Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

wird er sich bis zum Begriff und zum Genuß der Schönheit erheben? Und wie wird endlich sein Geschmack hinreichend geläutert werden können, um nicht das Scheinedle mit dem wahren Edeln, das conventionelle Schöne mit dem allgemeingültigen Schönen zu verwechseln?

Nirgends sind diese Verirrungen leichter, als in der Liebe. Von jeher hat man die absurdesten Anstrengungen, die abenteuerlichsten Aufopferungen, die sinnlosesten Formalitäten, wobey nichts als Stolz und Eitelkeit zum Grunde lag, für edle und schöne Liebe gehalten. Noch jetzt zieht man häufig den Prunk gothischer Galanterie, und die träumende Schwärmerey eines Petrarca der wahrhaft edeln und schönen Liebe eines Socrates vor.

O du, der du edle und schöne Liebe genießen willst, fange früh an, dein Herz und deinen Geschmack zu bilden! Lange, ehe du hoffen darfst, die Liebe in ihrer Vollkommenheit zu erkennen, lerne die sittliche Würde des einzelnen Menschen achten, und die Werke seines Genies und der Natur nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit prüfen! Laß dich nicht von denjenigen verführen, welche behaupten, die Schönheit könne nicht auf Begriffe zurückgeführt werden. Das kann sie, das muß sie, wenn sie wahren Anspruch darauf haben soll, dir zu gefallen. Freylich, im Augenblicke des Genusses wirst du diese Prüfung nicht anstellen, aber hinterher wirst du deinen Geschmack vor dir selbst rechtfertigen können. Angewöhnt zu einer fertigen Anwendung der Gesetze deines Verstandes und deiner, Vernunft, wirst du bald deinen Beschauungshang dergestalt bilden, daß das Unbestimmte, Unzusammenhängende, Schlechtgeordnete, Unangemessene, selbst im Bilde, dich nicht zur

wird er sich bis zum Begriff und zum Genuß der Schönheit erheben? Und wie wird endlich sein Geschmack hinreichend geläutert werden können, um nicht das Scheinedle mit dem wahren Edeln, das conventionelle Schöne mit dem allgemeingültigen Schönen zu verwechseln?

Nirgends sind diese Verirrungen leichter, als in der Liebe. Von jeher hat man die absurdesten Anstrengungen, die abenteuerlichsten Aufopferungen, die sinnlosesten Formalitäten, wobey nichts als Stolz und Eitelkeit zum Grunde lag, für edle und schöne Liebe gehalten. Noch jetzt zieht man häufig den Prunk gothischer Galanterie, und die träumende Schwärmerey eines Petrarca der wahrhaft edeln und schönen Liebe eines Socrates vor.

O du, der du edle und schöne Liebe genießen willst, fange früh an, dein Herz und deinen Geschmack zu bilden! Lange, ehe du hoffen darfst, die Liebe in ihrer Vollkommenheit zu erkennen, lerne die sittliche Würde des einzelnen Menschen achten, und die Werke seines Genies und der Natur nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit prüfen! Laß dich nicht von denjenigen verführen, welche behaupten, die Schönheit könne nicht auf Begriffe zurückgeführt werden. Das kann sie, das muß sie, wenn sie wahren Anspruch darauf haben soll, dir zu gefallen. Freylich, im Augenblicke des Genusses wirst du diese Prüfung nicht anstellen, aber hinterher wirst du deinen Geschmack vor dir selbst rechtfertigen können. Angewöhnt zu einer fertigen Anwendung der Gesetze deines Verstandes und deiner, Vernunft, wirst du bald deinen Beschauungshang dergestalt bilden, daß das Unbestimmte, Unzusammenhängende, Schlechtgeordnete, Unangemessene, selbst im Bilde, dich nicht zur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0165" n="165"/>
wird er sich bis zum Begriff und zum Genuß der Schönheit erheben? Und wie wird endlich sein Geschmack hinreichend geläutert werden können, um nicht das Scheinedle mit dem wahren Edeln, das conventionelle Schöne mit dem allgemeingültigen Schönen zu verwechseln?</p>
          <p>Nirgends sind diese Verirrungen leichter, als in der Liebe. Von jeher hat man die absurdesten Anstrengungen, die abenteuerlichsten Aufopferungen, die sinnlosesten Formalitäten, wobey nichts als Stolz und Eitelkeit zum Grunde lag, für edle und schöne Liebe gehalten. Noch jetzt zieht man häufig den Prunk gothischer Galanterie, und die träumende Schwärmerey eines Petrarca der wahrhaft edeln und schönen Liebe eines Socrates vor.</p>
          <p>O du, der du edle und schöne Liebe genießen willst, fange früh an, dein Herz und deinen Geschmack zu bilden! Lange, ehe du hoffen darfst, die Liebe in ihrer Vollkommenheit zu erkennen, lerne die sittliche Würde des einzelnen Menschen achten, und die Werke seines Genies und der Natur nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit prüfen! Laß dich nicht von denjenigen verführen, welche behaupten, die Schönheit könne nicht auf Begriffe zurückgeführt werden. Das kann sie, das muß sie, wenn sie wahren Anspruch darauf haben soll, dir zu gefallen. Freylich, im Augenblicke des Genusses wirst du diese Prüfung nicht anstellen, aber hinterher wirst du deinen Geschmack vor dir selbst rechtfertigen können. Angewöhnt zu einer fertigen Anwendung der Gesetze deines Verstandes und deiner, Vernunft, wirst du bald deinen Beschauungshang dergestalt bilden, daß das Unbestimmte, Unzusammenhängende, Schlechtgeordnete, Unangemessene, selbst im Bilde, dich nicht zur
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0165] wird er sich bis zum Begriff und zum Genuß der Schönheit erheben? Und wie wird endlich sein Geschmack hinreichend geläutert werden können, um nicht das Scheinedle mit dem wahren Edeln, das conventionelle Schöne mit dem allgemeingültigen Schönen zu verwechseln? Nirgends sind diese Verirrungen leichter, als in der Liebe. Von jeher hat man die absurdesten Anstrengungen, die abenteuerlichsten Aufopferungen, die sinnlosesten Formalitäten, wobey nichts als Stolz und Eitelkeit zum Grunde lag, für edle und schöne Liebe gehalten. Noch jetzt zieht man häufig den Prunk gothischer Galanterie, und die träumende Schwärmerey eines Petrarca der wahrhaft edeln und schönen Liebe eines Socrates vor. O du, der du edle und schöne Liebe genießen willst, fange früh an, dein Herz und deinen Geschmack zu bilden! Lange, ehe du hoffen darfst, die Liebe in ihrer Vollkommenheit zu erkennen, lerne die sittliche Würde des einzelnen Menschen achten, und die Werke seines Genies und der Natur nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit prüfen! Laß dich nicht von denjenigen verführen, welche behaupten, die Schönheit könne nicht auf Begriffe zurückgeführt werden. Das kann sie, das muß sie, wenn sie wahren Anspruch darauf haben soll, dir zu gefallen. Freylich, im Augenblicke des Genusses wirst du diese Prüfung nicht anstellen, aber hinterher wirst du deinen Geschmack vor dir selbst rechtfertigen können. Angewöhnt zu einer fertigen Anwendung der Gesetze deines Verstandes und deiner, Vernunft, wirst du bald deinen Beschauungshang dergestalt bilden, daß das Unbestimmte, Unzusammenhängende, Schlechtgeordnete, Unangemessene, selbst im Bilde, dich nicht zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/165
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/165>, abgerufen am 27.04.2024.