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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Mit Ueberzeugung bekannte man nach der Schlacht, der Sieg
sei Göttern und Heroen zu verdanken1). Die Heroen und ihre
Hülfe sind es, wie Xenophon ausspricht, die im Kampfe gegen
die Barbaren "Griechenland unbesiegbar machten"2). Seltener
hören wir von thätigem Eintreten der Landesheroen bei Kämpfen
griechischer Staaten unter einander3).

Auch in das engste Leben der Einzelnen greifen, störend
oder fördernd, die Heroen ein, wie einst in der Fabelzeit die
Götter. Man wird sich an bekannte Göttersagen erinnert
fühlen, und doch den Abstand vom Erhabenen zum Idyllischen
ermessen, wenn man bei Herodot treuherzig und umständlich
erzählt findet, wie einst Helena, in eigener Gestalt einer
Amme begegnend, die an ihrem Grabe zu Therapne um
Schönheit für ihr hässliches Pflegekind gebetet hatte, das Kind
durch Bestreichen zum schönsten Mädchen in Sparta machte4);
oder wie der Heros Astrabakos in der Gestalt des Ariston,
Königs von Sparta, zu dessen Gemahlin schleicht und sie zur
Mutter des Demaratos macht5). Das Heroon dieses Astrabakos

1) Themistokles bei Herodot 8, 109.
2) Xenophon Cyneg. 1, 17.
3) Die Dioskuren halfen den Spartanern im Kriege: Herodot 5, 75;
der lokrische Aias den Lokrern in Italien: Paus. 1, 29, 12. 13. Konon 18
(ausgeschmückte, nicht mehr naive Legende, von beiden aus gleicher
Quelle entnommen).
4) Herodot 6, 61 (aus Herodot Paus. 3, 7, 7). Zu Therapne das
Grab der Helena: Paus. 3, 19, 8.
5) Herodot 6, 69. So galt auf Thasos der vorhin genannte Theagenes
nicht als Sohn des Timosthenes, tou Theagenous de te metri Erakleous
suggenesthai phasma eoikos Timosthenei. Paus. 6, 11, 2. -- An die Fabel von
Zeus und Alkmene erinnert man sich ohnehin. Man beachte aber, wie
nahe solche Geschichten, wie die bei Herodot so treuherzig erzählte an
bedenkliche Novellen streifen, in denen irgend ein profaner Sterblicher
bei einer arglosen Frau, in Verkleidung, die Rolle eines göttlichen oder
dämonischen Liebhabers spielt. Dass auch in Griechenland derartige
Geschichten umliefen, lässt sich vielleicht aus Eurip. Ion. 1530 ff. schliessen.
Ovid, Met. 3, 281 sagt geradezu: multi nomine divorum thalamos iniere
pudicos.
Ein Abenteuer dieser Art erzählt der Verfasser der Briefe des
Aeschines N. 10 und er weiss gleich noch zwei ähnliche Beispiele beizu-
bringen (§ 8. 9), die er gewiss nicht selbst erfunden hat. -- In neueren

Mit Ueberzeugung bekannte man nach der Schlacht, der Sieg
sei Göttern und Heroen zu verdanken1). Die Heroen und ihre
Hülfe sind es, wie Xenophon ausspricht, die im Kampfe gegen
die Barbaren „Griechenland unbesiegbar machten“2). Seltener
hören wir von thätigem Eintreten der Landesheroen bei Kämpfen
griechischer Staaten unter einander3).

Auch in das engste Leben der Einzelnen greifen, störend
oder fördernd, die Heroen ein, wie einst in der Fabelzeit die
Götter. Man wird sich an bekannte Göttersagen erinnert
fühlen, und doch den Abstand vom Erhabenen zum Idyllischen
ermessen, wenn man bei Herodot treuherzig und umständlich
erzählt findet, wie einst Helena, in eigener Gestalt einer
Amme begegnend, die an ihrem Grabe zu Therapne um
Schönheit für ihr hässliches Pflegekind gebetet hatte, das Kind
durch Bestreichen zum schönsten Mädchen in Sparta machte4);
oder wie der Heros Astrabakos in der Gestalt des Ariston,
Königs von Sparta, zu dessen Gemahlin schleicht und sie zur
Mutter des Demaratos macht5). Das Heroon dieses Astrabakos

