Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
Er dachte: Fahret hin! ihr seyd des Glückes Gabe;
Mir gnügen noch die zwei, die ich im Munde habe.
Zum Glücke dacht' ers nur, denn hätt' er es gesprochen,
Sie hätten auch die zwei ihm aus dem Mund gebrochen.
Doch wenn sich dir das Glück verschworen hat zum Bösen,
So wird zur Unzeit es dir schon die Zunge lösen.
Er geht zur Stadt und will verkaufen seinen Schatz,
Und denkt, beim Juwelier ist wohl der rechte Platz.
Dem aber kamen heut zwölf Perlen grad abhanden;
Er freut sich, daß sobald die zwei davon sich fanden.
Wie er das lump'ge Kleid des Finders angesehn,
Fragt er: Das sind die zwei, wo sind die andern zehn?
Der Mann in Unschuld spricht: der Dieb hat sie genommen.
"Ganz recht! wer ist der Dieb? Du mußt zum Richter komm
Der arme Mann erschrickt, läßt seinen Schatz in Stich,
Entflieht in Eil und nimmt die Lehr' allein mit sich:
Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte
Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.

Er dachte: Fahret hin! ihr ſeyd des Gluͤckes Gabe;
Mir gnuͤgen noch die zwei, die ich im Munde habe.
Zum Gluͤcke dacht' ers nur, denn haͤtt' er es geſprochen,
Sie haͤtten auch die zwei ihm aus dem Mund gebrochen.
Doch wenn ſich dir das Gluͤck verſchworen hat zum Boͤſen,
So wird zur Unzeit es dir ſchon die Zunge loͤſen.
Er geht zur Stadt und will verkaufen ſeinen Schatz,
Und denkt, beim Juwelier iſt wohl der rechte Platz.
Dem aber kamen heut zwoͤlf Perlen grad abhanden;
Er freut ſich, daß ſobald die zwei davon ſich fanden.
Wie er das lump'ge Kleid des Finders angeſehn,
Fragt er: Das ſind die zwei, wo ſind die andern zehn?
Der Mann in Unſchuld ſpricht: der Dieb hat ſie genommen.
„Ganz recht! wer iſt der Dieb? Du mußt zum Richter komm
Der arme Mann erſchrickt, laͤßt ſeinen Schatz in Stich,
Entflieht in Eil und nimmt die Lehr' allein mit ſich:
Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte
Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0094" n="84"/>
            <lg n="6">
              <l>Er dachte: Fahret hin! ihr &#x017F;eyd des Glu&#x0364;ckes Gabe;</l><lb/>
              <l>Mir gnu&#x0364;gen noch die zwei, die ich im Munde habe.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Zum Glu&#x0364;cke dacht' ers nur, denn ha&#x0364;tt' er es ge&#x017F;prochen,</l><lb/>
              <l>Sie ha&#x0364;tten auch die zwei ihm aus dem Mund gebrochen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Doch wenn &#x017F;ich dir das Glu&#x0364;ck ver&#x017F;chworen hat zum Bo&#x0364;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>So wird zur Unzeit es dir &#x017F;chon die Zunge lo&#x0364;&#x017F;en.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="9">
              <l>Er geht zur Stadt und will verkaufen &#x017F;einen Schatz,</l><lb/>
              <l>Und denkt, beim Juwelier i&#x017F;t wohl der rechte Platz.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="10">
              <l>Dem aber kamen heut zwo&#x0364;lf Perlen grad abhanden;</l><lb/>
              <l>Er freut &#x017F;ich, daß &#x017F;obald die zwei davon &#x017F;ich fanden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Wie er das lump'ge Kleid des Finders ange&#x017F;ehn,</l><lb/>
              <l>Fragt er: Das &#x017F;ind die zwei, wo &#x017F;ind die andern zehn?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>Der Mann in Un&#x017F;chuld &#x017F;pricht: der Dieb hat &#x017F;ie genommen.</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ganz recht! wer i&#x017F;t der Dieb? Du mußt zum Richter komm</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="13">
              <l>Der arme Mann er&#x017F;chrickt, la&#x0364;ßt &#x017F;einen Schatz in Stich,</l><lb/>
              <l>Entflieht in Eil und nimmt die Lehr' allein mit &#x017F;ich:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="14">
              <l>Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte</l><lb/>
              <l>Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0094] Er dachte: Fahret hin! ihr ſeyd des Gluͤckes Gabe; Mir gnuͤgen noch die zwei, die ich im Munde habe. Zum Gluͤcke dacht' ers nur, denn haͤtt' er es geſprochen, Sie haͤtten auch die zwei ihm aus dem Mund gebrochen. Doch wenn ſich dir das Gluͤck verſchworen hat zum Boͤſen, So wird zur Unzeit es dir ſchon die Zunge loͤſen. Er geht zur Stadt und will verkaufen ſeinen Schatz, Und denkt, beim Juwelier iſt wohl der rechte Platz. Dem aber kamen heut zwoͤlf Perlen grad abhanden; Er freut ſich, daß ſobald die zwei davon ſich fanden. Wie er das lump'ge Kleid des Finders angeſehn, Fragt er: Das ſind die zwei, wo ſind die andern zehn? Der Mann in Unſchuld ſpricht: der Dieb hat ſie genommen. „Ganz recht! wer iſt der Dieb? Du mußt zum Richter komm Der arme Mann erſchrickt, laͤßt ſeinen Schatz in Stich, Entflieht in Eil und nimmt die Lehr' allein mit ſich: Die Perlen nicht allein, in deines Mundes Pforte Bewahren mußt du mehr als Perlen deine Worte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/94
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/94>, abgerufen am 26.04.2024.