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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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jetzt nur lächeln -- die Welt für Dich gewinnen, Ma-
rie!" --

Mehr noch flüstert mein Doppelgänger, die Stirn
an die Scheiben gedrückt, hinüber nach dem kleinen
Stübchen, wo die Jugendgespielin, fortgerissen von dem
kalten Arm des Lebens aus der waldumgebenen fried-
lichen Heimath, einsam in der dunkeln stürmischen Nacht
arbeitet, als ein anderer Schatten seine Träume von
Glück und Ruhm durchkreuzt. --

Da ist eine andere Gestalt, schwarze, dichte Locken
umgeben ein sonnverbranntes Gesicht, die Augen blitzen
von Lebenslust und Lebenskraft, es ist der Maler Franz
Ralff, der von Italien zurückkehrend, voll der göttlichen
Welt des Alterthums und voll der großen Gedanken
einer ebenso göttlichen jüngern Zeit, den Freund um-
armt.

Und weiter schweift mein Geist. -- Ich sehe noch
immer die junge Waise in ihrem kleinen Stübchen un-
ter Blumen arbeitend. Ich sehe zwei Männer im Strom
des Lebens kämpfen, ein Lächeln von ihr zu gewinnen,
und ich sehe endlich den Einen mit keuchender Brust
sich an's Ufer ringen und den schönen Preis erfassen,
während der Andere weiter getrieben, willenlos und wis-
senlos auf einer kahlen, sceptischen Sandbank sich wie-
derfindet. -- Ich sehe mich, ein blöder Grübler ge-

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jetzt nur lächeln — die Welt für Dich gewinnen, Ma-
rie!“ —

Mehr noch flüſtert mein Doppelgänger, die Stirn
an die Scheiben gedrückt, hinüber nach dem kleinen
Stübchen, wo die Jugendgeſpielin, fortgeriſſen von dem
kalten Arm des Lebens aus der waldumgebenen fried-
lichen Heimath, einſam in der dunkeln ſtürmiſchen Nacht
arbeitet, als ein anderer Schatten ſeine Träume von
Glück und Ruhm durchkreuzt. —

Da iſt eine andere Geſtalt, ſchwarze, dichte Locken
umgeben ein ſonnverbranntes Geſicht, die Augen blitzen
von Lebensluſt und Lebenskraft, es iſt der Maler Franz
Ralff, der von Italien zurückkehrend, voll der göttlichen
Welt des Alterthums und voll der großen Gedanken
einer ebenſo göttlichen jüngern Zeit, den Freund um-
armt.

Und weiter ſchweift mein Geiſt. — Ich ſehe noch
immer die junge Waiſe in ihrem kleinen Stübchen un-
ter Blumen arbeitend. Ich ſehe zwei Männer im Strom
des Lebens kämpfen, ein Lächeln von ihr zu gewinnen,
und ich ſehe endlich den Einen mit keuchender Bruſt
ſich an’s Ufer ringen und den ſchönen Preis erfaſſen,
während der Andere weiter getrieben, willenlos und wiſ-
ſenlos auf einer kahlen, ſceptiſchen Sandbank ſich wie-
derfindet. — Ich ſehe mich, ein blöder Grübler ge-

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[19/0029] jetzt nur lächeln — die Welt für Dich gewinnen, Ma- rie!“ — Mehr noch flüſtert mein Doppelgänger, die Stirn an die Scheiben gedrückt, hinüber nach dem kleinen Stübchen, wo die Jugendgeſpielin, fortgeriſſen von dem kalten Arm des Lebens aus der waldumgebenen fried- lichen Heimath, einſam in der dunkeln ſtürmiſchen Nacht arbeitet, als ein anderer Schatten ſeine Träume von Glück und Ruhm durchkreuzt. — Da iſt eine andere Geſtalt, ſchwarze, dichte Locken umgeben ein ſonnverbranntes Geſicht, die Augen blitzen von Lebensluſt und Lebenskraft, es iſt der Maler Franz Ralff, der von Italien zurückkehrend, voll der göttlichen Welt des Alterthums und voll der großen Gedanken einer ebenſo göttlichen jüngern Zeit, den Freund um- armt. Und weiter ſchweift mein Geiſt. — Ich ſehe noch immer die junge Waiſe in ihrem kleinen Stübchen un- ter Blumen arbeitend. Ich ſehe zwei Männer im Strom des Lebens kämpfen, ein Lächeln von ihr zu gewinnen, und ich ſehe endlich den Einen mit keuchender Bruſt ſich an’s Ufer ringen und den ſchönen Preis erfaſſen, während der Andere weiter getrieben, willenlos und wiſ- ſenlos auf einer kahlen, ſceptiſchen Sandbank ſich wie- derfindet. — Ich ſehe mich, ein blöder Grübler ge- 2*

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/29>, abgerufen am 26.04.2024.