Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus
sich immer so merklich geändert hat; bey den Franzosen hingegen immer
eben derselbe geblieben ist: so hat sich auch der Unterschied zwischen beyden,
seit dieser Zeit, erst recht immer mehr und mehr gezeiget. Wir wollen
denselben etwas näher beleuchten.

56. §.

Die Neigung der Jtaliäner zur Veränderung in der Musik, hat
dem wahren guten Geschmacke viel Vortheil geschaffet. Wieviel be-
rühmte große Componisten hat man nicht, bis zum Ende der ersten dreyßig
Jahre dieses Jahrhunderts, unter ihnen aufzuweisen gehabt? Seit dem
ein Pistocchi, gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, seine Sing-
schulen eröfnet, und daraus der Welt so viele brafe Sänger mitgetheilet
hat; ist in eben diesen dreyßig erstern Jahren des itzigen Seculums, die
Singkunst auf den höchsten Gipfel gestiegen, und fast alles, was nur die
menschliche Stimme von Rührendem und Verwundernswürdigem her-
vorbringen kann, durch unterschiedene, mit Recht berühmte Sänger,
gezeiget, und in Ausübung gebracht worden. Wie viele Gelegenheit ha-
ben nicht die guten Componisten daher genommen, die Singcomposition
auch immer mehr und mehr zu verbessern. Corelli und seine Nachfol-
ger sucheten diesen, auf eine rühmliche Art, in der Jnstrumentalmusik nach-
zueifern (*).

57. §.

Jedoch die Veränderung des Geschmackes in der Musik hat sich, ohn-
gefähr seit den fünf und zwanzig letztvergangenen Jahren, bey den Ton-
künstlern der welschen Nation, auch auf eine ganz andere Art gewiesen.
Jn den gegenwärtigen Zeiten unterscheidet sich der Geschmack ihrer Sän-
ger und Jnstrumentisten überaus sehr von einander. Sie sind darinne
gar nicht mehr einig. Obwohl die italiänischen Jnstrumentisten, vor
anderer Völker ihren, den Vortheil voraus haben, daß sie in ihrem Lan-
de, von Jugend auf, so viel Gutes singen hören: so gewöhnen sie sich
in den itzigen Zeiten dennoch, einen von den Sängern so sehr unterschie-
denen Geschmack anzunehmen, daß man sie kaum für einerley Volck hal-
ten sollte. Dieser Unterschied aber besteht größtentheils im Vortrage,

und
(*) Diesen italiänischen Geschmack, so wie er bis auf den oben gedachten Zeitpunct,
in Jtalien, durch so viele gründliche Männer nach und nach aufgebracht, und
nachgehends durch einige berühmte Ausländer, welche diesen gefolget sind, noch
mehr ins Feine gebracht worden, verstehe ich vorzüglich, wenn ich des italiäni-
schen Geschmacks erwähne.

Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus
ſich immer ſo merklich geaͤndert hat; bey den Franzoſen hingegen immer
eben derſelbe geblieben iſt: ſo hat ſich auch der Unterſchied zwiſchen beyden,
ſeit dieſer Zeit, erſt recht immer mehr und mehr gezeiget. Wir wollen
denſelben etwas naͤher beleuchten.

56. §.

Die Neigung der Jtaliaͤner zur Veraͤnderung in der Muſik, hat
dem wahren guten Geſchmacke viel Vortheil geſchaffet. Wieviel be-
ruͤhmte große Componiſten hat man nicht, bis zum Ende der erſten dreyßig
Jahre dieſes Jahrhunderts, unter ihnen aufzuweiſen gehabt? Seit dem
ein Piſtocchi, gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, ſeine Sing-
ſchulen eroͤfnet, und daraus der Welt ſo viele brafe Saͤnger mitgetheilet
hat; iſt in eben dieſen dreyßig erſtern Jahren des itzigen Seculums, die
Singkunſt auf den hoͤchſten Gipfel geſtiegen, und faſt alles, was nur die
menſchliche Stimme von Ruͤhrendem und Verwundernswuͤrdigem her-
vorbringen kann, durch unterſchiedene, mit Recht beruͤhmte Saͤnger,
gezeiget, und in Ausuͤbung gebracht worden. Wie viele Gelegenheit ha-
ben nicht die guten Componiſten daher genommen, die Singcompoſition
auch immer mehr und mehr zu verbeſſern. Corelli und ſeine Nachfol-
ger ſucheten dieſen, auf eine ruͤhmliche Art, in der Jnſtrumentalmuſik nach-
zueifern (*).

57. §.

