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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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auch die seit Schiller so oft wiederholte Forderung, daß
das Verbrechen, ästhetisch möglich zu werden, groß sein
müsse, weil es dann Muth, List, Klugheit, Kraft, Aus¬
dauer, in nicht gewöhnlichem Grade erfordert und damit
wenigstens die formale Seite der Freiheit enthält.

Diese hier angedeuteten Begriffe sind nunmehr seit der
Aristotelischen Poetik so oft und, zuletzt von Vischer, so
genügend auseinandergesetzt, daß wohl kein Punct unseres
Themas in gleichem Grade ausgearbeitet und in der allge¬
meinen Vorstellung geläufig ist. Wir werden uns deshalb
hier nur auf wenige Bemerkungen beschränken.

Dem Inhalt nach sind alle diejenigen Verbrechen un¬
vermögend, ästhetische Objecte zu sein, die wegen ihrer Alltäg¬
lichkeit und Geringfügigkeit und wegen des geringen Auf¬
wandes von Intelligenz und Wille, den ihr Begehen erfordert,
in die Kategorie der Gemeinheit des Gewöhnlichen fallen. Der
kleinliche Egoismus, der ihnen zu Grunde liegt und nur den
Acten der Polizei und des correctionellen Gerichts Nahrung
liefert, ist zu untergeordnet, als daß er die Kunst beschäftigen
dürfte. Seine Verbrechen sind oft kaum Thaten zu nennen,
so sehr gehen sie oft aus einem Kreise der Rohheit und Un¬
bildung, der Faulheit und Noth, der Beschänktheit und
habituell gewordenen Schuftigkeit hervor.

Accessorisch, in Verbindung mit höhern Motiven, als
Episode, als Nebenglied in einer größern Verkettung, wird
das gemeine Verbrechen schon ästhetisch möglich, weil es
dann in dem weitern Zusammenhange als ein sittengeschicht¬
liches Moment erscheint. Haß, Rachsucht, Eifersucht, Spiel¬
wuth, Ehrgeiz, sind schon ästhetischer, als der Diebstahl,
als die Fälschung, als der Betrug, als die grobe Unkeusch¬
heit, als der Mord, nur des Habens und Genießens willen.

auch die ſeit Schiller ſo oft wiederholte Forderung, daß
das Verbrechen, äſthetiſch möglich zu werden, groß ſein
müſſe, weil es dann Muth, Liſt, Klugheit, Kraft, Aus¬
dauer, in nicht gewöhnlichem Grade erfordert und damit
wenigſtens die formale Seite der Freiheit enthält.

Dieſe hier angedeuteten Begriffe ſind nunmehr ſeit der
Ariſtoteliſchen Poetik ſo oft und, zuletzt von Viſcher, ſo
genügend auseinandergeſetzt, daß wohl kein Punct unſeres
Themas in gleichem Grade ausgearbeitet und in der allge¬
meinen Vorſtellung geläufig iſt. Wir werden uns deshalb
hier nur auf wenige Bemerkungen beſchränken.

Dem Inhalt nach ſind alle diejenigen Verbrechen un¬
vermögend, äſthetiſche Objecte zu ſein, die wegen ihrer Alltäg¬
lichkeit und Geringfügigkeit und wegen des geringen Auf¬
wandes von Intelligenz und Wille, den ihr Begehen erfordert,
in die Kategorie der Gemeinheit des Gewöhnlichen fallen. Der
kleinliche Egoismus, der ihnen zu Grunde liegt und nur den
Acten der Polizei und des correctionellen Gerichts Nahrung
liefert, iſt zu untergeordnet, als daß er die Kunſt beſchäftigen
dürfte. Seine Verbrechen ſind oft kaum Thaten zu nennen,
ſo ſehr gehen ſie oft aus einem Kreiſe der Rohheit und Un¬
bildung, der Faulheit und Noth, der Beſchänktheit und
habituell gewordenen Schuftigkeit hervor.

Acceſſoriſch, in Verbindung mit höhern Motiven, als
Epiſode, als Nebenglied in einer größern Verkettung, wird
das gemeine Verbrechen ſchon äſthetiſch möglich, weil es
dann in dem weitern Zuſammenhange als ein ſittengeſchicht¬
liches Moment erſcheint. Haß, Rachſucht, Eiferſucht, Spiel¬
wuth, Ehrgeiz, ſind ſchon äſthetiſcher, als der Diebſtahl,
als die Fälſchung, als der Betrug, als die grobe Unkeuſch¬
heit, als der Mord, nur des Habens und Genießens willen.

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[326/0348] auch die ſeit Schiller ſo oft wiederholte Forderung, daß das Verbrechen, äſthetiſch möglich zu werden, groß ſein müſſe, weil es dann Muth, Liſt, Klugheit, Kraft, Aus¬ dauer, in nicht gewöhnlichem Grade erfordert und damit wenigſtens die formale Seite der Freiheit enthält. Dieſe hier angedeuteten Begriffe ſind nunmehr ſeit der Ariſtoteliſchen Poetik ſo oft und, zuletzt von Viſcher, ſo genügend auseinandergeſetzt, daß wohl kein Punct unſeres Themas in gleichem Grade ausgearbeitet und in der allge¬ meinen Vorſtellung geläufig iſt. Wir werden uns deshalb hier nur auf wenige Bemerkungen beſchränken. Dem Inhalt nach ſind alle diejenigen Verbrechen un¬ vermögend, äſthetiſche Objecte zu ſein, die wegen ihrer Alltäg¬ lichkeit und Geringfügigkeit und wegen des geringen Auf¬ wandes von Intelligenz und Wille, den ihr Begehen erfordert, in die Kategorie der Gemeinheit des Gewöhnlichen fallen. Der kleinliche Egoismus, der ihnen zu Grunde liegt und nur den Acten der Polizei und des correctionellen Gerichts Nahrung liefert, iſt zu untergeordnet, als daß er die Kunſt beſchäftigen dürfte. Seine Verbrechen ſind oft kaum Thaten zu nennen, ſo ſehr gehen ſie oft aus einem Kreiſe der Rohheit und Un¬ bildung, der Faulheit und Noth, der Beſchänktheit und habituell gewordenen Schuftigkeit hervor. Acceſſoriſch, in Verbindung mit höhern Motiven, als Epiſode, als Nebenglied in einer größern Verkettung, wird das gemeine Verbrechen ſchon äſthetiſch möglich, weil es dann in dem weitern Zuſammenhange als ein ſittengeſchicht¬ liches Moment erſcheint. Haß, Rachſucht, Eiferſucht, Spiel¬ wuth, Ehrgeiz, ſind ſchon äſthetiſcher, als der Diebſtahl, als die Fälſchung, als der Betrug, als die grobe Unkeuſch¬ heit, als der Mord, nur des Habens und Genießens willen.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/348>, abgerufen am 26.04.2024.