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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Noth nur mich
dazu zwang, fieng an zu schimpfen, und Einige mein
Pferd zu schlagen, ja ein ungeheurer Coloß von Kar-
renschieber proponirte mir sogar, die geballte Faust
emporhebend, mit mir zu boxen, worauf mich einzu-
lassen ich jedoch gar keine Lust verspürte, obgleich ich
schon einige Boxstunden genommen habe, sondern ei-
ligst eine, sich zu meinem Heil öffnende Lücke benutz-
te, um mich davon zu machen. Das tägliche Gewühl
in dieser City, und die Theilnahmlosigkeit der finstern,
rastlos an Einem vorüberstreifenden Gesichter hat et-
was höchst Lügubres, und jede Distraktion kann dem
Reitenden oder Fahrenden Gefahr bringen, sich oder
sein Vehikel beschädigt zu sehen.

Als ich bei dem Assekuranzhause vorbei kam, impo-
nirten mir auf den drei verschiedenen Bureaux die
riesengroßen Inschriften:
"Meer, Feuer, Leben."

Einem Wilden würde man schwerlich begreiflich ma-
chen, wie man auch das Leben versichern könne. Ich
wollte mich schon erkundigen, ob ich hier vielleicht auch
Deine Briefe verassecuriren könnte, die wahrscheinlich
im Meere liegen, weil sie so lange ausbleiben. Da
ihr Werth jedoch unschätzbar ist -- so gieng es nicht.

Ich aß beim Grafen Münster zu Mittag, einem
herrlichen Repräsentanten Deutschlands auf dieser In-
sel, der auch in seinem Hause die deutsche Sittenein-
falt möglichst beibehalten hat. Jeder kennt ihn als
ausgezeichneten Staatsmann, aber auch seine häusli-
chen Talente sind sehr liebenswürdig. So malt und

darauf Rückſicht zu nehmen, daß die Noth nur mich
dazu zwang, fieng an zu ſchimpfen, und Einige mein
Pferd zu ſchlagen, ja ein ungeheurer Coloß von Kar-
renſchieber proponirte mir ſogar, die geballte Fauſt
emporhebend, mit mir zu boxen, worauf mich einzu-
laſſen ich jedoch gar keine Luſt verſpürte, obgleich ich
ſchon einige Boxſtunden genommen habe, ſondern ei-
ligſt eine, ſich zu meinem Heil öffnende Lücke benutz-
te, um mich davon zu machen. Das tägliche Gewühl
in dieſer City, und die Theilnahmloſigkeit der finſtern,
raſtlos an Einem vorüberſtreifenden Geſichter hat et-
was höchſt Lügubres, und jede Diſtraktion kann dem
Reitenden oder Fahrenden Gefahr bringen, ſich oder
ſein Vehikel beſchädigt zu ſehen.

Als ich bei dem Aſſekuranzhauſe vorbei kam, impo-
nirten mir auf den drei verſchiedenen Bureaux die
rieſengroßen Inſchriften:
„Meer, Feuer, Leben.“

Einem Wilden würde man ſchwerlich begreiflich ma-
chen, wie man auch das Leben verſichern könne. Ich
wollte mich ſchon erkundigen, ob ich hier vielleicht auch
Deine Briefe veraſſecuriren könnte, die wahrſcheinlich
im Meere liegen, weil ſie ſo lange ausbleiben. Da
ihr Werth jedoch unſchätzbar iſt — ſo gieng es nicht.

Ich aß beim Grafen Münſter zu Mittag, einem
herrlichen Repräſentanten Deutſchlands auf dieſer In-
ſel, der auch in ſeinem Hauſe die deutſche Sittenein-
falt möglichſt beibehalten hat. Jeder kennt ihn als
ausgezeichneten Staatsmann, aber auch ſeine häusli-
chen Talente ſind ſehr liebenswürdig. So malt und

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[415/0461] darauf Rückſicht zu nehmen, daß die Noth nur mich dazu zwang, fieng an zu ſchimpfen, und Einige mein Pferd zu ſchlagen, ja ein ungeheurer Coloß von Kar- renſchieber proponirte mir ſogar, die geballte Fauſt emporhebend, mit mir zu boxen, worauf mich einzu- laſſen ich jedoch gar keine Luſt verſpürte, obgleich ich ſchon einige Boxſtunden genommen habe, ſondern ei- ligſt eine, ſich zu meinem Heil öffnende Lücke benutz- te, um mich davon zu machen. Das tägliche Gewühl in dieſer City, und die Theilnahmloſigkeit der finſtern, raſtlos an Einem vorüberſtreifenden Geſichter hat et- was höchſt Lügubres, und jede Diſtraktion kann dem Reitenden oder Fahrenden Gefahr bringen, ſich oder ſein Vehikel beſchädigt zu ſehen. Als ich bei dem Aſſekuranzhauſe vorbei kam, impo- nirten mir auf den drei verſchiedenen Bureaux die rieſengroßen Inſchriften: „Meer, Feuer, Leben.“ Einem Wilden würde man ſchwerlich begreiflich ma- chen, wie man auch das Leben verſichern könne. Ich wollte mich ſchon erkundigen, ob ich hier vielleicht auch Deine Briefe veraſſecuriren könnte, die wahrſcheinlich im Meere liegen, weil ſie ſo lange ausbleiben. Da ihr Werth jedoch unſchätzbar iſt — ſo gieng es nicht. Ich aß beim Grafen Münſter zu Mittag, einem herrlichen Repräſentanten Deutſchlands auf dieſer In- ſel, der auch in ſeinem Hauſe die deutſche Sittenein- falt möglichſt beibehalten hat. Jeder kennt ihn als ausgezeichneten Staatsmann, aber auch ſeine häusli- chen Talente ſind ſehr liebenswürdig. So malt und

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/461>, abgerufen am 26.04.2024.