Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

am Ende selbst zu halbem Vieh werden. Ich spreche
von den ganz sinnlosen Schauspielen, die hier darge-
stellt werden -- die einzelnen equilibristischen Uebun-
gen sind dagegen oft recht sehenswerth. Besonders
erfreute mich der Seilschwinger, Diavolo betitelt, der
gewiß alle seine Mitbewerber so sehr überflügelt, als
Vestris einst seine Collegen. Eine schönere Gestalt,
größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere
Grazie scheinen in dieser Art kaum denkbar. Er ist
der fliegende Merkur, der von Neuem eine mensch-
liche Form angenommen hat; die Luft scheint sein
wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel,
um sich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi-
ren. Im wildesten Schwunge sieht man ihn, haus-
hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile
liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem classischen
Anstand einer Antike vorüberschweben, und gleich
darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten,
und den Beinen nach oben, ein entrechat in den
Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er sich
wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig-
keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden sich
in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei-
nem Fuß daran hängend umherschwenken kann, ver-
steht sich von selbst. Er verdient seinen Namen durch
die That. Je Diavolo non puo far meglio.



Briefe eines Verstorbenen. II. 25

am Ende ſelbſt zu halbem Vieh werden. Ich ſpreche
von den ganz ſinnloſen Schauſpielen, die hier darge-
ſtellt werden — die einzelnen equilibriſtiſchen Uebun-
gen ſind dagegen oft recht ſehenswerth. Beſonders
erfreute mich der Seilſchwinger, Diavolo betitelt, der
gewiß alle ſeine Mitbewerber ſo ſehr überflügelt, als
Vestris einſt ſeine Collegen. Eine ſchönere Geſtalt,
größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere
Grazie ſcheinen in dieſer Art kaum denkbar. Er iſt
der fliegende Merkur, der von Neuem eine menſch-
liche Form angenommen hat; die Luft ſcheint ſein
wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel,
um ſich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi-
ren. Im wildeſten Schwunge ſieht man ihn, haus-
hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile
liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem claſſiſchen
Anſtand einer Antike vorüberſchweben, und gleich
darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten,
und den Beinen nach oben, ein entrechat in den
Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er ſich
wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig-
keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden ſich
in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei-
nem Fuß daran hängend umherſchwenken kann, ver-
ſteht ſich von ſelbſt. Er verdient ſeinen Namen durch
die That. Je Diavolo non puo far meglio.



Briefe eines Verſtorbenen. II. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="383"/>
am Ende &#x017F;elb&#x017F;t zu halbem Vieh werden. Ich &#x017F;preche<lb/>
von den ganz &#x017F;innlo&#x017F;en Schau&#x017F;pielen, die hier darge-<lb/>
&#x017F;tellt werden &#x2014; die einzelnen equilibri&#x017F;ti&#x017F;chen Uebun-<lb/>
gen &#x017F;ind dagegen oft recht &#x017F;ehenswerth. Be&#x017F;onders<lb/>
erfreute mich der Seil&#x017F;chwinger, Diavolo betitelt, der<lb/>
gewiß alle &#x017F;eine Mitbewerber &#x017F;o &#x017F;ehr überflügelt, als<lb/>
Vestris ein&#x017F;t &#x017F;eine Collegen. Eine &#x017F;chönere Ge&#x017F;talt,<lb/>
größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere<lb/>
Grazie &#x017F;cheinen in die&#x017F;er Art kaum denkbar. Er i&#x017F;t<lb/>
der fliegende Merkur, der von Neuem eine men&#x017F;ch-<lb/>
liche Form angenommen hat; die Luft &#x017F;cheint &#x017F;ein<lb/>
wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel,<lb/>
um &#x017F;ich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi-<lb/>
ren. Im wilde&#x017F;ten Schwunge &#x017F;ieht man ihn, haus-<lb/>
hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile<lb/>
liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
An&#x017F;tand einer Antike vorüber&#x017F;chweben, und gleich<lb/>
darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten,<lb/>
und den Beinen nach oben, ein <hi rendition="#aq">entrechat</hi> in den<lb/>
Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er &#x017F;ich<lb/>
wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig-<lb/>
keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden &#x017F;ich<lb/>
in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei-<lb/>
nem Fuß daran hängend umher&#x017F;chwenken kann, ver-<lb/>
&#x017F;teht &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t. Er verdient &#x017F;einen Namen durch<lb/>
die That. <hi rendition="#aq">Je Diavolo non puo far meglio</hi>.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig">Briefe eines Ver&#x017F;torbenen. <hi rendition="#aq">II.</hi> 25</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0405] am Ende ſelbſt zu halbem Vieh werden. Ich ſpreche von den ganz ſinnloſen Schauſpielen, die hier darge- ſtellt werden — die einzelnen equilibriſtiſchen Uebun- gen ſind dagegen oft recht ſehenswerth. Beſonders erfreute mich der Seilſchwinger, Diavolo betitelt, der gewiß alle ſeine Mitbewerber ſo ſehr überflügelt, als Vestris einſt ſeine Collegen. Eine ſchönere Geſtalt, größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere Grazie ſcheinen in dieſer Art kaum denkbar. Er iſt der fliegende Merkur, der von Neuem eine menſch- liche Form angenommen hat; die Luft ſcheint ſein wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel, um ſich damit, wie mit einer Guirlande, zu drapi- ren. Im wildeſten Schwunge ſieht man ihn, haus- hoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem claſſiſchen Anſtand einer Antike vorüberſchweben, und gleich darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten, und den Beinen nach oben, ein entrechat in den Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er ſich wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnellig- keit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden ſich in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit ei- nem Fuß daran hängend umherſchwenken kann, ver- ſteht ſich von ſelbſt. Er verdient ſeinen Namen durch die That. Je Diavolo non puo far meglio. Briefe eines Verſtorbenen. II. 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/405
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/405>, abgerufen am 26.04.2024.