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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Arabeske.
der nachfolgenden Untersuchung bilden. Nur auf einen Umstand soll
noch gleich hier ausdrücklich hingewiesen werden, da derselbe in be-
sonderem Maasse geeignet erscheint, das eben skizzirte Verhältniss
zwischen den antiken zwickelfüllenden Palmetten und den Blumen-
motiven der Arabeske verständlich zu machen: die der Natur zuwider-
laufende unfreie Behandlung der Blüthen findet sich in der Arabeske
in der Regel wohl an den Halbpalmetten und Gabelranken, verhältniss-
mässig selten dagegen und erst in einem vorgeschritteneren Stadium
der Entwicklung an den vollen Palmetten.

Die Arabeske treffen wir an in sämmtlichen Ländern, die sich
der Islam im Laufe der Jahrhunderte unterworfen hat. Hauptsächlich
kommen hier in Betracht: Nordafrika mit Unteregypten, Syrien, Klein-
asien, Mesopotamien und Persien, also im Allgemeinen jene Länder,
die einstmals zum grossen römischen. Universalreiche gehört hatten,
und wie die Denkmäler ausnahmslos beweisen, sich durchweg die
Formensprache der hellenistisch-römischen Universalkunst angeeignet
hatten. In dieser Kunst spielte, wie wir gesehen haben, für die deko-
rativen Aufgaben das Pflanzenrankenornament die weitaus wichtigste
und tonangebende Rolle. Sehen wir nun im Mittelalter in den gleichen
geographischen Gebieten abermals ein Pflanzenrankenornament, wenn
auch anscheinend von verschiedener Beschaffenheit, als maassgebendstes
Dekorationselement verwendet, so erscheint -- wie schon auf S. 259 be-
tont wurde -- der Gedanke an eine genetische Abhängigkeit des zweiten
von dem ersteren unabweislich. Es möchte doch mindestens der Mühe
verlohnen, dem wechselseitigen Verhältnisse etwas nachzugehen; -- um
so unbegreiflicher und wohl wieder nur aus der unglückseligen kunst-
materialistischen Bewegung mit allen ihren Konsequenzen zu erklären
bleibt der Umstand, dass man selbst von vielerfahrenen Kunstkennern
der heutigen Tage noch kurz aburtheilen hört: zwischen klassischer
Antike und orientalischer Arabeske gäbe es keinen Zusammenhang,
weil es -- nun weil es eben zwischen Feuer und Wasser keinen solchen
geben könne.

Die bisher verschmähte Untersuchung des Verhältnisses zwischen
dem antiken und dem saracenischen Rankenornament wollen nun wir
im Nachfolgenden anstellen. Was wir unter Arabeske verstehen, was
den hervorstechendsten Charakterzug dieses für die saracenische Kunst
typischen Ornaments bildet, haben wir soeben einleitungsweise ausein-

Die Arabeske.
der nachfolgenden Untersuchung bilden. Nur auf einen Umstand soll
noch gleich hier ausdrücklich hingewiesen werden, da derselbe in be-
sonderem Maasse geeignet erscheint, das eben skizzirte Verhältniss
zwischen den antiken zwickelfüllenden Palmetten und den Blumen-
motiven der Arabeske verständlich zu machen: die der Natur zuwider-
laufende unfreie Behandlung der Blüthen findet sich in der Arabeske
in der Regel wohl an den Halbpalmetten und Gabelranken, verhältniss-
mässig selten dagegen und erst in einem vorgeschritteneren Stadium
der Entwicklung an den vollen Palmetten.