1) Themistokles bei Herodot 8, 109.
2) Xenophon Cyneg. 1, 17.
3) Die Dioskuren halfen den Spartanern im Kriege: Herodot 5, 75;
der lokrische Aias den Lokrern in Italien: Paus. 1, 29, 12. 13. Konon 18
(ausgeschmückte, nicht mehr naive Legende, von beiden aus gleicher
Quelle entnommen).
4) Herodot 6, 61 (aus Herodot Paus. 3, 7, 7). Zu Therapne das
Grab der Helena: Paus. 3, 19, 8.
5) Herodot 6, 69. So galt auf Thasos der vorhin genannte Theagenes
nicht als Sohn des Timosthenes, τοῦ Θεαγένους δὲ τῇ μητρὶ Ἡρακλέους
συγγενέσϑαι φάσμα ἐοικὸς Τιμοσϑένει. Paus. 6, 11, 2. — An die Fabel von
Zeus und Alkmene erinnert man sich ohnehin. Man beachte aber, wie
nahe solche Geschichten, wie die bei Herodot so treuherzig erzählte an
bedenkliche Novellen streifen, in denen irgend ein profaner Sterblicher
bei einer arglosen Frau, in Verkleidung, die Rolle eines göttlichen oder
dämonischen Liebhabers spielt. Dass auch in Griechenland derartige
Geschichten umliefen, lässt sich vielleicht aus Eurip. Ion. 1530 ff. schliessen.
Ovid, Met. 3, 281 sagt geradezu: multi nomine divorum thalamos iniere
pudicos.
Ein Abenteuer dieser Art erzählt der Verfasser der Briefe des
Aeschines N. 10 und er weiss gleich noch zwei ähnliche Beispiele beizu-
bringen (§ 8. 9), die er gewiss nicht selbst erfunden hat. — In neueren
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[184/0200] Mit Ueberzeugung bekannte man nach der Schlacht, der Sieg sei Göttern und Heroen zu verdanken 1). Die Heroen und ihre Hülfe sind es, wie Xenophon ausspricht, die im Kampfe gegen die Barbaren „Griechenland unbesiegbar machten“ 2). Seltener hören wir von thätigem Eintreten der Landesheroen bei Kämpfen griechischer Staaten unter einander 3). Auch in das engste Leben der Einzelnen greifen, störend oder fördernd, die Heroen ein, wie einst in der Fabelzeit die Götter. Man wird sich an bekannte Göttersagen erinnert fühlen, und doch den Abstand vom Erhabenen zum Idyllischen ermessen, wenn man bei Herodot treuherzig und umständlich erzählt findet, wie einst Helena, in eigener Gestalt einer Amme begegnend, die an ihrem Grabe zu Therapne um Schönheit für ihr hässliches Pflegekind gebetet hatte, das Kind durch Bestreichen zum schönsten Mädchen in Sparta machte 4); oder wie der Heros Astrabakos in der Gestalt des Ariston, Königs von Sparta, zu dessen Gemahlin schleicht und sie zur Mutter des Demaratos macht 5). Das Heroon dieses Astrabakos 1) Themistokles bei Herodot 8, 109. 2) Xenophon Cyneg. 1, 17. 3) Die Dioskuren halfen den Spartanern im Kriege: Herodot 5, 75; der lokrische Aias den Lokrern in Italien: Paus. 1, 29, 12. 13. Konon 18 (ausgeschmückte, nicht mehr naive Legende, von beiden aus gleicher Quelle entnommen). 4) Herodot 6, 61 (aus Herodot Paus. 3, 7, 7). Zu Therapne das Grab der Helena: Paus. 3, 19, 8. 5) Herodot 6, 69. So galt auf Thasos der vorhin genannte Theagenes nicht als Sohn des Timosthenes, τοῦ Θεαγένους δὲ τῇ μητρὶ Ἡρακλέους συγγενέσϑαι φάσμα ἐοικὸς Τιμοσϑένει. Paus. 6, 11, 2. — An die Fabel von Zeus und Alkmene erinnert man sich ohnehin. Man beachte aber, wie nahe solche Geschichten, wie die bei Herodot so treuherzig erzählte an bedenkliche Novellen streifen, in denen irgend ein profaner Sterblicher bei einer arglosen Frau, in Verkleidung, die Rolle eines göttlichen oder dämonischen Liebhabers spielt. Dass auch in Griechenland derartige Geschichten umliefen, lässt sich vielleicht aus Eurip. Ion. 1530 ff. schliessen. Ovid, Met. 3, 281 sagt geradezu: multi nomine divorum thalamos iniere pudicos. Ein Abenteuer dieser Art erzählt der Verfasser der Briefe des Aeschines N. 10 und er weiss gleich noch zwei ähnliche Beispiele beizu- bringen (§ 8. 9), die er gewiss nicht selbst erfunden hat. — In neueren

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/200>, abgerufen am 29.04.2024.