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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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Comödie, repräsentirt. Der Saal war leer, und die
Kälte kaum auszuhalten. Ich fuhr also schnell nach
dem Ambigucomique, wo ich ein hübsches neues
Haus fand, mit sehr frischen Dekorationen. Man gab
zum Zwischenspiele eine Art Ballet, welches die deut-
sche Landwehr gar nicht übel parodirte, und also we-
nigstens nicht langweilig war. Es wunderte mich
übrigens, daß es den Franzosen nicht mit der Land-
wehr und den Preußischen Hörnern geht, wie den
Burgundern mit den Alpenhörnern der Schweizer, de-
ren Ton sie sich nicht gern zurückrufen ließen, denn,
wie die Chronik sagt, a Granson les avoient trop
ouis!

Das italienische Theater beschloß meinen Abend.
Hier findet man das gewählteste Publikum, es ist
die Modebühne. Der Saal ist sehr artig dekorirt,
die Erleuchtung brillant und der Gesang entspricht
der Erwartung. Sonderbar bleibt es aber doch, daß
selbst ein, ganz aus Italienern bestehendes, Personal,
im Auslande nie so singt, nie das köstliche Ganze
darstellt, wie es in Italien der Fall ist. Ihr Feuer
scheint in der fremden Region zu erkalten, ihre Laune
zu vertrocknen, da sie wissen, daß sie zwar beklatscht
werden, aber mit dem Publikum nicht mehr eine
Familie ausmachen, der Buffo, wie der erste Sänger
doch nur halb verstanden, und wohl auch musikalisch
nur halb empfunden werden. In Italien ist die
Oper Natur, und ich möchte sagen nothwendiges Be-
dürfniß, in Deutschland, England und Frankreich nur
Kunstgenuß und Zeitvertreib.

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Comödie, repräſentirt. Der Saal war leer, und die
Kälte kaum auszuhalten. Ich fuhr alſo ſchnell nach
dem Ambigucomique, wo ich ein hübſches neues
Haus fand, mit ſehr friſchen Dekorationen. Man gab
zum Zwiſchenſpiele eine Art Ballet, welches die deut-
ſche Landwehr gar nicht übel parodirte, und alſo we-
nigſtens nicht langweilig war. Es wunderte mich
übrigens, daß es den Franzoſen nicht mit der Land-
wehr und den Preußiſchen Hörnern geht, wie den
Burgundern mit den Alpenhörnern der Schweizer, de-
ren Ton ſie ſich nicht gern zurückrufen ließen, denn,
wie die Chronik ſagt, à Granson les avoient trop
ouis!

Das italieniſche Theater beſchloß meinen Abend.
Hier findet man das gewählteſte Publikum, es iſt
die Modebühne. Der Saal iſt ſehr artig dekorirt,
die Erleuchtung brillant und der Geſang entſpricht
der Erwartung. Sonderbar bleibt es aber doch, daß
ſelbſt ein, ganz aus Italienern beſtehendes, Perſonal,
im Auslande nie ſo ſingt, nie das köſtliche Ganze
darſtellt, wie es in Italien der Fall iſt. Ihr Feuer
ſcheint in der fremden Region zu erkalten, ihre Laune
zu vertrocknen, da ſie wiſſen, daß ſie zwar beklatſcht
werden, aber mit dem Publikum nicht mehr eine
Familie ausmachen, der Buffo, wie der erſte Sänger
doch nur halb verſtanden, und wohl auch muſikaliſch
nur halb empfunden werden. In Italien iſt die
Oper Natur, und ich möchte ſagen nothwendiges Be-
dürfniß, in Deutſchland, England und Frankreich nur
Kunſtgenuß und Zeitvertreib.

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[385/0407] Comödie, repräſentirt. Der Saal war leer, und die Kälte kaum auszuhalten. Ich fuhr alſo ſchnell nach dem Ambigucomique, wo ich ein hübſches neues Haus fand, mit ſehr friſchen Dekorationen. Man gab zum Zwiſchenſpiele eine Art Ballet, welches die deut- ſche Landwehr gar nicht übel parodirte, und alſo we- nigſtens nicht langweilig war. Es wunderte mich übrigens, daß es den Franzoſen nicht mit der Land- wehr und den Preußiſchen Hörnern geht, wie den Burgundern mit den Alpenhörnern der Schweizer, de- ren Ton ſie ſich nicht gern zurückrufen ließen, denn, wie die Chronik ſagt, à Granson les avoient trop ouis! Das italieniſche Theater beſchloß meinen Abend. Hier findet man das gewählteſte Publikum, es iſt die Modebühne. Der Saal iſt ſehr artig dekorirt, die Erleuchtung brillant und der Geſang entſpricht der Erwartung. Sonderbar bleibt es aber doch, daß ſelbſt ein, ganz aus Italienern beſtehendes, Perſonal, im Auslande nie ſo ſingt, nie das köſtliche Ganze darſtellt, wie es in Italien der Fall iſt. Ihr Feuer ſcheint in der fremden Region zu erkalten, ihre Laune zu vertrocknen, da ſie wiſſen, daß ſie zwar beklatſcht werden, aber mit dem Publikum nicht mehr eine Familie ausmachen, der Buffo, wie der erſte Sänger doch nur halb verſtanden, und wohl auch muſikaliſch nur halb empfunden werden. In Italien iſt die Oper Natur, und ich möchte ſagen nothwendiges Be- dürfniß, in Deutſchland, England und Frankreich nur Kunſtgenuß und Zeitvertreib. 25*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/407>, abgerufen am 26.04.2024.