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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
Der Samurai steckte früher durch denselben auf der linken Seite
seine Schwerter; an der rechten aber trägt Jedermann eine kleine
Tasche mit feingeschnittenem Tabak und ein Pfeifchen. Der kimono
der Frauen liegt enger an, reicht tiefer, nämlich bis zu den Knöcheln,
ja bildet bei Staatskleidern sogar eine mehrere Fuss lange Schleppe,
welche unten mit Watte ausgesteift ist. Er besteht in der Regel
gleich dem obi aus schwereren Stoffen mit bunteren Farben als beim
Manne. Die obi für Frauen werden, wie bei uns die Bänder, in
besonderen Webereien dargestellt. Es sind prächtige, steife Gewebe,
oft einen Fuss breit, welche als Scherpe um den Leib gehen, auf
dem Rücken eine grosse Schmetterlingsschleife bilden und von da in
zwei langen Zipfeln herabhängen. Die weiten, fliegenden Aermel
des kimono bilden unter den Ellbogen hängende Säcke, tamoto
genannt, welche als Taschen dienen. In ihnen führt jeder Japaner
unter anderem weiches Papier mit, das ihm das Taschentuch ersetzt.
Bei der wohlhabenderen Classe besteht der kimono im Sommer aus
leichtem Baumwollgewebe, im Winter aus schweren Seidenstoffen.
Für den einfachen Arbeiter und Landmann kommt die Seide nicht
in Betracht. Er kleidet sich in grobe Hanfgewebe, die er selbst er-
zeugt, oder in baumwollene, und färbt sie unrein blau mit dem ein-
heimischen Indigo (von Polygonum tinctorium, welches überall zu
dem Zwecke angebaut wird). Die ziemlich eng anliegenden Bein-
kleider (momo-hike) legt er in der Regel erst mit Eintritt der
kalten Jahreszeit an, ebenso eine Art Strümpfe. Im Sommer ge-
schieht dies blos, wenn er sich beim Arbeiten im Reisfelde gegen die
Blutegel oder im Walde gegen Stechfliegen schützen will. Hemden
oder sonstige Leibwäsche fehlt bei den Japanern *). Für den männ-
lichen Ninsoku (oder gewöhnlichen Arbeiter) besteht im Sommer
der ganze Anzug aus dem kittelähnlichen und bis zu den Waden
reichenden kimono und ein paar waraji (Strohsandalen) an den
sonst nackten Füssen. Selbst der kimono erscheint vielen lästig und
überflüssig; sie werfen ihn nach alter Sitte gern ab und begnügen
sich mit einem baumwollenen Schamtuch (shita-obi).

Der Samurai trägt auf seinem kimono oder haori die Familien-

*) Die Frauen wickeln statt eines Unterrockes einen Streifen Zeug um die
Lenden, der bis zu den Knieen reicht und früher je nach dem Stande aus Seide
oder Baumwolle bestand; doch hat carminrother, wollener Musselin, welchen die
Fremden in Menge einführen, in der Neuzeit die einheimischen Gewebe für diesen
Zweck fast ganz verdrängt. Ausserdem tragen beide Geschlechter um die Brust
eine Art Weste aus schwarzer Seide, doch finden die leichten und billigen baum-
wollenen Unterkleider aus Europa mehr und mehr Eingang.

3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc.
Der Samurai steckte früher durch denselben auf der linken Seite
seine Schwerter; an der rechten aber trägt Jedermann eine kleine
Tasche mit feingeschnittenem Tabak und ein Pfeifchen. Der kimono
der Frauen liegt enger an, reicht tiefer, nämlich bis zu den Knöcheln,
ja bildet bei Staatskleidern sogar eine mehrere Fuss lange Schleppe,
welche unten mit Watte ausgesteift ist. Er besteht in der Regel
gleich dem obi aus schwereren Stoffen mit bunteren Farben als beim
Manne. Die obi für Frauen werden, wie bei uns die Bänder, in
besonderen Webereien dargestellt. Es sind prächtige, steife Gewebe,
oft einen Fuss breit, welche als Scherpe um den Leib gehen, auf
dem Rücken eine grosse Schmetterlingsschleife bilden und von da in
zwei langen Zipfeln herabhängen. Die weiten, fliegenden Aermel
des kimono bilden unter den Ellbogen hängende Säcke, tamoto
genannt, welche als Taschen dienen. In ihnen führt jeder Japaner
unter anderem weiches Papier mit, das ihm das Taschentuch ersetzt.
Bei der wohlhabenderen Classe besteht der kimono im Sommer aus
leichtem Baumwollgewebe, im Winter aus schweren Seidenstoffen.
Für den einfachen Arbeiter und Landmann kommt die Seide nicht
in Betracht. Er kleidet sich in grobe Hanfgewebe, die er selbst er-
zeugt, oder in baumwollene, und färbt sie unrein blau mit dem ein-
heimischen Indigo (von Polygonum tinctorium, welches überall zu
dem Zwecke angebaut wird). Die ziemlich eng anliegenden Bein-
kleider (momo-hike) legt er in der Regel erst mit Eintritt der
kalten Jahreszeit an, ebenso eine Art Strümpfe. Im Sommer ge-
schieht dies blos, wenn er sich beim Arbeiten im Reisfelde gegen die
Blutegel oder im Walde gegen Stechfliegen schützen will. Hemden
oder sonstige Leibwäsche fehlt bei den Japanern *). Für den männ-
lichen Ninsoku (oder gewöhnlichen Arbeiter) besteht im Sommer
der ganze Anzug aus dem kittelähnlichen und bis zu den Waden
reichenden kimono und ein paar waraji (Strohsandalen) an den
sonst nackten Füssen. Selbst der kimono erscheint vielen lästig und
überflüssig; sie werfen ihn nach alter Sitte gern ab und begnügen
sich mit einem baumwollenen Schamtuch (shita-obi).

