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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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3.

In der Lehre des Heraklit von Ephesus tritt stärker
als bei den älteren Ioniern in der unlöslich gedachten Ver-
bindung von Stoff und Bewegungskraft die lebendige Kraft des
Urwesens hervor, des All und Einen 1), aus dem durch Ver-
wandlung das Viele und Einzelne entsteht. Jenen gilt der
Stoff, bestimmt benannt oder nicht nach einer einzelnen Quali-
tät bestimmt, wie selbstverständlich zugleich als belebt und be-
wegt. Bei Heraklit ist der Urgrund aller Mannichfaltigkeit
der Bildungen die absolute Lebendigkeit, die Kraft des Wer-
dens selbst, die zugleich als ein bestimmter Stoff, oder einem
der bekannten Stoffe analog gedacht ist. Das Lebendige und
so auch diejenige Form des Lebendigen, die im Menschen er-
scheint, müssen ihm wichtiger werden als seinen Vorgängern.

Der Träger der nie ruhenden, anfanglosen und nie enden-
den Werdekraft und Werdethätigkeit ist das Heisse, Trockene,
benannt mit dem Namen des Elementarzustandes, der ohne
Bewegung nicht gedacht werden kann, des Feuers. Das stets
lebendige (aeizoon) Feuer, das periodisch sich entzündet und
periodisch erlischt (fr. 20), ist ganz Bewegung und Lebendig-
keit. Leben ist alles, Leben aber ist Werden, sich Wandeln,
anders werden ohne Rast. Jede Erscheinung treibt schon in
dem Moment ihres Hervortretens ihr Gegentheil aus sich her-
vor; Geburt, Leben und Tod und neue Geburt schlagen, wie
in den Gebilden des Blitzes (fr. 28), in Einem flammenden
Augenblick zusammen.

Was so in ewiger Lebendigkeit sich regt, im Werden allein
sein Sein hat, sich wandelt, und in "zurückstrebender Span-
nung" sich selbst wiederfindet, ist ein vernunftbegabtes, nach
Vernunft und "Kunst" bildendes, die Vernunft (logos) selbst.
Es verliert sich in der Weltbildung an die Elemente; sein
"Tod" (fr. 66. 67) ist es, wenn es im "Wege abwärts" zu
Wasser, zu Erde wird (fr. 21). Es giebt eine Werthabstufung

1) en panta einai fragm. 1 (Byw.).
3.

In der Lehre des Heraklit von Ephesus tritt stärker
als bei den älteren Ioniern in der unlöslich gedachten Ver-
bindung von Stoff und Bewegungskraft die lebendige Kraft des
Urwesens hervor, des All und Einen 1), aus dem durch Ver-
wandlung das Viele und Einzelne entsteht. Jenen gilt der
Stoff, bestimmt benannt oder nicht nach einer einzelnen Quali-
tät bestimmt, wie selbstverständlich zugleich als belebt und be-
wegt. Bei Heraklit ist der Urgrund aller Mannichfaltigkeit
der Bildungen die absolute Lebendigkeit, die Kraft des Wer-
dens selbst, die zugleich als ein bestimmter Stoff, oder einem
der bekannten Stoffe analog gedacht ist. Das Lebendige und
so auch diejenige Form des Lebendigen, die im Menschen er-
scheint, müssen ihm wichtiger werden als seinen Vorgängern.

Der Träger der nie ruhenden, anfanglosen und nie enden-
den Werdekraft und Werdethätigkeit ist das Heisse, Trockene,
benannt mit dem Namen des Elementarzustandes, der ohne
Bewegung nicht gedacht werden kann, des Feuers. Das stets
lebendige (ἀείζωον) Feuer, das periodisch sich entzündet und
periodisch erlischt (fr. 20), ist ganz Bewegung und Lebendig-
keit. Leben ist alles, Leben aber ist Werden, sich Wandeln,
anders werden ohne Rast. Jede Erscheinung treibt schon in
dem Moment ihres Hervortretens ihr Gegentheil aus sich her-
vor; Geburt, Leben und Tod und neue Geburt schlagen, wie
in den Gebilden des Blitzes (fr. 28), in Einem flammenden
Augenblick zusammen.

Was so in ewiger Lebendigkeit sich regt, im Werden allein
sein Sein hat, sich wandelt, und in „zurückstrebender Span-
nung“ sich selbst wiederfindet, ist ein vernunftbegabtes, nach
Vernunft und „Kunst“ bildendes, die Vernunft (λόγος) selbst.
Es verliert sich in der Weltbildung an die Elemente; sein
„Tod“ (fr. 66. 67) ist es, wenn es im „Wege abwärts“ zu
Wasser, zu Erde wird (fr. 21). Es giebt eine Werthabstufung

1) ἓν πάντα εἶναι fragm. 1 (Byw.).
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[437/0453] 3. In der Lehre des Heraklit von Ephesus tritt stärker als bei den älteren Ioniern in der unlöslich gedachten Ver- bindung von Stoff und Bewegungskraft die lebendige Kraft des Urwesens hervor, des All und Einen 1), aus dem durch Ver- wandlung das Viele und Einzelne entsteht. Jenen gilt der Stoff, bestimmt benannt oder nicht nach einer einzelnen Quali- tät bestimmt, wie selbstverständlich zugleich als belebt und be- wegt. Bei Heraklit ist der Urgrund aller Mannichfaltigkeit der Bildungen die absolute Lebendigkeit, die Kraft des Wer- dens selbst, die zugleich als ein bestimmter Stoff, oder einem der bekannten Stoffe analog gedacht ist. Das Lebendige und so auch diejenige Form des Lebendigen, die im Menschen er- scheint, müssen ihm wichtiger werden als seinen Vorgängern. Der Träger der nie ruhenden, anfanglosen und nie enden- den Werdekraft und Werdethätigkeit ist das Heisse, Trockene, benannt mit dem Namen des Elementarzustandes, der ohne Bewegung nicht gedacht werden kann, des Feuers. Das stets lebendige (ἀείζωον) Feuer, das periodisch sich entzündet und periodisch erlischt (fr. 20), ist ganz Bewegung und Lebendig- keit. Leben ist alles, Leben aber ist Werden, sich Wandeln, anders werden ohne Rast. Jede Erscheinung treibt schon in dem Moment ihres Hervortretens ihr Gegentheil aus sich her- vor; Geburt, Leben und Tod und neue Geburt schlagen, wie in den Gebilden des Blitzes (fr. 28), in Einem flammenden Augenblick zusammen. Was so in ewiger Lebendigkeit sich regt, im Werden allein sein Sein hat, sich wandelt, und in „zurückstrebender Span- nung“ sich selbst wiederfindet, ist ein vernunftbegabtes, nach Vernunft und „Kunst“ bildendes, die Vernunft (λόγος) selbst. Es verliert sich in der Weltbildung an die Elemente; sein „Tod“ (fr. 66. 67) ist es, wenn es im „Wege abwärts“ zu Wasser, zu Erde wird (fr. 21). Es giebt eine Werthabstufung 1) ἓν πάντα εἶναι fragm. 1 (Byw.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/453>, abgerufen am 27.04.2024.