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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Familie. Die Särge sind in Zellen rund herum ver-
theilt, die meisten noch leer, so daß das Ganze in-
wendig wie ein Bienenstock aussieht, nur freilich stil-
ler! Im Schloß befinden sich schöne Gemälde und
Antiken. Unter den ersten sind besonders die soge-
nannten 3 Marieen von Annibal Carrache berühmt.
Es stellt dieses Gemälde den todten Christus dar,
hinter welchem seine Mutter Marie in Ohnmacht ge-
sunken ist. Die Großmutter Marie eilt klagend her-
bei, und Marie Magdalene stürzt sich verzweifelnd
über den Leichnam. Die Abstufung zwischen dem
wirklichen Tode, der bloßen Ohnmacht, dem matten
Schmerz des Alters, und der lebendigen Verzweif-
lung der Jugend ist bewunderungswürdig wahr dar-
gestellt. Jedes Glied an Christus Körper erscheint
wahrhaft todt; man sieht, diese Form hat für immer
ausgedient, bewegungslos, kalt und starr. Alles
dagegen ist Bewegung und Leben an der schönen
Magdalene, bis auf die Haare selbst, möchte ich sa-
gen, alles Lebenskraft und Fülle, aufgeregt im bit-
tersten Jammer. Gegenüber hängt Annibals Bild
von ihm selbst gemalt. Es zeigt sehr auffallende Züge,
und sieht einem verwegnen Highwayman ähnlicher
als einem Künstler. Dich liebe Julie würde eine
Sammlung Handzeichnungen aus der Zeit Franz des
I., die sämmtlichen Herren und Damen seines Hofes,
in 50 -- 60 Portraits, am meisten angezogen haben.
Es waren gemalte Memoires. Unter den Antiken
amüsirte mich eine der Capitol-Gänse von Bronze,
die man mit aufgehobenen Flügeln und aufgesperrten

Familie. Die Särge ſind in Zellen rund herum ver-
theilt, die meiſten noch leer, ſo daß das Ganze in-
wendig wie ein Bienenſtock ausſieht, nur freilich ſtil-
ler! Im Schloß befinden ſich ſchöne Gemälde und
Antiken. Unter den erſten ſind beſonders die ſoge-
nannten 3 Marieen von Annibal Carrache berühmt.
Es ſtellt dieſes Gemälde den todten Chriſtus dar,
hinter welchem ſeine Mutter Marie in Ohnmacht ge-
ſunken iſt. Die Großmutter Marie eilt klagend her-
bei, und Marie Magdalene ſtürzt ſich verzweifelnd
über den Leichnam. Die Abſtufung zwiſchen dem
wirklichen Tode, der bloßen Ohnmacht, dem matten
Schmerz des Alters, und der lebendigen Verzweif-
lung der Jugend iſt bewunderungswürdig wahr dar-
geſtellt. Jedes Glied an Chriſtus Körper erſcheint
wahrhaft todt; man ſieht, dieſe Form hat für immer
ausgedient, bewegungslos, kalt und ſtarr. Alles
dagegen iſt Bewegung und Leben an der ſchönen
Magdalene, bis auf die Haare ſelbſt, möchte ich ſa-
gen, alles Lebenskraft und Fülle, aufgeregt im bit-
terſten Jammer. Gegenüber hängt Annibals Bild
von ihm ſelbſt gemalt. Es zeigt ſehr auffallende Züge,
und ſieht einem verwegnen Highwayman ähnlicher
als einem Künſtler. Dich liebe Julie würde eine
Sammlung Handzeichnungen aus der Zeit Franz des
I., die ſämmtlichen Herren und Damen ſeines Hofes,
in 50 — 60 Portraits, am meiſten angezogen haben.
Es waren gemalte Memoires. Unter den Antiken
amüſirte mich eine der Capitol-Gänſe von Bronze,
die man mit aufgehobenen Flügeln und aufgeſperrten

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[192/0208] Familie. Die Särge ſind in Zellen rund herum ver- theilt, die meiſten noch leer, ſo daß das Ganze in- wendig wie ein Bienenſtock ausſieht, nur freilich ſtil- ler! Im Schloß befinden ſich ſchöne Gemälde und Antiken. Unter den erſten ſind beſonders die ſoge- nannten 3 Marieen von Annibal Carrache berühmt. Es ſtellt dieſes Gemälde den todten Chriſtus dar, hinter welchem ſeine Mutter Marie in Ohnmacht ge- ſunken iſt. Die Großmutter Marie eilt klagend her- bei, und Marie Magdalene ſtürzt ſich verzweifelnd über den Leichnam. Die Abſtufung zwiſchen dem wirklichen Tode, der bloßen Ohnmacht, dem matten Schmerz des Alters, und der lebendigen Verzweif- lung der Jugend iſt bewunderungswürdig wahr dar- geſtellt. Jedes Glied an Chriſtus Körper erſcheint wahrhaft todt; man ſieht, dieſe Form hat für immer ausgedient, bewegungslos, kalt und ſtarr. Alles dagegen iſt Bewegung und Leben an der ſchönen Magdalene, bis auf die Haare ſelbſt, möchte ich ſa- gen, alles Lebenskraft und Fülle, aufgeregt im bit- terſten Jammer. Gegenüber hängt Annibals Bild von ihm ſelbſt gemalt. Es zeigt ſehr auffallende Züge, und ſieht einem verwegnen Highwayman ähnlicher als einem Künſtler. Dich liebe Julie würde eine Sammlung Handzeichnungen aus der Zeit Franz des I., die ſämmtlichen Herren und Damen ſeines Hofes, in 50 — 60 Portraits, am meiſten angezogen haben. Es waren gemalte Memoires. Unter den Antiken amüſirte mich eine der Capitol-Gänſe von Bronze, die man mit aufgehobenen Flügeln und aufgeſperrten

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/208>, abgerufen am 26.04.2024.