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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
Zur Kritik Sarpi's und Pallavicini's.


Das tridentinische Concilium, seine Vorbereitung, Berufung,
zweimalige Trennung und Wiederberufung mit alle den Motiven
die dazu beigetragen haben, erfüllt einen großen Theil der Geschichte
des 16ten Jahrhunderts. Für die definitive Feststellung des katho-
lischen Glaubensbegriffes und sein Verhältniß zu dem protestanti-
schen hat es, ich brauche hier nicht zu erörtern, welch eine uner-
meßliche Bedeutung. Es ist so recht der Mittelpunkt der theologisch
politischen Entzweiung, die jenes Jahrhundert ergriffen hatte.

Auch hat es zwei ausführliche, in sich selbst bedeutende, origi-
nale historische Darstellungen gefunden.

Aber nicht allein sind sich diese geradezu entgegengesetzt, sondern
wie über das Factum, so hat sich die Welt auch über die Historiker
entzweit; noch heut zu Tage wird von der einen Partei Sarpi für
wahrhaft und glaubwürdig, Pallavicini für falsch und lügnerisch:
von der andern Pallavicini für unbedingt glaubwürdig, Sarpi fast
sprichwörtlich für einen Lügner erklärt.

Indem wir an diese voluminösen Werke kommen, faßt uns eine
Art von Furcht. Es wäre schon schwer, ihres Stoffes Herr zu wer-
den, wenn sie auch nur glaubwürdige Dinge überlieferten: wie un-
endlich viel mehr aber will es sagen, daß wir auch bei jedem Schritte
besorgen müssen, von dem einen oder dem andern mit Unwahrheit
berichtet und in ein Labyrinth von absichtlichen Täuschungen gezo-
gen zu werden.

Demohnerachtet ist es auch unthunlich, ihre Glaubwürdigkeit
Schritt für Schritt an der anderswoher besser erkannten Thatsache
zu prüfen; wo fände man über diese Thatsachen unparteiische Nach-
weisungen? selbst wenn sie zu finden wären, so würden neue Folio-
bände nöthig seyn, um auf diese Weise zu Ende zu kommen.

Es bleibt nichts übrig, als daß wir den Versuch machen, zu
einer Anschauung der Methode unsrer Autoren zu gelangen.

Denn nicht alles pflegt den Historikern anzugehören, was in
ihren Werken vorkommt, zumal in so weitschweifigen, stoffhaltigen:
die Masse der Notizen haben sie überkommen; erst in der Art und
Weise sich des Stoffes zu bemeistern, ihn zu verarbeiten zeigt sich
der Mensch, der doch zuletzt selber die Einheit seines Werkes ist.
Auch in diesen den Fleiß in Schrecken setzenden Folianten steckt
ein Poet.


Zweiter Abſchnitt.
Zur Kritik Sarpi’s und Pallavicini’s.


Das tridentiniſche Concilium, ſeine Vorbereitung, Berufung,
zweimalige Trennung und Wiederberufung mit alle den Motiven
die dazu beigetragen haben, erfuͤllt einen großen Theil der Geſchichte
des 16ten Jahrhunderts. Fuͤr die definitive Feſtſtellung des katho-
liſchen Glaubensbegriffes und ſein Verhaͤltniß zu dem proteſtanti-
ſchen hat es, ich brauche hier nicht zu eroͤrtern, welch eine uner-
meßliche Bedeutung. Es iſt ſo recht der Mittelpunkt der theologiſch
politiſchen Entzweiung, die jenes Jahrhundert ergriffen hatte.

Auch hat es zwei ausfuͤhrliche, in ſich ſelbſt bedeutende, origi-
nale hiſtoriſche Darſtellungen gefunden.

Aber nicht allein ſind ſich dieſe geradezu entgegengeſetzt, ſondern
wie uͤber das Factum, ſo hat ſich die Welt auch uͤber die Hiſtoriker
entzweit; noch heut zu Tage wird von der einen Partei Sarpi fuͤr
wahrhaft und glaubwuͤrdig, Pallavicini fuͤr falſch und luͤgneriſch:
von der andern Pallavicini fuͤr unbedingt glaubwuͤrdig, Sarpi faſt
ſprichwoͤrtlich fuͤr einen Luͤgner erklaͤrt.

Indem wir an dieſe voluminoͤſen Werke kommen, faßt uns eine
Art von Furcht. Es waͤre ſchon ſchwer, ihres Stoffes Herr zu wer-
den, wenn ſie auch nur glaubwuͤrdige Dinge uͤberlieferten: wie un-
endlich viel mehr aber will es ſagen, daß wir auch bei jedem Schritte
beſorgen muͤſſen, von dem einen oder dem andern mit Unwahrheit
berichtet und in ein Labyrinth von abſichtlichen Taͤuſchungen gezo-
gen zu werden.

