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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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sten Streitigkeiten zwischen ihm und ihr, die bis zu
seinem Tode dauerten. Unterdessen hatte sein ältester
Sohn, der jetzige Earl, sich, gegen des Vaters Wil-
len, noch unmündig in Sizilien verheirathet, bereits
drei Kinder mit seiner jungen Frau gezeugt, und
gänzlich von seinem Vaterlande getrennt, als plötzlich
eine höchst liebreiche Einladung des alten Lords, die
alles Vergangne zu vergeben und zu vergessen ver-
sprach, bei ihm eintraf und ihn mit seiner ganzen Fa-
milie zur Rückkehr bewog. Kaum angekommen in-
deß, ward durch seines Vaters Einfluß seine Ehe
für ungültig erklärt, und cassirt, die Mutter zu
Hause geschickt, und über die Kinder, als uneheliche,
in England disponirt. Der Sohn scheint sich, wider
Erwarten, ohne viele Mühe den Ansichten seines
Vaters gefügt zu haben, denn nicht lange darauf
heirathete er gleichfalls eine reiche Erbin, und führte,
nach des alten Grafen Tode, einen noch erbitterte-
ren Prozeß mit seiner Mutter als jener, um sogleich,
in den, ihm von ihr verweigerten Besitz, ihrer Güter
zu treten. Er konnte jedoch seinen Willen hierin
nicht durchsetzen, eben so wenig wie sie später den
ihrigen, ihn gänzlich zu enterben.

Welches Sittengemälde der Vornehmen des achtzehn-
ten Jahrhunderts!


ſten Streitigkeiten zwiſchen ihm und ihr, die bis zu
ſeinem Tode dauerten. Unterdeſſen hatte ſein älteſter
Sohn, der jetzige Earl, ſich, gegen des Vaters Wil-
len, noch unmündig in Sizilien verheirathet, bereits
drei Kinder mit ſeiner jungen Frau gezeugt, und
gänzlich von ſeinem Vaterlande getrennt, als plötzlich
eine höchſt liebreiche Einladung des alten Lords, die
alles Vergangne zu vergeben und zu vergeſſen ver-
ſprach, bei ihm eintraf und ihn mit ſeiner ganzen Fa-
milie zur Rückkehr bewog. Kaum angekommen in-
deß, ward durch ſeines Vaters Einfluß ſeine Ehe
für ungültig erklärt, und caſſirt, die Mutter zu
Hauſe geſchickt, und über die Kinder, als uneheliche,
in England disponirt. Der Sohn ſcheint ſich, wider
Erwarten, ohne viele Mühe den Anſichten ſeines
Vaters gefügt zu haben, denn nicht lange darauf
heirathete er gleichfalls eine reiche Erbin, und führte,
nach des alten Grafen Tode, einen noch erbitterte-
ren Prozeß mit ſeiner Mutter als jener, um ſogleich,
in den, ihm von ihr verweigerten Beſitz, ihrer Güter
zu treten. Er konnte jedoch ſeinen Willen hierin
nicht durchſetzen, eben ſo wenig wie ſie ſpäter den
ihrigen, ihn gänzlich zu enterben.

Welches Sittengemälde der Vornehmen des achtzehn-
ten Jahrhunderts!


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[73/0095] ſten Streitigkeiten zwiſchen ihm und ihr, die bis zu ſeinem Tode dauerten. Unterdeſſen hatte ſein älteſter Sohn, der jetzige Earl, ſich, gegen des Vaters Wil- len, noch unmündig in Sizilien verheirathet, bereits drei Kinder mit ſeiner jungen Frau gezeugt, und gänzlich von ſeinem Vaterlande getrennt, als plötzlich eine höchſt liebreiche Einladung des alten Lords, die alles Vergangne zu vergeben und zu vergeſſen ver- ſprach, bei ihm eintraf und ihn mit ſeiner ganzen Fa- milie zur Rückkehr bewog. Kaum angekommen in- deß, ward durch ſeines Vaters Einfluß ſeine Ehe für ungültig erklärt, und caſſirt, die Mutter zu Hauſe geſchickt, und über die Kinder, als uneheliche, in England disponirt. Der Sohn ſcheint ſich, wider Erwarten, ohne viele Mühe den Anſichten ſeines Vaters gefügt zu haben, denn nicht lange darauf heirathete er gleichfalls eine reiche Erbin, und führte, nach des alten Grafen Tode, einen noch erbitterte- ren Prozeß mit ſeiner Mutter als jener, um ſogleich, in den, ihm von ihr verweigerten Beſitz, ihrer Güter zu treten. Er konnte jedoch ſeinen Willen hierin nicht durchſetzen, eben ſo wenig wie ſie ſpäter den ihrigen, ihn gänzlich zu enterben. Welches Sittengemälde der Vornehmen des achtzehn- ten Jahrhunderts!

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/95>, abgerufen am 26.04.2024.