Der Samurai trägt auf seinem kimono oder haori die Familien-

*) Die Frauen wickeln statt eines Unterrockes einen Streifen Zeug um die
Lenden, der bis zu den Knieen reicht und früher je nach dem Stande aus Seide
oder Baumwolle bestand; doch hat carminrother, wollener Musselin, welchen die
Fremden in Menge einführen, in der Neuzeit die einheimischen Gewebe für diesen
Zweck fast ganz verdrängt. Ausserdem tragen beide Geschlechter um die Brust
eine Art Weste aus schwarzer Seide, doch finden die leichten und billigen baum-
wollenen Unterkleider aus Europa mehr und mehr Eingang.
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[473/0507] 3. Kleidung, Wohnung und Nahrung der Japaner etc. Der Samurai steckte früher durch denselben auf der linken Seite seine Schwerter; an der rechten aber trägt Jedermann eine kleine Tasche mit feingeschnittenem Tabak und ein Pfeifchen. Der kimono der Frauen liegt enger an, reicht tiefer, nämlich bis zu den Knöcheln, ja bildet bei Staatskleidern sogar eine mehrere Fuss lange Schleppe, welche unten mit Watte ausgesteift ist. Er besteht in der Regel gleich dem obi aus schwereren Stoffen mit bunteren Farben als beim Manne. Die obi für Frauen werden, wie bei uns die Bänder, in besonderen Webereien dargestellt. Es sind prächtige, steife Gewebe, oft einen Fuss breit, welche als Scherpe um den Leib gehen, auf dem Rücken eine grosse Schmetterlingsschleife bilden und von da in zwei langen Zipfeln herabhängen. Die weiten, fliegenden Aermel des kimono bilden unter den Ellbogen hängende Säcke, tamoto genannt, welche als Taschen dienen. In ihnen führt jeder Japaner unter anderem weiches Papier mit, das ihm das Taschentuch ersetzt. Bei der wohlhabenderen Classe besteht der kimono im Sommer aus leichtem Baumwollgewebe, im Winter aus schweren Seidenstoffen. Für den einfachen Arbeiter und Landmann kommt die Seide nicht in Betracht. Er kleidet sich in grobe Hanfgewebe, die er selbst er- zeugt, oder in baumwollene, und färbt sie unrein blau mit dem ein- heimischen Indigo (von Polygonum tinctorium, welches überall zu dem Zwecke angebaut wird). Die ziemlich eng anliegenden Bein- kleider (momo-hike) legt er in der Regel erst mit Eintritt der kalten Jahreszeit an, ebenso eine Art Strümpfe. Im Sommer ge- schieht dies blos, wenn er sich beim Arbeiten im Reisfelde gegen die Blutegel oder im Walde gegen Stechfliegen schützen will. Hemden oder sonstige Leibwäsche fehlt bei den Japanern *). Für den männ- lichen Ninsoku (oder gewöhnlichen Arbeiter) besteht im Sommer der ganze Anzug aus dem kittelähnlichen und bis zu den Waden reichenden kimono und ein paar waraji (Strohsandalen) an den sonst nackten Füssen. Selbst der kimono erscheint vielen lästig und überflüssig; sie werfen ihn nach alter Sitte gern ab und begnügen sich mit einem baumwollenen Schamtuch (shita-obi). Der Samurai trägt auf seinem kimono oder haori die Familien- *) Die Frauen wickeln statt eines Unterrockes einen Streifen Zeug um die Lenden, der bis zu den Knieen reicht und früher je nach dem Stande aus Seide oder Baumwolle bestand; doch hat carminrother, wollener Musselin, welchen die Fremden in Menge einführen, in der Neuzeit die einheimischen Gewebe für diesen Zweck fast ganz verdrängt. Ausserdem tragen beide Geschlechter um die Brust eine Art Weste aus schwarzer Seide, doch finden die leichten und billigen baum- wollenen Unterkleider aus Europa mehr und mehr Eingang.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/507>, abgerufen am 26.04.2024.