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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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schäft aber mein Beruf wurde, da wiederholte ich
bei mehreren kleinen Kindern diese natürlichste aller
Methoden des Gehenlernens, und fand sie probat,
wie das erstemal. Auf solche Erfahrungen grün-
dete sich die Zuversicht, mit welcher ich sie Dir em-
pfahl. Und Dein Beispiel hat sie auf's neue ge-
rechtfertigt. Wollte man uns die unzählige Menge
von Beispielen entgegensetzen, wo Kinder am Lauf-
zaum gehen lernen, und doch eben keine Krüppel
werden, von Kindern, denen das Leitband die
Brust nicht zusammendrückt, und wo das frühe
Stehen und gezwungene Gehen im Gängelwagen
keine krummen Beine gemacht hat: so setze ich die
noch weit größere Menge roher Völkerschaften da-
gegen, bei denen eine verkrüppelte Gestalt eine viel
seltnere Erscheinung ist, als bei uns Europäern,
und die gewiß alle unsere, der Natur vorgreifen-
de Werkzeuge, die kindliche Kraft in Thätigkeit
zu bringen, nicht kennen. Fort also mit dem Lauf-
zaume, fort mit dem Gängelwagen, was auch die
gute Tante, die Deine Jda damit beschenkt, von
unserer Methode fürchten mag! Beweisen wir ihr
nicht mit Worten, sondern mit dem glücklichen Er-



ſchäft aber mein Beruf wurde, da wiederholte ich
bei mehreren kleinen Kindern dieſe natürlichſte aller
Methoden des Gehenlernens, und fand ſie probat,
wie das erſtemal. Auf ſolche Erfahrungen grün-
dete ſich die Zuverſicht, mit welcher ich ſie Dir em-
pfahl. Und Dein Beiſpiel hat ſie auf’s neue ge-
rechtfertigt. Wollte man uns die unzählige Menge
von Beiſpielen entgegenſetzen, wo Kinder am Lauf-
zaum gehen lernen, und doch eben keine Krüppel
werden, von Kindern, denen das Leitband die
Bruſt nicht zuſammendrückt, und wo das frühe
Stehen und gezwungene Gehen im Gängelwagen
keine krummen Beine gemacht hat: ſo ſetze ich die
noch weit größere Menge roher Völkerſchaften da-
gegen, bei denen eine verkrüppelte Geſtalt eine viel
ſeltnere Erſcheinung iſt, als bei uns Europäern,
und die gewiß alle unſere, der Natur vorgreifen-
de Werkzeuge, die kindliche Kraft in Thätigkeit
zu bringen, nicht kennen. Fort alſo mit dem Lauf-
zaume, fort mit dem Gängelwagen, was auch die
gute Tante, die Deine Jda damit beſchenkt, von
unſerer Methode fürchten mag! Beweiſen wir ihr
nicht mit Worten, ſondern mit dem glücklichen Er-

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[35/0049] ſchäft aber mein Beruf wurde, da wiederholte ich bei mehreren kleinen Kindern dieſe natürlichſte aller Methoden des Gehenlernens, und fand ſie probat, wie das erſtemal. Auf ſolche Erfahrungen grün- dete ſich die Zuverſicht, mit welcher ich ſie Dir em- pfahl. Und Dein Beiſpiel hat ſie auf’s neue ge- rechtfertigt. Wollte man uns die unzählige Menge von Beiſpielen entgegenſetzen, wo Kinder am Lauf- zaum gehen lernen, und doch eben keine Krüppel werden, von Kindern, denen das Leitband die Bruſt nicht zuſammendrückt, und wo das frühe Stehen und gezwungene Gehen im Gängelwagen keine krummen Beine gemacht hat: ſo ſetze ich die noch weit größere Menge roher Völkerſchaften da- gegen, bei denen eine verkrüppelte Geſtalt eine viel ſeltnere Erſcheinung iſt, als bei uns Europäern, und die gewiß alle unſere, der Natur vorgreifen- de Werkzeuge, die kindliche Kraft in Thätigkeit zu bringen, nicht kennen. Fort alſo mit dem Lauf- zaume, fort mit dem Gängelwagen, was auch die gute Tante, die Deine Jda damit beſchenkt, von unſerer Methode fürchten mag! Beweiſen wir ihr nicht mit Worten, ſondern mit dem glücklichen Er-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/49>, abgerufen am 26.04.2024.