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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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10.
Die Formen des Waldes.
Die Gunst des Schicksals und der eignen Kräfte
Ist uns fürwahr sehr ungleich zugefallen;
Der Eine stirbt in niederem Geschäfte,
Indeß die Andern zu dem Höchsten wallen.
Dem Niederwald ist Jener zu vergleichen,
Der unablässig doch nur Kleines leistet;
Dem Hochwald Diese, dessen stolze Eichen
Bewußtsein höchsten Werths durchgeistet.

Das forstlich ungeübte Auge bemerkt es oft nicht, daß der Wald
neben den unterscheidenden Merkmalen, welche ihm die verschiedenen Baum-
gattungen aufprägen, hinsichtlich seines Gesammtausdrucks sich sehr ver-
schieden darstellt; die Gründe dazu sind sehr manchfaltig. Seit wir in
Deutschland nur noch geringe Ueberreste von Urwald haben -- wir lernten
einen solchen nach Wesselys Schilderung kennen (S. 205) -- sind fast
unsere sämmtlichen Waldungen entweder von Menschenhand erzogen oder
wenigstens insofern nicht mehr ursprüngliche, als der in ihnen freischaffenden
Natur der Forstmann lichtend, gliedernd, nachbessernd gegenüber getreten
ist. Es mag vielleicht in den Gebirgswäldern noch manche Strecken geben,
welche niemals einem Kahlhiebe unterworfen gewesen und dann wieder
neu in Bestand gebracht worden sind, wie in den süddeutschen und schweize-
rischen Alpenwäldern noch ganze Gebiete wegen ihrer Unzugänglichkeit
oder wenigstens wegen der fast zur Unmöglichkeit werdenden Schwierigkeit
der Holzabfuhre von der "Forsteinrichtung" noch nicht in ihr Bereich
gezogen worden sind, wo mit einem Worte der Wald noch Wald geblieben,
noch nicht Forst geworden ist.

Wenn wir jetzt die verschiedenen Formen des Waldes kennen lernen
wollen, so haben wir dabei zu unterscheiden, ob diese Verschiedenheit von
Natur bedingt oder durch menschliches Dazuthun hervorgerufen sei.

10.
Die Formen des Waldes.
Die Gunſt des Schickſals und der eignen Kräfte
Iſt uns fürwahr ſehr ungleich zugefallen;
Der Eine ſtirbt in niederem Geſchäfte,
Indeß die Andern zu dem Höchſten wallen.
Dem Niederwald iſt Jener zu vergleichen,
Der unabläſſig doch nur Kleines leiſtet;
Dem Hochwald Dieſe, deſſen ſtolze Eichen
Bewußtſein höchſten Werths durchgeiſtet.

Das forſtlich ungeübte Auge bemerkt es oft nicht, daß der Wald
neben den unterſcheidenden Merkmalen, welche ihm die verſchiedenen Baum-
gattungen aufprägen, hinſichtlich ſeines Geſammtausdrucks ſich ſehr ver-
ſchieden darſtellt; die Gründe dazu ſind ſehr manchfaltig. Seit wir in
Deutſchland nur noch geringe Ueberreſte von Urwald haben — wir lernten
einen ſolchen nach Weſſelys Schilderung kennen (S. 205) — ſind faſt
unſere ſämmtlichen Waldungen entweder von Menſchenhand erzogen oder
wenigſtens inſofern nicht mehr urſprüngliche, als der in ihnen freiſchaffenden
Natur der Forſtmann lichtend, gliedernd, nachbeſſernd gegenüber getreten
iſt. Es mag vielleicht in den Gebirgswäldern noch manche Strecken geben,
welche niemals einem Kahlhiebe unterworfen geweſen und dann wieder
neu in Beſtand gebracht worden ſind, wie in den ſüddeutſchen und ſchweize-
riſchen Alpenwäldern noch ganze Gebiete wegen ihrer Unzugänglichkeit
oder wenigſtens wegen der faſt zur Unmöglichkeit werdenden Schwierigkeit
der Holzabfuhre von der „Forſteinrichtung“ noch nicht in ihr Bereich
gezogen worden ſind, wo mit einem Worte der Wald noch Wald geblieben,
noch nicht Forſt geworden iſt.

Wenn wir jetzt die verſchiedenen Formen des Waldes kennen lernen
wollen, ſo haben wir dabei zu unterſcheiden, ob dieſe Verſchiedenheit von
Natur bedingt oder durch menſchliches Dazuthun hervorgerufen ſei.

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[[553]/0609] 10. Die Formen des Waldes. Die Gunſt des Schickſals und der eignen Kräfte Iſt uns fürwahr ſehr ungleich zugefallen; Der Eine ſtirbt in niederem Geſchäfte, Indeß die Andern zu dem Höchſten wallen. Dem Niederwald iſt Jener zu vergleichen, Der unabläſſig doch nur Kleines leiſtet; Dem Hochwald Dieſe, deſſen ſtolze Eichen Bewußtſein höchſten Werths durchgeiſtet. Das forſtlich ungeübte Auge bemerkt es oft nicht, daß der Wald neben den unterſcheidenden Merkmalen, welche ihm die verſchiedenen Baum- gattungen aufprägen, hinſichtlich ſeines Geſammtausdrucks ſich ſehr ver- ſchieden darſtellt; die Gründe dazu ſind ſehr manchfaltig. Seit wir in Deutſchland nur noch geringe Ueberreſte von Urwald haben — wir lernten einen ſolchen nach Weſſelys Schilderung kennen (S. 205) — ſind faſt unſere ſämmtlichen Waldungen entweder von Menſchenhand erzogen oder wenigſtens inſofern nicht mehr urſprüngliche, als der in ihnen freiſchaffenden Natur der Forſtmann lichtend, gliedernd, nachbeſſernd gegenüber getreten iſt. Es mag vielleicht in den Gebirgswäldern noch manche Strecken geben, welche niemals einem Kahlhiebe unterworfen geweſen und dann wieder neu in Beſtand gebracht worden ſind, wie in den ſüddeutſchen und ſchweize- riſchen Alpenwäldern noch ganze Gebiete wegen ihrer Unzugänglichkeit oder wenigſtens wegen der faſt zur Unmöglichkeit werdenden Schwierigkeit der Holzabfuhre von der „Forſteinrichtung“ noch nicht in ihr Bereich gezogen worden ſind, wo mit einem Worte der Wald noch Wald geblieben, noch nicht Forſt geworden iſt. Wenn wir jetzt die verſchiedenen Formen des Waldes kennen lernen wollen, ſo haben wir dabei zu unterſcheiden, ob dieſe Verſchiedenheit von Natur bedingt oder durch menſchliches Dazuthun hervorgerufen ſei.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. [553]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/609>, abgerufen am 26.04.2024.