Jedoch die Veraͤnderung des Geſchmackes in der Muſik hat ſich, ohn-
gefaͤhr ſeit den fuͤnf und zwanzig letztvergangenen Jahren, bey den Ton-
kuͤnſtlern der welſchen Nation, auch auf eine ganz andere Art gewieſen.
Jn den gegenwaͤrtigen Zeiten unterſcheidet ſich der Geſchmack ihrer Saͤn-
ger und Jnſtrumentiſten uͤberaus ſehr von einander. Sie ſind darinne
gar nicht mehr einig. Obwohl die italiaͤniſchen Jnſtrumentiſten, vor
anderer Voͤlker ihren, den Vortheil voraus haben, daß ſie in ihrem Lan-
de, von Jugend auf, ſo viel Gutes ſingen hoͤren: ſo gewoͤhnen ſie ſich
in den itzigen Zeiten dennoch, einen von den Saͤngern ſo ſehr unterſchie-
denen Geſchmack anzunehmen, daß man ſie kaum fuͤr einerley Volck hal-
ten ſollte. Dieſer Unterſchied aber beſteht groͤßtentheils im Vortrage,

und
(*) Dieſen italiaͤniſchen Geſchmack, ſo wie er bis auf den oben gedachten Zeitpunct,
in Jtalien, durch ſo viele gruͤndliche Maͤnner nach und nach aufgebracht, und
nachgehends durch einige beruͤhmte Auslaͤnder, welche dieſen gefolget ſind, noch
mehr ins Feine gebracht worden, verſtehe ich vorzuͤglich, wenn ich des italiaͤni-
ſchen Geſchmacks erwaͤhne.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0326" n="308"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">XVIII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck. Wie ein Mu&#x017F;ikus</hi></fw><lb/>
&#x017F;ich immer &#x017F;o merklich gea&#x0364;ndert hat; bey den Franzo&#x017F;en hingegen immer<lb/>
eben der&#x017F;elbe geblieben i&#x017F;t: &#x017F;o hat &#x017F;ich auch der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen beyden,<lb/>
&#x017F;eit die&#x017F;er Zeit, er&#x017F;t recht immer mehr und mehr gezeiget. Wir wollen<lb/>
den&#x017F;elben etwas na&#x0364;her beleuchten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>56. §.</head><lb/>
            <p>Die Neigung der <hi rendition="#fr">Jtalia&#x0364;ner</hi> zur Vera&#x0364;nderung in der Mu&#x017F;ik, hat<lb/>
dem wahren guten Ge&#x017F;chmacke viel Vortheil ge&#x017F;chaffet. Wieviel be-<lb/>
ru&#x0364;hmte große Componi&#x017F;ten hat man nicht, bis zum Ende der er&#x017F;ten dreyßig<lb/>
Jahre die&#x017F;es Jahrhunderts, unter ihnen aufzuwei&#x017F;en gehabt? Seit dem<lb/>
ein <hi rendition="#fr">Pi&#x017F;tocchi,</hi> gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, &#x017F;eine Sing-<lb/>
&#x017F;chulen ero&#x0364;fnet, und daraus der Welt &#x017F;o viele brafe Sa&#x0364;nger mitgetheilet<lb/>
hat; i&#x017F;t in eben die&#x017F;en dreyßig er&#x017F;tern Jahren des itzigen Seculums, die<lb/>
Singkun&#x017F;t auf den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gipfel ge&#x017F;tiegen, und fa&#x017F;t alles, was nur die<lb/>
men&#x017F;chliche Stimme von Ru&#x0364;hrendem und Verwundernswu&#x0364;rdigem her-<lb/>
vorbringen kann, durch unter&#x017F;chiedene, mit Recht beru&#x0364;hmte Sa&#x0364;nger,<lb/>
gezeiget, und in Ausu&#x0364;bung gebracht worden. Wie viele Gelegenheit ha-<lb/>
ben nicht die guten Componi&#x017F;ten daher genommen, die Singcompo&#x017F;ition<lb/>
auch immer mehr und mehr zu verbe&#x017F;&#x017F;ern. <hi rendition="#fr">Corelli</hi> und &#x017F;eine Nachfol-<lb/>
ger &#x017F;ucheten die&#x017F;en, auf eine ru&#x0364;hmliche Art, in der Jn&#x017F;trumentalmu&#x017F;ik nach-<lb/>
zueifern <note place="foot" n="(*)">Die&#x017F;en <hi rendition="#fr">italia&#x0364;ni&#x017F;chen Ge&#x017F;chmack,</hi> &#x017F;o wie er bis auf den oben gedachten Zeitpunct,<lb/>
in Jtalien, durch &#x017F;o viele gru&#x0364;ndliche Ma&#x0364;nner nach und nach aufgebracht, und<lb/>
nachgehends durch einige beru&#x0364;hmte Ausla&#x0364;nder, welche die&#x017F;en gefolget &#x017F;ind, noch<lb/>
mehr ins Feine gebracht worden, ver&#x017F;tehe ich vorzu&#x0364;glich, wenn ich des italia&#x0364;ni-<lb/>
&#x017F;chen Ge&#x017F;chmacks erwa&#x0364;hne.</note>.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>57. §.</head><lb/>
