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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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dem Tanz, Musik und Gesang verpönt sind, so daß
ganz Fromme selbst die Kanarienvögel verhängen,
damit ihnen kein Singlaut in der heiligen Zeit ent-
fahre. Auch darf kein Brod gebacken und kein nütz-
liches Geschäft überhaupt verrichtet werden, -- wohl
aber mögen Trinken und andere Laster noch üppiger
als an Wochentagen blühen, denn niemals liegen die
Straßen mehr voller Betrunkenen als am Sonntag,
und niemals sind, den Polizei-Aussagen nach, gewisse
Häuser voller mit Besuchern angefüllt. Viele Eng-
länder halten das Tanzen am Sonntage unbedingt
für eine größere Sünde als blos etwas zu stehlen
oder dergleichen, und ich las sogar in einer Geschichte
von Whitby gedruckt, daß die dortige einst reiche
Abtey habe untergehen müssen, weil die Mönche nicht
nur jedes Laster, Mord und Nothzucht nicht ausge-
nommen, sich erlaubt, sondern ihr verbrecherischer
Abt, selbst am heiligen Sonntage habe arbeiten,
und den Bau des Klosters fortsetzen lassen.

Von diesem Wahne war denn auch die gute Mi-
striß W .... angesteckt, und es ward mir ziemlich
schwer, die begangene Sünde mit der dringendsten
Nothwendigkeit zu entschuldigen. Um sie jedoch völ-
lig zu besänftigen, fuhr ich vorher noch mit der gan-
zen Familie, auf der Bay, zur Kirche nach B ....,
welche nicht sehr außer meinem Wege lag. Ich er-
zählte ihnen bei dieser Gelegenheit die seltsame Vision
eines der Söhne meines früheren gütigen Wirthes,
des Capitains B ....., der dadurch zum Uebergang zu

dem Tanz, Muſik und Geſang verpönt ſind, ſo daß
ganz Fromme ſelbſt die Kanarienvögel verhängen,
damit ihnen kein Singlaut in der heiligen Zeit ent-
fahre. Auch darf kein Brod gebacken und kein nütz-
liches Geſchäft überhaupt verrichtet werden, — wohl
aber mögen Trinken und andere Laſter noch üppiger
als an Wochentagen blühen, denn niemals liegen die
Straßen mehr voller Betrunkenen als am Sonntag,
und niemals ſind, den Polizei-Ausſagen nach, gewiſſe
Häuſer voller mit Beſuchern angefüllt. Viele Eng-
länder halten das Tanzen am Sonntage unbedingt
für eine größere Sünde als blos etwas zu ſtehlen
oder dergleichen, und ich las ſogar in einer Geſchichte
von Whitby gedruckt, daß die dortige einſt reiche
Abtey habe untergehen müſſen, weil die Mönche nicht
nur jedes Laſter, Mord und Nothzucht nicht ausge-
nommen, ſich erlaubt, ſondern ihr verbrecheriſcher
Abt, ſelbſt am heiligen Sonntage habe arbeiten,
und den Bau des Kloſters fortſetzen laſſen.

Von dieſem Wahne war denn auch die gute Mi-
ſtriß W .... angeſteckt, und es ward mir ziemlich
ſchwer, die begangene Sünde mit der dringendſten
Nothwendigkeit zu entſchuldigen. Um ſie jedoch völ-
lig zu beſänftigen, fuhr ich vorher noch mit der gan-
zen Familie, auf der Bay, zur Kirche nach B ....,
welche nicht ſehr außer meinem Wege lag. Ich er-
zählte ihnen bei dieſer Gelegenheit die ſeltſame Viſion
eines der Söhne meines früheren gütigen Wirthes,
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[55/0077] dem Tanz, Muſik und Geſang verpönt ſind, ſo daß ganz Fromme ſelbſt die Kanarienvögel verhängen, damit ihnen kein Singlaut in der heiligen Zeit ent- fahre. Auch darf kein Brod gebacken und kein nütz- liches Geſchäft überhaupt verrichtet werden, — wohl aber mögen Trinken und andere Laſter noch üppiger als an Wochentagen blühen, denn niemals liegen die Straßen mehr voller Betrunkenen als am Sonntag, und niemals ſind, den Polizei-Ausſagen nach, gewiſſe Häuſer voller mit Beſuchern angefüllt. Viele Eng- länder halten das Tanzen am Sonntage unbedingt für eine größere Sünde als blos etwas zu ſtehlen oder dergleichen, und ich las ſogar in einer Geſchichte von Whitby gedruckt, daß die dortige einſt reiche Abtey habe untergehen müſſen, weil die Mönche nicht nur jedes Laſter, Mord und Nothzucht nicht ausge- nommen, ſich erlaubt, ſondern ihr verbrecheriſcher Abt, ſelbſt am heiligen Sonntage habe arbeiten, und den Bau des Kloſters fortſetzen laſſen. Von dieſem Wahne war denn auch die gute Mi- ſtriß W .... angeſteckt, und es ward mir ziemlich ſchwer, die begangene Sünde mit der dringendſten Nothwendigkeit zu entſchuldigen. Um ſie jedoch völ- lig zu beſänftigen, fuhr ich vorher noch mit der gan- zen Familie, auf der Bay, zur Kirche nach B ...., welche nicht ſehr außer meinem Wege lag. Ich er- zählte ihnen bei dieſer Gelegenheit die ſeltſame Viſion eines der Söhne meines früheren gütigen Wirthes, des Capitains B ....., der dadurch zum Uebergang zu

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/77>, abgerufen am 27.04.2024.