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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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getragenen grauen Flausrock, einen ziemlich roth und
schäbig blickenden Hut unter dem Arme, klopfte an
meine Thür, kündigte sich als der Carrikaturenzeichner
Ulrich Strobel an, breitete eine Menge der tollsten Blät-
ter auf dem Tische vor mir aus und verlangte: ich solle
ihm für den Winter -- den Sommer bummele er drau-
ßen herum -- eine Stelle als Zeichner bei einem der
hiesigen illustrirten Blätter verschaffen. Er behauptete,
meinen dicken Freund, den Doctor Wimmer in München,
sehr gut zu kennen, und malte wirklich als Wahrzeichen
das heitere Gesicht des vortrefflichen Schriftstellers so-
gleich auf die innere Seite des Deckels eines daliegen-
den Buches. Ich versprach dem wunderlichen Burschen,
dessen Federzeichnungen wirklich ganz prächtig waren, von
meinem geringen Ansehen in der Literatur hiesiger Stadt
für ihn den möglichst besten Gebrauch zu machen, und
er schied, indem er in der Thür mir die Hand drückte,
mich süß-säuerlich anlächelte und sagte:

"Sie thun sehr wohl, mich so zu verbinden, verehr-
tester Herr, denn als braver Nachbar würde ich doch
manche angenehme Seite an Ihnen entdecken, die, zu
Papier gebracht, sich sehr gut ausnehmen könnte. Gute
Nachbarn werden wir übrigens diesen Winter hindurch
wohl sein, theuerster Herr Wachholder, denn -- Sie
schauen gern aus dem Fenster, eine Eigenthümlichkeit

getragenen grauen Flausrock, einen ziemlich roth und
ſchäbig blickenden Hut unter dem Arme, klopfte an
meine Thür, kündigte ſich als der Carrikaturenzeichner
Ulrich Strobel an, breitete eine Menge der tollſten Blät-
ter auf dem Tiſche vor mir aus und verlangte: ich ſolle
ihm für den Winter — den Sommer bummele er drau-
ßen herum — eine Stelle als Zeichner bei einem der
hieſigen illuſtrirten Blätter verſchaffen. Er behauptete,
meinen dicken Freund, den Doctor Wimmer in München,
ſehr gut zu kennen, und malte wirklich als Wahrzeichen
das heitere Geſicht des vortrefflichen Schriftſtellers ſo-
gleich auf die innere Seite des Deckels eines daliegen-
den Buches. Ich verſprach dem wunderlichen Burſchen,
deſſen Federzeichnungen wirklich ganz prächtig waren, von
meinem geringen Anſehen in der Literatur hieſiger Stadt
für ihn den möglichſt beſten Gebrauch zu machen, und
er ſchied, indem er in der Thür mir die Hand drückte,
mich ſüß-ſäuerlich anlächelte und ſagte:

„Sie thun ſehr wohl, mich ſo zu verbinden, verehr-
teſter Herr, denn als braver Nachbar würde ich doch
manche angenehme Seite an Ihnen entdecken, die, zu
Papier gebracht, ſich ſehr gut ausnehmen könnte. Gute
Nachbarn werden wir übrigens dieſen Winter hindurch
wohl ſein, theuerſter Herr Wachholder, denn — Sie
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[22/0032] getragenen grauen Flausrock, einen ziemlich roth und ſchäbig blickenden Hut unter dem Arme, klopfte an meine Thür, kündigte ſich als der Carrikaturenzeichner Ulrich Strobel an, breitete eine Menge der tollſten Blät- ter auf dem Tiſche vor mir aus und verlangte: ich ſolle ihm für den Winter — den Sommer bummele er drau- ßen herum — eine Stelle als Zeichner bei einem der hieſigen illuſtrirten Blätter verſchaffen. Er behauptete, meinen dicken Freund, den Doctor Wimmer in München, ſehr gut zu kennen, und malte wirklich als Wahrzeichen das heitere Geſicht des vortrefflichen Schriftſtellers ſo- gleich auf die innere Seite des Deckels eines daliegen- den Buches. Ich verſprach dem wunderlichen Burſchen, deſſen Federzeichnungen wirklich ganz prächtig waren, von meinem geringen Anſehen in der Literatur hieſiger Stadt für ihn den möglichſt beſten Gebrauch zu machen, und er ſchied, indem er in der Thür mir die Hand drückte, mich ſüß-ſäuerlich anlächelte und ſagte: „Sie thun ſehr wohl, mich ſo zu verbinden, verehr- teſter Herr, denn als braver Nachbar würde ich doch manche angenehme Seite an Ihnen entdecken, die, zu Papier gebracht, ſich ſehr gut ausnehmen könnte. Gute Nachbarn werden wir übrigens dieſen Winter hindurch wohl ſein, theuerſter Herr Wachholder, denn — Sie ſchauen gern aus dem Fenſter, eine Eigenthümlichkeit

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/32>, abgerufen am 26.04.2024.