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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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Sie mag selbst aus allem was ich schreibe eine
Antwort geben, wie sie sich zu den Umständen am
besten schicket. Es stehet alle Ruhe und alle ver-
gnügte Stunden meines Lebens darauf, wenn ich
es jetzt wage, ein Wort für sie zu reden. GOtt ver-
gebe ihr ihre Sünde. Wenn ich gleich für sie spre-
chen wollte, so werde ich niemand auf meiner Seite
haben. Um mein selbst und um Jhres eigenen
Vortheils willen lasse Sie ja niemand erfahren, daß
wir von dieser Sache geredet oder Briefe gewechselt
haben. Schreibe Sie auch künftig nichts mehr
davon, als wenn ich es vorher erlaube: denn mein
gantzes Hertz blutet mir, wenn ich solche Briefe
lesen muß.

Glaube Sie indessen nicht, daß ich unerbittlich
bin, wo ich wahre Reue sehe. Allein wie betrübt
ist es, gern zu wollen und nicht zu können.

GOtt gebe Jhr und mir Trost und Beruhigung,
und meiner ehmahls lieben, und ewig lieben (denn
welche Mutter kann ihr Kind vergessen) meiner
ewig lieben Clärchen gebe er Reue, recht hertzliche
Reue! und so weniges Leyden, als nach seiner
Weisheit möglich ist. Dieses wünscht

Jhre wahre Freundin
Charlotte Harlowe.


Der zehnte Brief
von
Fräulein Howe an Fräulein Clarissa
Harlowe.

Jch
D 4


Sie mag ſelbſt aus allem was ich ſchreibe eine
Antwort geben, wie ſie ſich zu den Umſtaͤnden am
beſten ſchicket. Es ſtehet alle Ruhe und alle ver-
gnuͤgte Stunden meines Lebens darauf, wenn ich
es jetzt wage, ein Wort fuͤr ſie zu reden. GOtt ver-
gebe ihr ihre Suͤnde. Wenn ich gleich fuͤr ſie ſpre-
chen wollte, ſo werde ich niemand auf meiner Seite
haben. Um mein ſelbſt und um Jhres eigenen
Vortheils willen laſſe Sie ja niemand erfahren, daß
wir von dieſer Sache geredet oder Briefe gewechſelt
haben. Schreibe Sie auch kuͤnftig nichts mehr
davon, als wenn ich es vorher erlaube: denn mein
gantzes Hertz blutet mir, wenn ich ſolche Briefe
leſen muß.

Glaube Sie indeſſen nicht, daß ich unerbittlich
bin, wo ich wahre Reue ſehe. Allein wie betruͤbt
iſt es, gern zu wollen und nicht zu koͤnnen.

GOtt gebe Jhr und mir Troſt und Beruhigung,
und meiner ehmahls lieben, und ewig lieben (denn
welche Mutter kann ihr Kind vergeſſen) meiner
ewig lieben Claͤrchen gebe er Reue, recht hertzliche
Reue! und ſo weniges Leyden, als nach ſeiner
Weisheit moͤglich iſt. Dieſes wuͤnſcht

Jhre wahre Freundin
Charlotte Harlowe.


Der zehnte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.

Jch
D 4
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[55/0061] Sie mag ſelbſt aus allem was ich ſchreibe eine Antwort geben, wie ſie ſich zu den Umſtaͤnden am beſten ſchicket. Es ſtehet alle Ruhe und alle ver- gnuͤgte Stunden meines Lebens darauf, wenn ich es jetzt wage, ein Wort fuͤr ſie zu reden. GOtt ver- gebe ihr ihre Suͤnde. Wenn ich gleich fuͤr ſie ſpre- chen wollte, ſo werde ich niemand auf meiner Seite haben. Um mein ſelbſt und um Jhres eigenen Vortheils willen laſſe Sie ja niemand erfahren, daß wir von dieſer Sache geredet oder Briefe gewechſelt haben. Schreibe Sie auch kuͤnftig nichts mehr davon, als wenn ich es vorher erlaube: denn mein gantzes Hertz blutet mir, wenn ich ſolche Briefe leſen muß. Glaube Sie indeſſen nicht, daß ich unerbittlich bin, wo ich wahre Reue ſehe. Allein wie betruͤbt iſt es, gern zu wollen und nicht zu koͤnnen. GOtt gebe Jhr und mir Troſt und Beruhigung, und meiner ehmahls lieben, und ewig lieben (denn welche Mutter kann ihr Kind vergeſſen) meiner ewig lieben Claͤrchen gebe er Reue, recht hertzliche Reue! und ſo weniges Leyden, als nach ſeiner Weisheit moͤglich iſt. Dieſes wuͤnſcht Jhre wahre Freundin Charlotte Harlowe. Der zehnte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe. Sonntags den 4ten May. Jch D 4

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/61>, abgerufen am 26.04.2024.