Demohnerachtet iſt es auch unthunlich, ihre Glaubwuͤrdigkeit
Schritt fuͤr Schritt an der anderswoher beſſer erkannten Thatſache
zu pruͤfen; wo faͤnde man uͤber dieſe Thatſachen unparteiiſche Nach-
weiſungen? ſelbſt wenn ſie zu finden waͤren, ſo wuͤrden neue Folio-
baͤnde noͤthig ſeyn, um auf dieſe Weiſe zu Ende zu kommen.

Es bleibt nichts uͤbrig, als daß wir den Verſuch machen, zu
einer Anſchauung der Methode unſrer Autoren zu gelangen.

Denn nicht alles pflegt den Hiſtorikern anzugehoͤren, was in
ihren Werken vorkommt, zumal in ſo weitſchweifigen, ſtoffhaltigen:
die Maſſe der Notizen haben ſie uͤberkommen; erſt in der Art und
Weiſe ſich des Stoffes zu bemeiſtern, ihn zu verarbeiten zeigt ſich
der Menſch, der doch zuletzt ſelber die Einheit ſeines Werkes iſt.
Auch in dieſen den Fleiß in Schrecken ſetzenden Folianten ſteckt
ein Poet.


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[270/0282] Zweiter Abſchnitt. Zur Kritik Sarpi’s und Pallavicini’s. Das tridentiniſche Concilium, ſeine Vorbereitung, Berufung, zweimalige Trennung und Wiederberufung mit alle den Motiven die dazu beigetragen haben, erfuͤllt einen großen Theil der Geſchichte des 16ten Jahrhunderts. Fuͤr die definitive Feſtſtellung des katho- liſchen Glaubensbegriffes und ſein Verhaͤltniß zu dem proteſtanti- ſchen hat es, ich brauche hier nicht zu eroͤrtern, welch eine uner- meßliche Bedeutung. Es iſt ſo recht der Mittelpunkt der theologiſch politiſchen Entzweiung, die jenes Jahrhundert ergriffen hatte. Auch hat es zwei ausfuͤhrliche, in ſich ſelbſt bedeutende, origi- nale hiſtoriſche Darſtellungen gefunden. Aber nicht allein ſind ſich dieſe geradezu entgegengeſetzt, ſondern wie uͤber das Factum, ſo hat ſich die Welt auch uͤber die Hiſtoriker entzweit; noch heut zu Tage wird von der einen Partei Sarpi fuͤr wahrhaft und glaubwuͤrdig, Pallavicini fuͤr falſch und luͤgneriſch: von der andern Pallavicini fuͤr unbedingt glaubwuͤrdig, Sarpi faſt ſprichwoͤrtlich fuͤr einen Luͤgner erklaͤrt. Indem wir an dieſe voluminoͤſen Werke kommen, faßt uns eine Art von Furcht. Es waͤre ſchon ſchwer, ihres Stoffes Herr zu wer- den, wenn ſie auch nur glaubwuͤrdige Dinge uͤberlieferten: wie un- endlich viel mehr aber will es ſagen, daß wir auch bei jedem Schritte beſorgen muͤſſen, von dem einen oder dem andern mit Unwahrheit berichtet und in ein Labyrinth von abſichtlichen Taͤuſchungen gezo- gen zu werden. Demohnerachtet iſt es auch unthunlich, ihre Glaubwuͤrdigkeit Schritt fuͤr Schritt an der anderswoher beſſer erkannten Thatſache zu pruͤfen; wo faͤnde man uͤber dieſe Thatſachen unparteiiſche Nach- weiſungen? ſelbſt wenn ſie zu finden waͤren, ſo wuͤrden neue Folio- baͤnde noͤthig ſeyn, um auf dieſe Weiſe zu Ende zu kommen. Es bleibt nichts uͤbrig, als daß wir den Verſuch machen, zu einer Anſchauung der Methode unſrer Autoren zu gelangen. Denn nicht alles pflegt den Hiſtorikern anzugehoͤren, was in ihren Werken vorkommt, zumal in ſo weitſchweifigen, ſtoffhaltigen: die Maſſe der Notizen haben ſie uͤberkommen; erſt in der Art und Weiſe ſich des Stoffes zu bemeiſtern, ihn zu verarbeiten zeigt ſich der Menſch, der doch zuletzt ſelber die Einheit ſeines Werkes iſt. Auch in dieſen den Fleiß in Schrecken ſetzenden Folianten ſteckt ein Poet.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/282>, abgerufen am 26.04.2024.