Die Arabeske treffen wir an in sämmtlichen Ländern, die sich
der Islam im Laufe der Jahrhunderte unterworfen hat. Hauptsächlich
kommen hier in Betracht: Nordafrika mit Unteregypten, Syrien, Klein-
asien, Mesopotamien und Persien, also im Allgemeinen jene Länder,
die einstmals zum grossen römischen. Universalreiche gehört hatten,
und wie die Denkmäler ausnahmslos beweisen, sich durchweg die
Formensprache der hellenistisch-römischen Universalkunst angeeignet
hatten. In dieser Kunst spielte, wie wir gesehen haben, für die deko-
rativen Aufgaben das Pflanzenrankenornament die weitaus wichtigste
und tonangebende Rolle. Sehen wir nun im Mittelalter in den gleichen
geographischen Gebieten abermals ein Pflanzenrankenornament, wenn
auch anscheinend von verschiedener Beschaffenheit, als maassgebendstes
Dekorationselement verwendet, so erscheint — wie schon auf S. 259 be-
tont wurde — der Gedanke an eine genetische Abhängigkeit des zweiten
von dem ersteren unabweislich. Es möchte doch mindestens der Mühe
verlohnen, dem wechselseitigen Verhältnisse etwas nachzugehen; — um
so unbegreiflicher und wohl wieder nur aus der unglückseligen kunst-
materialistischen Bewegung mit allen ihren Konsequenzen zu erklären
bleibt der Umstand, dass man selbst von vielerfahrenen Kunstkennern
der heutigen Tage noch kurz aburtheilen hört: zwischen klassischer
Antike und orientalischer Arabeske gäbe es keinen Zusammenhang,
weil es — nun weil es eben zwischen Feuer und Wasser keinen solchen
geben könne.

Die bisher verschmähte Untersuchung des Verhältnisses zwischen
dem antiken und dem saracenischen Rankenornament wollen nun wir
im Nachfolgenden anstellen. Was wir unter Arabeske verstehen, was
den hervorstechendsten Charakterzug dieses für die saracenische Kunst
typischen Ornaments bildet, haben wir soeben einleitungsweise ausein-

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[271/0297] Die Arabeske. der nachfolgenden Untersuchung bilden. Nur auf einen Umstand soll noch gleich hier ausdrücklich hingewiesen werden, da derselbe in be- sonderem Maasse geeignet erscheint, das eben skizzirte Verhältniss zwischen den antiken zwickelfüllenden Palmetten und den Blumen- motiven der Arabeske verständlich zu machen: die der Natur zuwider- laufende unfreie Behandlung der Blüthen findet sich in der Arabeske in der Regel wohl an den Halbpalmetten und Gabelranken, verhältniss- mässig selten dagegen und erst in einem vorgeschritteneren Stadium der Entwicklung an den vollen Palmetten. Die Arabeske treffen wir an in sämmtlichen Ländern, die sich der Islam im Laufe der Jahrhunderte unterworfen hat. Hauptsächlich kommen hier in Betracht: Nordafrika mit Unteregypten, Syrien, Klein- asien, Mesopotamien und Persien, also im Allgemeinen jene Länder, die einstmals zum grossen römischen. Universalreiche gehört hatten, und wie die Denkmäler ausnahmslos beweisen, sich durchweg die Formensprache der hellenistisch-römischen Universalkunst angeeignet hatten. In dieser Kunst spielte, wie wir gesehen haben, für die deko- rativen Aufgaben das Pflanzenrankenornament die weitaus wichtigste und tonangebende Rolle. Sehen wir nun im Mittelalter in den gleichen geographischen Gebieten abermals ein Pflanzenrankenornament, wenn auch anscheinend von verschiedener Beschaffenheit, als maassgebendstes Dekorationselement verwendet, so erscheint — wie schon auf S. 259 be- tont wurde — der Gedanke an eine genetische Abhängigkeit des zweiten von dem ersteren unabweislich. Es möchte doch mindestens der Mühe verlohnen, dem wechselseitigen Verhältnisse etwas nachzugehen; — um so unbegreiflicher und wohl wieder nur aus der unglückseligen kunst- materialistischen Bewegung mit allen ihren Konsequenzen zu erklären bleibt der Umstand, dass man selbst von vielerfahrenen Kunstkennern der heutigen Tage noch kurz aburtheilen hört: zwischen klassischer Antike und orientalischer Arabeske gäbe es keinen Zusammenhang, weil es — nun weil es eben zwischen Feuer und Wasser keinen solchen geben könne. Die bisher verschmähte Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem antiken und dem saracenischen Rankenornament wollen nun wir im Nachfolgenden anstellen. Was wir unter Arabeske verstehen, was den hervorstechendsten Charakterzug dieses für die saracenische Kunst typischen Ornaments bildet, haben wir soeben einleitungsweise ausein-

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/297>, abgerufen am 26.04.2024.