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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Drittes Buch. Erstes Capitel.
als Junker Georg mit einem Reiterbuben die Umgegend;
einmal wagte er sich sogar in langem Haar und Bart,
kaum noch wieder zu erkennen, in eisernem Harnisch nach
Wittenberg. Allein sein Reiterleben hatte doch zugleich ei-
nen sehr theologischen Inhalt; seine Seele war immer in
der Mitte des kirchlichen Kampfes. "Auf der Jagd,"
sagt er, "theologisirte ich;" in den Netzen und Hunden
des Jägers sah er die Bischöfe und Anwälte des Antichrists,
die den armen Seelen nachstellen. 1 In der Einsamkeit
der Burg kehrten ihm auch andere Anfechtungen des Klo-
sters zurück. Hauptsächlich beschäftigte er sich damit das
Neue Testament zu übersetzen: er faßte den Gedanken, der
deutschen Nation eine richtigere Bibel zu geben, als die
lateinische Kirche in der Vulgata besitze. 2 Indem er hiebei
seinen Sinn tiefer und tiefer befestigte, und nur den Wunsch
hegte, in Wittenberg zu seyn, um mit Hülfe seiner Freunde
ein so wichtiges Werk zu vollenden, vernahm er von den
dortigen Bewegungen und Unruhen. Er war über ihren
Character keinen Augenblick in Zweifel. Er sagt, nie in
seinem Leben habe ihn etwas tiefer verletzt; was ihm sonst
zu Leide gethan worden, sey nichts dagegen. Auf ihn
machte es keinen Eindruck, was man von den Inspirationen
der himmlischen Propheten sagte, ihren Gesprächen mit
Gott. Auch er kannte die geheimnißvollen Tiefen der gei-
stigen Welt; da hatte er andre Erfahrungen gemacht, sich
mit einem zu erhabenen Begriff von dem Wesen Gottes
durchdrungen um sich überreden zu lassen, er erscheine der

1 An Spalatin 15 Aug. D. W. II, 43.
2 An Amsdorf 13 Jan. p. 123.

Drittes Buch. Erſtes Capitel.
als Junker Georg mit einem Reiterbuben die Umgegend;
einmal wagte er ſich ſogar in langem Haar und Bart,
kaum noch wieder zu erkennen, in eiſernem Harniſch nach
Wittenberg. Allein ſein Reiterleben hatte doch zugleich ei-
nen ſehr theologiſchen Inhalt; ſeine Seele war immer in
der Mitte des kirchlichen Kampfes. „Auf der Jagd,“
ſagt er, „theologiſirte ich;“ in den Netzen und Hunden
des Jägers ſah er die Biſchöfe und Anwälte des Antichriſts,
die den armen Seelen nachſtellen. 1 In der Einſamkeit
der Burg kehrten ihm auch andere Anfechtungen des Klo-
ſters zurück. Hauptſächlich beſchäftigte er ſich damit das
Neue Teſtament zu überſetzen: er faßte den Gedanken, der
deutſchen Nation eine richtigere Bibel zu geben, als die
lateiniſche Kirche in der Vulgata beſitze. 2 Indem er hiebei
ſeinen Sinn tiefer und tiefer befeſtigte, und nur den Wunſch
hegte, in Wittenberg zu ſeyn, um mit Hülfe ſeiner Freunde
ein ſo wichtiges Werk zu vollenden, vernahm er von den
dortigen Bewegungen und Unruhen. Er war über ihren
Character keinen Augenblick in Zweifel. Er ſagt, nie in
ſeinem Leben habe ihn etwas tiefer verletzt; was ihm ſonſt
zu Leide gethan worden, ſey nichts dagegen. Auf ihn
machte es keinen Eindruck, was man von den Inſpirationen
der himmliſchen Propheten ſagte, ihren Geſprächen mit
Gott. Auch er kannte die geheimnißvollen Tiefen der gei-
ſtigen Welt; da hatte er andre Erfahrungen gemacht, ſich
mit einem zu erhabenen Begriff von dem Weſen Gottes
durchdrungen um ſich überreden zu laſſen, er erſcheine der

1 An Spalatin 15 Aug. D. W. II, 43.
2 An Amsdorf 13 Jan. p. 123.
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[28/0038] Drittes Buch. Erſtes Capitel. als Junker Georg mit einem Reiterbuben die Umgegend; einmal wagte er ſich ſogar in langem Haar und Bart, kaum noch wieder zu erkennen, in eiſernem Harniſch nach Wittenberg. Allein ſein Reiterleben hatte doch zugleich ei- nen ſehr theologiſchen Inhalt; ſeine Seele war immer in der Mitte des kirchlichen Kampfes. „Auf der Jagd,“ ſagt er, „theologiſirte ich;“ in den Netzen und Hunden des Jägers ſah er die Biſchöfe und Anwälte des Antichriſts, die den armen Seelen nachſtellen. 1 In der Einſamkeit der Burg kehrten ihm auch andere Anfechtungen des Klo- ſters zurück. Hauptſächlich beſchäftigte er ſich damit das Neue Teſtament zu überſetzen: er faßte den Gedanken, der deutſchen Nation eine richtigere Bibel zu geben, als die lateiniſche Kirche in der Vulgata beſitze. 2 Indem er hiebei ſeinen Sinn tiefer und tiefer befeſtigte, und nur den Wunſch hegte, in Wittenberg zu ſeyn, um mit Hülfe ſeiner Freunde ein ſo wichtiges Werk zu vollenden, vernahm er von den dortigen Bewegungen und Unruhen. Er war über ihren Character keinen Augenblick in Zweifel. Er ſagt, nie in ſeinem Leben habe ihn etwas tiefer verletzt; was ihm ſonſt zu Leide gethan worden, ſey nichts dagegen. Auf ihn machte es keinen Eindruck, was man von den Inſpirationen der himmliſchen Propheten ſagte, ihren Geſprächen mit Gott. Auch er kannte die geheimnißvollen Tiefen der gei- ſtigen Welt; da hatte er andre Erfahrungen gemacht, ſich mit einem zu erhabenen Begriff von dem Weſen Gottes durchdrungen um ſich überreden zu laſſen, er erſcheine der 1 An Spalatin 15 Aug. D. W. II, 43. 2 An Amsdorf 13 Jan. p. 123.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/38>, abgerufen am 26.04.2024.