Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Das mittlere Stockwerk des Hauses Nr. 11 steht
augenblicklich leer, indem nach heftigen Kämpfen mit
dem Parterre, Trepp' auf und ab, die letzten Ein-
wohnerinnen: die verwittwete Geheime Ober-Finanz-Se-
cretairin Trampel und ihre zwei sehr ältlichen und sehr
ansäuerlichen Töchter Heloise und Klara -- Oehlliese
und Knarre von der Madame Pimpernell genannt --
abgezogen sind. Clavier, Harfe und Guitarre, die drei
Marterinstrumente der Sperlingsgasse, nahmen sie glück-
licherweise mit, so wie auch den edlen Kater Eros und
den eben so edlen, schiefbeinigen Teckel Anteros -- Ge-
schenke eines neuen und doch schon antediluvianischen
Abälards und Egmonts. --

Wie oft war ich einst diese steilen, engen Treppen
hinauf und hinabgeklettert; jetzt einen Haufen Bücher
unter dem Arm, jetzt einen, wie ich glaubte, Furore
machensollenden Leitartikel in der Rocktasche. Wie oft
haben Mariens kleine Füße diese schmutzigen Stufen be-
treten, wenn sie mit Franz zu einem prächtigen Thee-
abend kam, dem ich immer mit so untadelhafter, haus-
väterlicher Würde vorzustehen wußte! Wie ich dann ihr
helles Lachen, welches die feuchten, schwarzen Wände so
fröhlich wiedergaben, erwartete; wie sie so reizend über
meine verwilderte Stube spötteln konnte und dann trotz
aller meiner vorherigen stundenlangen Bemühungen erst

Das mittlere Stockwerk des Hauſes Nr. 11 ſteht
augenblicklich leer, indem nach heftigen Kämpfen mit
dem Parterre, Trepp’ auf und ab, die letzten Ein-
wohnerinnen: die verwittwete Geheime Ober-Finanz-Se-
cretairin Trampel und ihre zwei ſehr ältlichen und ſehr
anſäuerlichen Töchter Heloiſe und Klara — Oehllieſe
und Knarre von der Madame Pimpernell genannt —
abgezogen ſind. Clavier, Harfe und Guitarre, die drei
Marterinſtrumente der Sperlingsgaſſe, nahmen ſie glück-
licherweiſe mit, ſo wie auch den edlen Kater Eros und
den eben ſo edlen, ſchiefbeinigen Teckel Anteros — Ge-
ſchenke eines neuen und doch ſchon antediluvianiſchen
Abälards und Egmonts. —

Wie oft war ich einſt dieſe ſteilen, engen Treppen
hinauf und hinabgeklettert; jetzt einen Haufen Bücher
unter dem Arm, jetzt einen, wie ich glaubte, Furore
machenſollenden Leitartikel in der Rocktaſche. Wie oft
haben Mariens kleine Füße dieſe ſchmutzigen Stufen be-
treten, wenn ſie mit Franz zu einem prächtigen Thee-
abend kam, dem ich immer mit ſo untadelhafter, haus-
väterlicher Würde vorzuſtehen wußte! Wie ich dann ihr
helles Lachen, welches die feuchten, ſchwarzen Wände ſo
fröhlich wiedergaben, erwartete; wie ſie ſo reizend über
meine verwilderte Stube ſpötteln konnte und dann trotz
aller meiner vorherigen ſtundenlangen Bemühungen erſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0046" n="36"/>
        <p>Das mittlere Stockwerk des Hau&#x017F;es Nr. 11 &#x017F;teht<lb/>
augenblicklich leer, indem nach heftigen Kämpfen mit<lb/>
dem Parterre, Trepp&#x2019; auf und ab, die letzten Ein-<lb/>
wohnerinnen: die verwittwete Geheime Ober-Finanz-Se-<lb/>
cretairin Trampel und ihre zwei &#x017F;ehr ältlichen und &#x017F;ehr<lb/>
an&#x017F;äuerlichen Töchter Heloi&#x017F;e und Klara &#x2014; Oehllie&#x017F;e<lb/>
und Knarre von der Madame Pimpernell genannt &#x2014;<lb/>
abgezogen &#x017F;ind. Clavier, Harfe und Guitarre, die drei<lb/>
Marterin&#x017F;trumente der Sperlingsga&#x017F;&#x017F;e, nahmen &#x017F;ie glück-<lb/>
licherwei&#x017F;e mit, &#x017F;o wie auch den edlen Kater Eros und<lb/>
den eben &#x017F;o edlen, &#x017F;chiefbeinigen Teckel Anteros &#x2014; Ge-<lb/>
&#x017F;chenke eines neuen und doch &#x017F;chon antediluviani&#x017F;chen<lb/>
Abälards und Egmonts. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wie oft war ich ein&#x017F;t die&#x017F;e &#x017F;teilen, engen Treppen<lb/>
hinauf und hinabgeklettert; jetzt einen Haufen Bücher<lb/>
unter dem Arm, jetzt einen, wie ich glaubte, Furore<lb/>
machen&#x017F;ollenden Leitartikel in der Rockta&#x017F;che. Wie oft<lb/>
haben Mariens kleine Füße die&#x017F;e &#x017F;chmutzigen Stufen be-<lb/>
treten, wenn &#x017F;ie mit Franz zu einem prächtigen Thee-<lb/>
abend kam, dem ich immer mit &#x017F;o untadelhafter, haus-<lb/>
väterlicher Würde vorzu&#x017F;tehen wußte! Wie ich dann ihr<lb/>
helles Lachen, welches die feuchten, &#x017F;chwarzen Wände &#x017F;o<lb/>
fröhlich wiedergaben, erwartete; wie &#x017F;ie &#x017F;o reizend über<lb/>
meine verwilderte Stube &#x017F;pötteln konnte und dann trotz<lb/>
aller meiner vorherigen &#x017F;tundenlangen Bemühungen er&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0046] Das mittlere Stockwerk des Hauſes Nr. 11 ſteht augenblicklich leer, indem nach heftigen Kämpfen mit dem Parterre, Trepp’ auf und ab, die letzten Ein- wohnerinnen: die verwittwete Geheime Ober-Finanz-Se- cretairin Trampel und ihre zwei ſehr ältlichen und ſehr anſäuerlichen Töchter Heloiſe und Klara — Oehllieſe und Knarre von der Madame Pimpernell genannt — abgezogen ſind. Clavier, Harfe und Guitarre, die drei Marterinſtrumente der Sperlingsgaſſe, nahmen ſie glück- licherweiſe mit, ſo wie auch den edlen Kater Eros und den eben ſo edlen, ſchiefbeinigen Teckel Anteros — Ge- ſchenke eines neuen und doch ſchon antediluvianiſchen Abälards und Egmonts. — Wie oft war ich einſt dieſe ſteilen, engen Treppen hinauf und hinabgeklettert; jetzt einen Haufen Bücher unter dem Arm, jetzt einen, wie ich glaubte, Furore machenſollenden Leitartikel in der Rocktaſche. Wie oft haben Mariens kleine Füße dieſe ſchmutzigen Stufen be- treten, wenn ſie mit Franz zu einem prächtigen Thee- abend kam, dem ich immer mit ſo untadelhafter, haus- väterlicher Würde vorzuſtehen wußte! Wie ich dann ihr helles Lachen, welches die feuchten, ſchwarzen Wände ſo fröhlich wiedergaben, erwartete; wie ſie ſo reizend über meine verwilderte Stube ſpötteln konnte und dann trotz aller meiner vorherigen ſtundenlangen Bemühungen erſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/46
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/46>, abgerufen am 27.04.2024.