Worts zu ſehr entbehren müſſen, weshalb ich das Meiſte für mündliche Unterhaltung aufbewahre. Nur einige Züge zur Probe. Es iſt nicht zu läugnen, ſagte mein Berichterſtat- ter, daß im Innern der Familie Napoleons viele ge- meine Verhältniſſe ſtatt fanden, welche die Roture verriethen (worunter keineswegs die nicht vornehme Geburt, ſondern eine mangelhafte und würdeloſe Erziehung zu verſtehen iſt). Namentlich herrſchte der größte Haß und die elendeſten gegenſeitigen In- triguen zwiſchen der Familie Napoleons und der Kaiſerin Joſephine, welche auch zuletzt das Opfer davon ward. Napoleon nahm früher ſtets die Par- tie ſeiner Frau, und wurde von ſeiner Mutter des- halb oft ins Angeſicht, mit den Namen eines Tyran- nen, Tiber, Nero, und noch weniger claſſi- ſchen Ausdrücken geſcholten. Uebrigens habe Ma- dame oft gegen ihn geäußert, ſagte der General, daß Napoleon ſchon als kleines Kind ſtets habe al- lein herrſchen, immer nur ſich und das Seinige ſchätzen wollen. Seine Brüder wären von Anfang an von ihm tyranniſirt worden, nur mit Ausnahme 23*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 253[353]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/375>, abgerufen am 26.04.2024.