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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Achtes Capitel.
gegen die Nothwendigkeit der Genugthuung einwenden ließ. 1
Selbst über den schwierigen Punkt des Meßopfers kam man
einander um vieles näher. Eck erklärte das Opfer nur für
ein sacramentliches Zeichen zur Erinnerung an das, wel-
ches am Kreuzesstamm vollzogen worden. 2 Ueber die Ge-
genwart Christi im Abendmahl stritt man ohnehin nicht.
Gern ließen sich die Protestanten bestimmen, nicht allein
eine wahrhaftige, sondern auch eine reale Gegenwart zu be-
kennen. Dieser Zusatz findet sich in dem Anspacher Exem-
plar der Confession bereits eingetragen.

Wahrhaftig die Grundbegriffe des Dogma waren es
nicht, welche den Streit verewigten. Luther hatte nichts
als die Principien wieder erweckt und zum Bewußtseyn ge-
bracht, die dem alten Lehrbegriff der lateinischen Kirche oh-
nehin zu Grunde lagen, und nur durch die hierarchischen
Systeme der spätern Zeit und den überhandnehmenden Miß-
brauch verdeckt worden waren. Abweichungen wie diese
konnte man an einander dulden, wie ja immer verschiedene
Meinungen neben einander bestanden hatten. Der ganze
Zwiespalt lag vielmehr in der Verfassung und den Gebräuchen.

Und da gaben nun die Protestanten ihrerseits so viel
nach, als nur irgend möglich war. Sie waren überzeugt,
daß die gute Zucht in Kirchen und Schulen durch die Spal-

1 Spalatin, der in den ersten Sitzungen das Amt eines No-
tars versah, bei Förstemann II, p. 228. So ist denn auch Ecks ei-
gene Aeußerung zu verstehen: Cölestin p. 36 nos ponimus satisfa-
ctionem tertiam partem poenitentiae, ipsi vero fatentur, sequi
debere fructus bonorum operum, ubi iterum lis est verbalis non
realis.
2 Relation bei Cölestin III, 45. Est ergo missa non revera
victima sed mysterialis et repraesentativa.

Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
gegen die Nothwendigkeit der Genugthuung einwenden ließ. 1
Selbſt über den ſchwierigen Punkt des Meßopfers kam man
einander um vieles näher. Eck erklärte das Opfer nur für
ein ſacramentliches Zeichen zur Erinnerung an das, wel-
ches am Kreuzesſtamm vollzogen worden. 2 Ueber die Ge-
genwart Chriſti im Abendmahl ſtritt man ohnehin nicht.
Gern ließen ſich die Proteſtanten beſtimmen, nicht allein
eine wahrhaftige, ſondern auch eine reale Gegenwart zu be-
kennen. Dieſer Zuſatz findet ſich in dem Anſpacher Exem-
plar der Confeſſion bereits eingetragen.

Wahrhaftig die Grundbegriffe des Dogma waren es
nicht, welche den Streit verewigten. Luther hatte nichts
als die Principien wieder erweckt und zum Bewußtſeyn ge-
bracht, die dem alten Lehrbegriff der lateiniſchen Kirche oh-
nehin zu Grunde lagen, und nur durch die hierarchiſchen
Syſteme der ſpätern Zeit und den überhandnehmenden Miß-
brauch verdeckt worden waren. Abweichungen wie dieſe
konnte man an einander dulden, wie ja immer verſchiedene
Meinungen neben einander beſtanden hatten. Der ganze
Zwieſpalt lag vielmehr in der Verfaſſung und den Gebräuchen.

Und da gaben nun die Proteſtanten ihrerſeits ſo viel
nach, als nur irgend möglich war. Sie waren überzeugt,
daß die gute Zucht in Kirchen und Schulen durch die Spal-

1 Spalatin, der in den erſten Sitzungen das Amt eines No-
tars verſah, bei Foͤrſtemann II, p. 228. So iſt denn auch Ecks ei-
gene Aeußerung zu verſtehen: Coͤleſtin p. 36 nos ponimus satisfa-
ctionem tertiam partem poenitentiae, ipsi vero fatentur, sequi
debere fructus bonorum operum, ubi iterum lis est verbalis non
realis.
2 Relation bei Coͤleſtin III, 45. Est ergo missa non revera
victima sed mysterialis et repraesentativa.
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[276/0292] Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel. gegen die Nothwendigkeit der Genugthuung einwenden ließ. 1 Selbſt über den ſchwierigen Punkt des Meßopfers kam man einander um vieles näher. Eck erklärte das Opfer nur für ein ſacramentliches Zeichen zur Erinnerung an das, wel- ches am Kreuzesſtamm vollzogen worden. 2 Ueber die Ge- genwart Chriſti im Abendmahl ſtritt man ohnehin nicht. Gern ließen ſich die Proteſtanten beſtimmen, nicht allein eine wahrhaftige, ſondern auch eine reale Gegenwart zu be- kennen. Dieſer Zuſatz findet ſich in dem Anſpacher Exem- plar der Confeſſion bereits eingetragen. Wahrhaftig die Grundbegriffe des Dogma waren es nicht, welche den Streit verewigten. Luther hatte nichts als die Principien wieder erweckt und zum Bewußtſeyn ge- bracht, die dem alten Lehrbegriff der lateiniſchen Kirche oh- nehin zu Grunde lagen, und nur durch die hierarchiſchen Syſteme der ſpätern Zeit und den überhandnehmenden Miß- brauch verdeckt worden waren. Abweichungen wie dieſe konnte man an einander dulden, wie ja immer verſchiedene Meinungen neben einander beſtanden hatten. Der ganze Zwieſpalt lag vielmehr in der Verfaſſung und den Gebräuchen. Und da gaben nun die Proteſtanten ihrerſeits ſo viel nach, als nur irgend möglich war. Sie waren überzeugt, daß die gute Zucht in Kirchen und Schulen durch die Spal- 1 Spalatin, der in den erſten Sitzungen das Amt eines No- tars verſah, bei Foͤrſtemann II, p. 228. So iſt denn auch Ecks ei- gene Aeußerung zu verſtehen: Coͤleſtin p. 36 nos ponimus satisfa- ctionem tertiam partem poenitentiae, ipsi vero fatentur, sequi debere fructus bonorum operum, ubi iterum lis est verbalis non realis. 2 Relation bei Coͤleſtin III, 45. Est ergo missa non revera victima sed mysterialis et repraesentativa.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/292>, abgerufen am 26.04.2024.