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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
tragen werden. Die Vererbung als chemische Uebertragung
der Qualitäten der Eltern auf die Kinder als Theilstücke der-
selben ist kein Problem mehr, sondern eine mechanische Noth-
wendigkeit. Dass sie letzteres trotz des Stoffwechsels ist, be-
wirkt die Assimilation; denn diese ermöglicht die Uebertragung
des Gesetzes der Trägheit von den physikalischen auf chemi-
sche, mit Stoffwechsel verbundene Processe. Das Problem ist
also statt der Vererbung vielmehr die Entwickelung, die Her-
vorbildung des chemisch und morphologisch Differenzirteren
aus dem Einfacheren ohne differenzirende äussere Einwirkun-
gen, blos unter Zufuhr von Nahrungsmaterial. Dabei ist natür-
lich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass blos einige
Gewebe rein in Folge der vererbten Entwickelungsfähigkeit
sich differenziren, während die anderen Gewebe, so vielleicht
die Stützsubstanzen, secundär durch Einwirkung seitens der an-
deren aus dem embryonalen Blastem differenzirt werden. Wir
wissen aber noch nichts über die Art, wie solche beiderlei Vor-
gänge möglich sind, und wie sie in ihrem Wesen ablaufen;
denn was wir beobachten, ist blos der Verlauf der äusseren
Erscheinungen. Da die Veränderungen am erwachsenen Men-
schen nur durch äussere umgestaltende Einwirkungen vor sich
gehen, die embryonalen Differenzirungen dagegen ohne oder
fast ohne solche differenzirende Reize stattfinden, so ist Ver-
anlassung, anzunehmen, dass diese Resultate auf eine, wenn
auch sicher gesetzliche, so doch andere und uns zur Zeit un-
verständliche Weise hervorgebracht werden. Das Wesen der
embryonalen Differenzirung und ihre physikalisch-chemischen
Einzelursachen sind uns daher zur Zeit gänzlich verschlossen.
Es hat demnach keinen Zweck, sich des Weiteren darüber zu
ergehen, und es bleibt uns nur die Frage nach den vormali-
gen, phylogenetischen Ursachen der Gewebsdifferenzirung; aber
auch für die Beantwortung dieser Frage sind die thatsächlichen

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
tragen werden. Die Vererbung als chemische Uebertragung
der Qualitäten der Eltern auf die Kinder als Theilstücke der-
selben ist kein Problem mehr, sondern eine mechanische Noth-
wendigkeit. Dass sie letzteres trotz des Stoffwechsels ist, be-
wirkt die Assimilation; denn diese ermöglicht die Uebertragung
des Gesetzes der Trägheit von den physikalischen auf chemi-
sche, mit Stoffwechsel verbundene Processe. Das Problem ist
also statt der Vererbung vielmehr die Entwickelung, die Her-
vorbildung des chemisch und morphologisch Differenzirteren
aus dem Einfacheren ohne differenzirende äussere Einwirkun-
gen, blos unter Zufuhr von Nahrungsmaterial. Dabei ist natür-
lich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass blos einige
Gewebe rein in Folge der vererbten Entwickelungsfähigkeit
sich differenziren, während die anderen Gewebe, so vielleicht
die Stützsubstanzen, secundär durch Einwirkung seitens der an-
deren aus dem embryonalen Blastem differenzirt werden. Wir
wissen aber noch nichts über die Art, wie solche beiderlei Vor-
gänge möglich sind, und wie sie in ihrem Wesen ablaufen;
denn was wir beobachten, ist blos der Verlauf der äusseren
Erscheinungen. Da die Veränderungen am erwachsenen Men-
schen nur durch äussere umgestaltende Einwirkungen vor sich
gehen, die embryonalen Differenzirungen dagegen ohne oder
fast ohne solche differenzirende Reize stattfinden, so ist Ver-
anlassung, anzunehmen, dass diese Resultate auf eine, wenn
auch sicher gesetzliche, so doch andere und uns zur Zeit un-
verständliche Weise hervorgebracht werden. Das Wesen der
embryonalen Differenzirung und ihre physikalisch-chemischen
Einzelursachen sind uns daher zur Zeit gänzlich verschlossen.
Es hat demnach keinen Zweck, sich des Weiteren darüber zu
ergehen, und es bleibt uns nur die Frage nach den vormali-
gen, phylogenetischen Ursachen der Gewebsdifferenzirung; aber
auch für die Beantwortung dieser Frage sind die thatsächlichen

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[166/0180] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. tragen werden. Die Vererbung als chemische Uebertragung der Qualitäten der Eltern auf die Kinder als Theilstücke der- selben ist kein Problem mehr, sondern eine mechanische Noth- wendigkeit. Dass sie letzteres trotz des Stoffwechsels ist, be- wirkt die Assimilation; denn diese ermöglicht die Uebertragung des Gesetzes der Trägheit von den physikalischen auf chemi- sche, mit Stoffwechsel verbundene Processe. Das Problem ist also statt der Vererbung vielmehr die Entwickelung, die Her- vorbildung des chemisch und morphologisch Differenzirteren aus dem Einfacheren ohne differenzirende äussere Einwirkun- gen, blos unter Zufuhr von Nahrungsmaterial. Dabei ist natür- lich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass blos einige Gewebe rein in Folge der vererbten Entwickelungsfähigkeit sich differenziren, während die anderen Gewebe, so vielleicht die Stützsubstanzen, secundär durch Einwirkung seitens der an- deren aus dem embryonalen Blastem differenzirt werden. Wir wissen aber noch nichts über die Art, wie solche beiderlei Vor- gänge möglich sind, und wie sie in ihrem Wesen ablaufen; denn was wir beobachten, ist blos der Verlauf der äusseren Erscheinungen. Da die Veränderungen am erwachsenen Men- schen nur durch äussere umgestaltende Einwirkungen vor sich gehen, die embryonalen Differenzirungen dagegen ohne oder fast ohne solche differenzirende Reize stattfinden, so ist Ver- anlassung, anzunehmen, dass diese Resultate auf eine, wenn auch sicher gesetzliche, so doch andere und uns zur Zeit un- verständliche Weise hervorgebracht werden. Das Wesen der embryonalen Differenzirung und ihre physikalisch-chemischen Einzelursachen sind uns daher zur Zeit gänzlich verschlossen. Es hat demnach keinen Zweck, sich des Weiteren darüber zu ergehen, und es bleibt uns nur die Frage nach den vormali- gen, phylogenetischen Ursachen der Gewebsdifferenzirung; aber auch für die Beantwortung dieser Frage sind die thatsächlichen

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/180>, abgerufen am 26.04.2024.