            <p>Jedoch die Vera&#x0364;nderung des Ge&#x017F;chmackes in der Mu&#x017F;ik hat &#x017F;ich, ohn-<lb/>
gefa&#x0364;hr &#x017F;eit den fu&#x0364;nf und zwanzig letztvergangenen Jahren, bey den Ton-<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tlern der wel&#x017F;chen Nation, auch auf eine ganz andere Art gewie&#x017F;en.<lb/>
Jn den gegenwa&#x0364;rtigen Zeiten unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich der Ge&#x017F;chmack ihrer Sa&#x0364;n-<lb/>
ger und Jn&#x017F;trumenti&#x017F;ten u&#x0364;beraus &#x017F;ehr von einander. Sie &#x017F;ind darinne<lb/>
gar nicht mehr einig. Obwohl die italia&#x0364;ni&#x017F;chen Jn&#x017F;trumenti&#x017F;ten, vor<lb/>
anderer Vo&#x0364;lker ihren, den Vortheil voraus haben, daß &#x017F;ie in ihrem Lan-<lb/>
de, von Jugend auf, &#x017F;o viel Gutes &#x017F;ingen ho&#x0364;ren: &#x017F;o gewo&#x0364;hnen &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
in den itzigen Zeiten dennoch, einen von den Sa&#x0364;ngern &#x017F;o &#x017F;ehr unter&#x017F;chie-<lb/>
denen Ge&#x017F;chmack anzunehmen, daß man &#x017F;ie kaum fu&#x0364;r einerley Volck hal-<lb/>
ten &#x017F;ollte. Die&#x017F;er Unter&#x017F;chied aber be&#x017F;teht gro&#x0364;ßtentheils im Vortrage,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0326] Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus ſich immer ſo merklich geaͤndert hat; bey den Franzoſen hingegen immer eben derſelbe geblieben iſt: ſo hat ſich auch der Unterſchied zwiſchen beyden, ſeit dieſer Zeit, erſt recht immer mehr und mehr gezeiget. Wir wollen denſelben etwas naͤher beleuchten. 56. §. Die Neigung der Jtaliaͤner zur Veraͤnderung in der Muſik, hat dem wahren guten Geſchmacke viel Vortheil geſchaffet. Wieviel be- ruͤhmte große Componiſten hat man nicht, bis zum Ende der erſten dreyßig Jahre dieſes Jahrhunderts, unter ihnen aufzuweiſen gehabt? Seit dem ein Piſtocchi, gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, ſeine Sing- ſchulen eroͤfnet, und daraus der Welt ſo viele brafe Saͤnger mitgetheilet hat; iſt in eben dieſen dreyßig erſtern Jahren des itzigen Seculums, die Singkunſt auf den hoͤchſten Gipfel geſtiegen, und faſt alles, was nur die menſchliche Stimme von Ruͤhrendem und Verwundernswuͤrdigem her- vorbringen kann, durch unterſchiedene, mit Recht beruͤhmte Saͤnger, gezeiget, und in Ausuͤbung gebracht worden. Wie viele Gelegenheit ha- ben nicht die guten Componiſten daher genommen, die Singcompoſition auch immer mehr und mehr zu verbeſſern. Corelli und ſeine Nachfol- ger ſucheten dieſen, auf eine ruͤhmliche Art, in der Jnſtrumentalmuſik nach- zueifern (*). 57. §. Jedoch die Veraͤnderung des Geſchmackes in der Muſik hat ſich, ohn- gefaͤhr ſeit den fuͤnf und zwanzig letztvergangenen Jahren, bey den Ton- kuͤnſtlern der welſchen Nation, auch auf eine ganz andere Art gewieſen. Jn den gegenwaͤrtigen Zeiten unterſcheidet ſich der Geſchmack ihrer Saͤn- ger und Jnſtrumentiſten uͤberaus ſehr von einander. Sie ſind darinne gar nicht mehr einig. Obwohl die italiaͤniſchen Jnſtrumentiſten, vor anderer Voͤlker ihren, den Vortheil voraus haben, daß ſie in ihrem Lan- de, von Jugend auf, ſo viel Gutes ſingen hoͤren: ſo gewoͤhnen ſie ſich in den itzigen Zeiten dennoch, einen von den Saͤngern ſo ſehr unterſchie- denen Geſchmack anzunehmen, daß man ſie kaum fuͤr einerley Volck hal- ten ſollte. Dieſer Unterſchied aber beſteht groͤßtentheils im Vortrage, und (*) Dieſen italiaͤniſchen Geſchmack, ſo wie er bis auf den oben gedachten Zeitpunct, in Jtalien, durch ſo viele gruͤndliche Maͤnner nach und nach aufgebracht, und nachgehends durch einige beruͤhmte Auslaͤnder, welche dieſen gefolget ſind, noch mehr ins Feine gebracht worden, verſtehe ich vorzuͤglich, wenn ich des italiaͤni- ſchen Geſchmacks erwaͤhne.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/326
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/326>, abgerufen am 26.04.2024.