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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Die Spätzeit des Griechenthums.
I. Die Philosophie.

Plato und seine Verkündigung von Wesen, Herkunft und
Bestimmung der Seele bildet einen Abschluss, den Abschluss
jener spiritualistischen, theologischen Bewegung, von deren
Tiefe und Mächtigkeit nichts eine bedeutendere Vorstellung er-
weckt, als dass sie einen solchen Abschluss sich geben konnte.
Sie kommt dann zur Ruhe. Wenigstens zieht sie sich von der
Oberfläche griechischen Lebens zurück; gleich einem jener
Ströme Asiens, von denen die Alten wussten, verschwindet ihr
Lauf für lange in unterirdischen Klüften, um fern von seinem
Ursprung um so erstaunlicher wieder ans Licht zu kommen.
Selbst Platos Schule wendete, bald nachdem der gebietende
Geist des Meisters geschieden war, sich nach ganz anderen
Richtungen als Jener ihr gewiesen hatte 1). Sie hätte, an

1) Anfangs wirkte in der Akademie der Geist der Altersphilosophie
des Plato weiter; und wie man da seine pythagorisirende Zahlenspeculation
fortbildete, seine Phantasien von dämonischen Mittelwesen zwischen Gott
und Menschen pedantisch systematisirte, den theologischen Zug seines Den-
kens zu einer trüben, lastenden Deisidaemonie forttrieb (Zeugniss hievon
giebt namentlich die Epinomis des Philipp von Opus, sonst im besonderen
alles was wir von den Speculationen des Xenokrates wissen), so blieb auch
seine Seelenlehre und der asketische Hang seiner Ethik eine Zeit lang
unter seinen Schülern in Geltung und Kraft. Dem Philipp von Opus ist
das Ziel des menschlichen Strebens ein seliges Abscheiden aus der Welt
(das freilich nur wenigen, nach seiner Auffassung Weisen zutheil werden
kann: 973 C ff.; 992 C); die Erde und das Leben versinkt diesem Mystiker
gänzlich, alle Inbrunst der Betrachtung wendet sich dem Göttlichen, das
sich in Mathematik und Astronomie offenbart, zu. Platonische Seelen-
lehre, ganz im mystisch-weltverneinenden Sinne, liegt den fabulirenden Aus-
führungen des Heraklides Ponticus (im Abaris, Empedotimos u. s. w.) zu-
grunde, wie selbst den jugendlichen Versuchen des Aristoteles (im Eude-
Die Spätzeit des Griechenthums.
I. Die Philosophie.

Plato und seine Verkündigung von Wesen, Herkunft und
Bestimmung der Seele bildet einen Abschluss, den Abschluss
jener spiritualistischen, theologischen Bewegung, von deren
Tiefe und Mächtigkeit nichts eine bedeutendere Vorstellung er-
weckt, als dass sie einen solchen Abschluss sich geben konnte.
Sie kommt dann zur Ruhe. Wenigstens zieht sie sich von der
Oberfläche griechischen Lebens zurück; gleich einem jener
Ströme Asiens, von denen die Alten wussten, verschwindet ihr
Lauf für lange in unterirdischen Klüften, um fern von seinem
Ursprung um so erstaunlicher wieder ans Licht zu kommen.
Selbst Platos Schule wendete, bald nachdem der gebietende
Geist des Meisters geschieden war, sich nach ganz anderen
Richtungen als Jener ihr gewiesen hatte 1). Sie hätte, an

1) Anfangs wirkte in der Akademie der Geist der Altersphilosophie
des Plato weiter; und wie man da seine pythagorisirende Zahlenspeculation
fortbildete, seine Phantasien von dämonischen Mittelwesen zwischen Gott
und Menschen pedantisch systematisirte, den theologischen Zug seines Den-
kens zu einer trüben, lastenden Deisidaemonie forttrieb (Zeugniss hievon
giebt namentlich die Epinomis des Philipp von Opus, sonst im besonderen
alles was wir von den Speculationen des Xenokrates wissen), so blieb auch
seine Seelenlehre und der asketische Hang seiner Ethik eine Zeit lang
unter seinen Schülern in Geltung und Kraft. Dem Philipp von Opus ist
das Ziel des menschlichen Strebens ein seliges Abscheiden aus der Welt
(das freilich nur wenigen, nach seiner Auffassung Weisen zutheil werden
kann: 973 C ff.; 992 C); die Erde und das Leben versinkt diesem Mystiker
gänzlich, alle Inbrunst der Betrachtung wendet sich dem Göttlichen, das
sich in Mathematik und Astronomie offenbart, zu. Platonische Seelen-
lehre, ganz im mystisch-weltverneinenden Sinne, liegt den fabulirenden Aus-
führungen des Heraklides Ponticus (im Ἄβαρις, Ἐμπεδότιμος u. s. w.) zu-
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[[587]/0603] Die Spätzeit des Griechenthums. I. Die Philosophie. Plato und seine Verkündigung von Wesen, Herkunft und Bestimmung der Seele bildet einen Abschluss, den Abschluss jener spiritualistischen, theologischen Bewegung, von deren Tiefe und Mächtigkeit nichts eine bedeutendere Vorstellung er- weckt, als dass sie einen solchen Abschluss sich geben konnte. Sie kommt dann zur Ruhe. Wenigstens zieht sie sich von der Oberfläche griechischen Lebens zurück; gleich einem jener Ströme Asiens, von denen die Alten wussten, verschwindet ihr Lauf für lange in unterirdischen Klüften, um fern von seinem Ursprung um so erstaunlicher wieder ans Licht zu kommen. Selbst Platos Schule wendete, bald nachdem der gebietende Geist des Meisters geschieden war, sich nach ganz anderen Richtungen als Jener ihr gewiesen hatte 1). Sie hätte, an 1) Anfangs wirkte in der Akademie der Geist der Altersphilosophie des Plato weiter; und wie man da seine pythagorisirende Zahlenspeculation fortbildete, seine Phantasien von dämonischen Mittelwesen zwischen Gott und Menschen pedantisch systematisirte, den theologischen Zug seines Den- kens zu einer trüben, lastenden Deisidaemonie forttrieb (Zeugniss hievon giebt namentlich die Epinomis des Philipp von Opus, sonst im besonderen alles was wir von den Speculationen des Xenokrates wissen), so blieb auch seine Seelenlehre und der asketische Hang seiner Ethik eine Zeit lang unter seinen Schülern in Geltung und Kraft. Dem Philipp von Opus ist das Ziel des menschlichen Strebens ein seliges Abscheiden aus der Welt (das freilich nur wenigen, nach seiner Auffassung Weisen zutheil werden kann: 973 C ff.; 992 C); die Erde und das Leben versinkt diesem Mystiker gänzlich, alle Inbrunst der Betrachtung wendet sich dem Göttlichen, das sich in Mathematik und Astronomie offenbart, zu. Platonische Seelen- lehre, ganz im mystisch-weltverneinenden Sinne, liegt den fabulirenden Aus- führungen des Heraklides Ponticus (im Ἄβαρις, Ἐμπεδότιμος u. s. w.) zu- grunde, wie selbst den jugendlichen Versuchen des Aristoteles (im Εὔδη-

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. [587]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/603>, abgerufen am 27.04.2024.