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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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von einer solchen Ausdehnung, dass, wenn man
dasselbe aus dem Menschen herausheben könnte,
es als Nerven-Mensch in gleichen Umrissen da-
stehn und den Rückstand als ein caput mortuum
zurücklassen würde. Seine peripherische Grenze
ist gleich einem entfalteten Fächer gegen die Welt
gerichtet. Von derselben kehrt es in sich selbst
zurück und sammlet sich wie ein umgekehrter Ke-
gel in dem Brennpunkt des Gehirns. Ausser den
Geschäfften, die ihm als Bewegungs-, Gefühls-,
und Sinnes-Werkzeug eigenthümlich sind, hat die
Natur es zum Bande bestimmt, in welchem die
zum Bau eines organischen Körpers nöthige
Mannichfaltigkeit von Instrumenten zur Einheit
eines Individuums verschlungen sind. Es reiht
die zerstreuten Organe des Körpers an seine Aeste
auf, verbindet sie durch untergeordnete Heerde
zu eignen Getrieben und sammlet diese endlich
alle in seinen grossen Mittelheerd auf. Hier ist
der Knoten der Organisation geschürzt, durch
welchen sie sich als Natur-Zweck über die
leblose Natur erhebt.

Ausser den Kräften, die das Nervensystem
von seiner beharrlichen Materie hat, wirkt in
demselben höchst wahrscheinlich noch ein ani-
malischer Lebensstrom
, der nach einer
gedoppelten Modifikation seine Einflüsse um-
tauscht. Er ebbet und fluthet, häuft sich an und
zerstreut sich wieder, wogt von Pole zu Pole,
bewegt sich in Zügen und Kreisen, wozu ihm

der

von einer ſolchen Ausdehnung, daſs, wenn man
daſſelbe aus dem Menſchen herausheben könnte,
es als Nerven-Menſch in gleichen Umriſſen da-
ſtehn und den Rückſtand als ein caput mortuum
zurücklaſſen würde. Seine peripheriſche Grenze
iſt gleich einem entfalteten Fächer gegen die Welt
gerichtet. Von derſelben kehrt es in ſich ſelbſt
zurück und ſammlet ſich wie ein umgekehrter Ke-
gel in dem Brennpunkt des Gehirns. Auſser den
Geſchäfften, die ihm als Bewegungs-, Gefühls-,
und Sinnes-Werkzeug eigenthümlich ſind, hat die
Natur es zum Bande beſtimmt, in welchem die
zum Bau eines organiſchen Körpers nöthige
Mannichfaltigkeit von Inſtrumenten zur Einheit
eines Individuums verſchlungen ſind. Es reiht
die zerſtreuten Organe des Körpers an ſeine Aeſte
auf, verbindet ſie durch untergeordnete Heerde
zu eignen Getrieben und ſammlet dieſe endlich
alle in ſeinen groſsen Mittelheerd auf. Hier iſt
der Knoten der Organiſation geſchürzt, durch
welchen ſie ſich als Natur-Zweck über die
lebloſe Natur erhebt.

Auſser den Kräften, die das Nervenſyſtem
von ſeiner beharrlichen Materie hat, wirkt in
demſelben höchſt wahrſcheinlich noch ein ani-
maliſcher Lebensſtrom
, der nach einer
gedoppelten Modifikation ſeine Einflüſſe um-
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[112/0117] von einer ſolchen Ausdehnung, daſs, wenn man daſſelbe aus dem Menſchen herausheben könnte, es als Nerven-Menſch in gleichen Umriſſen da- ſtehn und den Rückſtand als ein caput mortuum zurücklaſſen würde. Seine peripheriſche Grenze iſt gleich einem entfalteten Fächer gegen die Welt gerichtet. Von derſelben kehrt es in ſich ſelbſt zurück und ſammlet ſich wie ein umgekehrter Ke- gel in dem Brennpunkt des Gehirns. Auſser den Geſchäfften, die ihm als Bewegungs-, Gefühls-, und Sinnes-Werkzeug eigenthümlich ſind, hat die Natur es zum Bande beſtimmt, in welchem die zum Bau eines organiſchen Körpers nöthige Mannichfaltigkeit von Inſtrumenten zur Einheit eines Individuums verſchlungen ſind. Es reiht die zerſtreuten Organe des Körpers an ſeine Aeſte auf, verbindet ſie durch untergeordnete Heerde zu eignen Getrieben und ſammlet dieſe endlich alle in ſeinen groſsen Mittelheerd auf. Hier iſt der Knoten der Organiſation geſchürzt, durch welchen ſie ſich als Natur-Zweck über die lebloſe Natur erhebt. Auſser den Kräften, die das Nervenſyſtem von ſeiner beharrlichen Materie hat, wirkt in demſelben höchſt wahrſcheinlich noch ein ani- maliſcher Lebensſtrom, der nach einer gedoppelten Modifikation ſeine Einflüſſe um- tauſcht. Er ebbet und fluthet, häuft ſich an und zerſtreut ſich wieder, wogt von Pole zu Pole, bewegt ſich in Zügen und Kreiſen, wozu ihm der

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/117>, abgerufen am 26.04.2024.