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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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VI. Klima. Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur.
gleicher Breite verlassen, oder unter den tropischen Regen des Küsten-
gebietes von Malakka geschwitzt hat, ist nicht wenig durch die
niedrigen Temperaturen und die rauhen nordischen Winde überrascht,
welche um diese Jahreszeit hier herrschen. Seine Vorstellungen vom
Klima eines Landes, wo im Winter die Camellie im Freien blüht,
wo Bambusrohre Stämme von 20 Meter Höhe und 45 Centimeter Um-
fang entwickeln, ja, wo noch eine Palme fortkommt und stellenweise
sogar noch Zuckerrohr gebaut wird, waren unstreitig andere. Was
er auch über die grossen Gegensätze des Continentalklimas von China
und Sibirien gehört und gelesen haben mag: er wendet es auf Japan
schwerlich an. Indem er seine südliche Lage in Betracht zieht, ist er
eher geneigt, an die milden Mittelmeerländer zu denken und an einen
steten Sommer, der wenigstens in einzelnen Theilen derselben herrscht.
In der That, wenn das Klima Japans nur von der Stärke der Be-
sonnung abhinge, könnte man kaum begreifen, wie dasjenige seiner
Hauptstadt Tokio von dem der Insel Malta, unter gleicher Breite, so
abweichen könnte, oder wie es möglich ist, dass Nagasaki im Winter
zuweilen Schnee und Eis und eine Durchschnittstemperatur von nur
6,3°C. hat, während in dem nur wenige Minuten südlicher gelegenen
Funchal auf Madeira das Thermometer während derselben Zeit nicht
unter 12°C. sinkt, im Mittel aber 15--16°C. hoch steht.

Alle Gebirge Japans sind den Winter über in tiefen Schnee ge-
hüllt; von manchen Bergen verschwindet er nur in besonders günstigen
Sommern vollständig, und selbst die nur wenig über 1200 Meter sich
erhebenden Schieferrücken der Insel Shikoku, die doch vom Kuro-
shiwo bespült und durch die Gebirge des benachbarten Honshiu
einigermassen gegen die rauhen Nordwinde geschützt wird, zeigen
noch bis zum April ihre weissen Hauben.

Im Westen von Yokohama erblickt man wie einen riesigen um-
gekehrten Fächer den majestätischen Fuji-no-yama, dessen Gipfel
pfirsichblüthroth erglänzt, wenn die ersten Morgenstrahlen ihn treffen,
oder rein weiss, wie ein mächtiger Zuckerhut, wenn am klaren
Wintertage die Sonne höher steigt. So sehr er auch absticht
gegen das Dunkel der mit Nadelholz bestandenen näheren Hügel,
so ist doch das ganze Landschaftsbild rings um uns her ein durch-
aus winterliches. Graubraun und dürrer wie bei uns sieht der
Rasen aus, entblättert stehen die Obstbäume da, und die Pfützen im
kahlen Reisfelde, der Tummelplatz wilder Enten, Gänse und Becas-
sinen, bedecken sich Nachts nicht selten mit einer Eiskruste, die
allerdings in der Regel den warmen Strahlen einer hochstehenden
Mittagssonne nicht zu widerstehen vermag. Ausnahmsweise und nach

VI. Klima. Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur.
gleicher Breite verlassen, oder unter den tropischen Regen des Küsten-
gebietes von Malakka geschwitzt hat, ist nicht wenig durch die
niedrigen Temperaturen und die rauhen nordischen Winde überrascht,
welche um diese Jahreszeit hier herrschen. Seine Vorstellungen vom
Klima eines Landes, wo im Winter die Camellie im Freien blüht,
wo Bambusrohre Stämme von 20 Meter Höhe und 45 Centimeter Um-
fang entwickeln, ja, wo noch eine Palme fortkommt und stellenweise
sogar noch Zuckerrohr gebaut wird, waren unstreitig andere. Was
er auch über die grossen Gegensätze des Continentalklimas von China
und Sibirien gehört und gelesen haben mag: er wendet es auf Japan
schwerlich an. Indem er seine südliche Lage in Betracht zieht, ist er
eher geneigt, an die milden Mittelmeerländer zu denken und an einen
steten Sommer, der wenigstens in einzelnen Theilen derselben herrscht.
In der That, wenn das Klima Japans nur von der Stärke der Be-
sonnung abhinge, könnte man kaum begreifen, wie dasjenige seiner
Hauptstadt Tôkio von dem der Insel Malta, unter gleicher Breite, so
abweichen könnte, oder wie es möglich ist, dass Nagasaki im Winter
zuweilen Schnee und Eis und eine Durchschnittstemperatur von nur
6,3°C. hat, während in dem nur wenige Minuten südlicher gelegenen
Funchal auf Madeira das Thermometer während derselben Zeit nicht
unter 12°C. sinkt, im Mittel aber 15—16°C. hoch steht.

Alle Gebirge Japans sind den Winter über in tiefen Schnee ge-
hüllt; von manchen Bergen verschwindet er nur in besonders günstigen
Sommern vollständig, und selbst die nur wenig über 1200 Meter sich
erhebenden Schieferrücken der Insel Shikoku, die doch vom Kuro-
shiwo bespült und durch die Gebirge des benachbarten Honshiu
einigermassen gegen die rauhen Nordwinde geschützt wird, zeigen
noch bis zum April ihre weissen Hauben.

Im Westen von Yokohama erblickt man wie einen riesigen um-
gekehrten Fächer den majestätischen Fuji-no-yama, dessen Gipfel
pfirsichblüthroth erglänzt, wenn die ersten Morgenstrahlen ihn treffen,
oder rein weiss, wie ein mächtiger Zuckerhut, wenn am klaren
Wintertage die Sonne höher steigt. So sehr er auch absticht
gegen das Dunkel der mit Nadelholz bestandenen näheren Hügel,
so ist doch das ganze Landschaftsbild rings um uns her ein durch-
aus winterliches. Graubraun und dürrer wie bei uns sieht der
Rasen aus, entblättert stehen die Obstbäume da, und die Pfützen im
kahlen Reisfelde, der Tummelplatz wilder Enten, Gänse und Becas-
sinen, bedecken sich Nachts nicht selten mit einer Eiskruste, die
allerdings in der Regel den warmen Strahlen einer hochstehenden
Mittagssonne nicht zu widerstehen vermag. Ausnahmsweise und nach

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[121/0143] VI. Klima. Allgemeiner Charakter desselben. Temperatur. gleicher Breite verlassen, oder unter den tropischen Regen des Küsten- gebietes von Malakka geschwitzt hat, ist nicht wenig durch die niedrigen Temperaturen und die rauhen nordischen Winde überrascht, welche um diese Jahreszeit hier herrschen. Seine Vorstellungen vom Klima eines Landes, wo im Winter die Camellie im Freien blüht, wo Bambusrohre Stämme von 20 Meter Höhe und 45 Centimeter Um- fang entwickeln, ja, wo noch eine Palme fortkommt und stellenweise sogar noch Zuckerrohr gebaut wird, waren unstreitig andere. Was er auch über die grossen Gegensätze des Continentalklimas von China und Sibirien gehört und gelesen haben mag: er wendet es auf Japan schwerlich an. Indem er seine südliche Lage in Betracht zieht, ist er eher geneigt, an die milden Mittelmeerländer zu denken und an einen steten Sommer, der wenigstens in einzelnen Theilen derselben herrscht. In der That, wenn das Klima Japans nur von der Stärke der Be- sonnung abhinge, könnte man kaum begreifen, wie dasjenige seiner Hauptstadt Tôkio von dem der Insel Malta, unter gleicher Breite, so abweichen könnte, oder wie es möglich ist, dass Nagasaki im Winter zuweilen Schnee und Eis und eine Durchschnittstemperatur von nur 6,3°C. hat, während in dem nur wenige Minuten südlicher gelegenen Funchal auf Madeira das Thermometer während derselben Zeit nicht unter 12°C. sinkt, im Mittel aber 15—16°C. hoch steht. Alle Gebirge Japans sind den Winter über in tiefen Schnee ge- hüllt; von manchen Bergen verschwindet er nur in besonders günstigen Sommern vollständig, und selbst die nur wenig über 1200 Meter sich erhebenden Schieferrücken der Insel Shikoku, die doch vom Kuro- shiwo bespült und durch die Gebirge des benachbarten Honshiu einigermassen gegen die rauhen Nordwinde geschützt wird, zeigen noch bis zum April ihre weissen Hauben. Im Westen von Yokohama erblickt man wie einen riesigen um- gekehrten Fächer den majestätischen Fuji-no-yama, dessen Gipfel pfirsichblüthroth erglänzt, wenn die ersten Morgenstrahlen ihn treffen, oder rein weiss, wie ein mächtiger Zuckerhut, wenn am klaren Wintertage die Sonne höher steigt. So sehr er auch absticht gegen das Dunkel der mit Nadelholz bestandenen näheren Hügel, so ist doch das ganze Landschaftsbild rings um uns her ein durch- aus winterliches. Graubraun und dürrer wie bei uns sieht der Rasen aus, entblättert stehen die Obstbäume da, und die Pfützen im kahlen Reisfelde, der Tummelplatz wilder Enten, Gänse und Becas- sinen, bedecken sich Nachts nicht selten mit einer Eiskruste, die allerdings in der Regel den warmen Strahlen einer hochstehenden Mittagssonne nicht zu widerstehen vermag. Ausnahmsweise und nach

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/143>, abgerufen am 27.04.2024.